Mehr als 100 000 Medikamente gibt es in Deutschland. Trotzdem passt das Arzneimittel manchmal nicht zum Patienten. Dann müssen Apotheker selbst tätig werden und im Labor auf Anweisung des Arztes hin wiegen und mischen.

Plattenhardt - Kleine Schachteln mit bunten Pillen, Tuben mit heilsamen Salben, Fläschchen mit lindernden Flüssigkeiten: Wer aus der Apotheke kommt, hat in den meisten Fällen fertige Produkte von Pharmaunternehmen in der Tasche. Rund 20 000 Arzneimittel haben Blanka und Carsten Wagner in der Mörike-Apotheke in Plattenhardt im computerunterstützten Lager vorrätig. Andere können beschafft werden. Da sollte doch für jedes Wehwehchen oder lebensbedrohliche Leiden etwas Passendes dabei sein. Schließlich sind in Deutschland derzeit mehr als 100 000 Arzneimittel zugelassen.

 

Und doch werden in der Mörike-Apotheke, wie in den anderen drei Apotheken, die die Wagners betreiben, Medikamente selbst hergestellt. Saskia Schopf steht in einem kleinen Raum, im Regal vor der Pharmazeutisch-Technischen Assistentin reihen sich Flaschen in allen Größen mit lateinischer Aufschrift auf. Einem Laien kommen Wörter wie Spiritus oder Aethanol noch bekannt vor, andere kann man nicht einmal aussprechen. Sorgsam füllt Schopf ein weißes Pulver in eine kleine Plastikdose, die auf einer Waage steht. Die Menge muss genau stimmen, geht es doch um die passende Dosierung hochwirksamer Substanzen. „Wir arbeiten bis auf die vierte Stelle hinter dem Komma“, sagt sie und lässt eine ölige Substanz zum Pulver dazulaufen. Jetzt noch umrühren – nicht mit dem Löffel, sondern mit einem Spezialgerät, dann ist die genau auf den Patienten abgestimmte Arznei fertig. Ähnlich wird mit Pulvern hantiert, die dann in kleine Kapseln abgefüllt werden. Alles wird genau dokumentiert und ist noch Jahre später nachvollziehbar, wie dem mehr als 60 Jahre alten Apothekenbuch zu entnehmen ist. Da hat Wagner auch schon Mixturen gegen Husten und Knieschwellungen gefunden – die für eine Kuh gemixt wurden. „Das kam damals immer wieder vor“, sagt er und schmunzelt.

Individuelle Mischungen sind ein Nischenprodukt

Für Wagner sind die individuellen Mischungen ein Nischenprodukt, das sich nicht rechnet. „Das ist unser Service für die Patienten“, sagt er und weiß, dass mancher Mitbewerber das bisweilen ablehnt, obwohl er dazu verpflichtet ist. Apotheken sind in ihrem Tun nicht frei, sondern erfüllen einen gesetzlichen Auftrag als Teil des Gesundheitssystems, müssen die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten sicherstellen, und das zu einem festen Preis, unabhängig davon, was das Produkt kostet. Ein Kind mit einem Herzfehler, bei dem die Dosis des Wirkstoffs genau auf den ständig wachsenden, kleinen Patienten angepasst werden muss, sei ein typischer Fall, bei dem Wagner und sein Team nicht auf fertig abgepackte Produkte zurückgreifen könnten. „Das gilt auch für Methadon-Lösungen, die bei Schmerzen, Krebs oder in der Substitution eingesetzt werden und individuell angepasst werden müssen“, sagt der Apotheker. Die jeweiligen Zutaten werden nach der Anlieferung von Wagners Mitarbeitern nochmals auf den Inhaltsstoff überprüft: mit Chromatografie, Spektroskopie oder Schmelzpunktbestimmung, bei Flüssigkeiten über den Brechungsindex oder auch einmal per chemischer Analyse. Rund zehnmal pro Tag stellen Schopf und ihre Kolleginnen in den vier Apotheken Arzneimittel her. Bei häufiger Nachfrage auch auf Vorrat, wie Wagner sagt und in diesem Zusammenhang Progesteroncreme aus der Yamswurzel, Amphetaminsaft oder auch die Hautcreme erwähnt, die seit 1958 mit eigener Rezeptur hergestellt wird.

Ein einziger Fehler kann tödlich sein

Wie bei den Medikamenten von der Stange werden auch die individuellen Präparate auf ärztliche Anweisung hin hergestellt. Auf den Rezepten stehen die Wirkstoffe und deren Anteil. Das Wissen über die Herstellung müssen die Apotheker selbst mitbringen, es ist Teil ihres Studiums und ihrer Ausbildung. „Dabei gilt immer das Vier-Augen-Prinzip“, erklärt der Plattenhardter, der aus einer Apothekerfamilie stammt und auch mit einer Apothekerin verheiratet ist. Ein einziger Fehler, sei es bei den Zutaten oder beim Mischungsverhältnis, kann für den Patienten im schlimmsten Fall tödlich sein, wie dies der Tod einer Mutter und ihres Babys in Köln vor wenigen Monaten gezeigt hat. Auch die Plausibilität des vom Arzt ausgestellten Rezepts muss bei jedem Arzneimittel, sei es Fertigprodukt oder individuelle Mischung, geprüft werden. „Im Zweifelsfall fragen wir nach“, ergänzt Wagner.

Dass der Arzt die Arzneimittel nicht selbst anrühren darf, hängt mit dem Stauferkaiser Friedrich II. zusammen. Der verfügte 1241 mit dem „Edikt von Salerno“ die strenge Trennung der Berufe des Mediziners vom Apotheker, auch Preise wurden gesetzlich festgeschrieben. „Damit sollte verhindert werden, dass den auf Besserung hoffenden Patienten teure und bisweilen sicher auch unnötige Medikamente verkauft werden“, sagt Wagner.