Rund sechs Millionen Deutsche sind Diabetiker und es werden immer mehr. Übergewicht und ungesunde Ernährung sind Risikofaktoren, deshalb raten Mediziner den Patienten, ihren Lebensstil zu ändern.

Stuttgart - Viele Deutsche sind Schwergewichte: 64 Prozent der Männer und 49 Prozent der Frauen wiegen laut einer Studie im medizinischen Fachblatt „Lancet“ zu viel. Teilweise sind sie sogar fettleibig – häufig eine Folge von zu viel süßem und fettem Essen sowie von Bewegungsmangel und dem zwischen den Bauchorganen angesammelten Fett. Das Übergewicht – insbesondere bauchbetontes Übergewicht – und Stress stören die Wirkung des Hormons Insulin, das regeln soll, dass die Muskelzellen den Zucker aus dem Blut aufnehmen. Es entwickeln sich langfristig eine Insulinresistenz und damit ein Prädiabetes. Wer hier frühzeitig Gegenmaßnahmen ergreift, kann das Fortschreiten krank machender Prozesse stoppen und umkehren.

 

Gegenmaßnahmen bedeuten eine Änderung des Lebensstils: fünf Prozent Gewichtsabnahme, mehr körperliche Bewegung, um die Insulinempfindlichkeit der Zellen zu erhöhen, und gesunde Ernährung. Ansonsten geht eine etwaige Insulinresistenz irgendwann in einen Typ-2-Diabetes über. Heute leiden etwa sechs Millionen Deutsche an Typ-2-Diabetes, und ihre Zahl steigt. Viele haben eine Diabetesvorstufe. „Wir brauchen in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren ganz dringend neue Therapien gegen Adipositas und Diabetes“, sagt Matthias Tschöp von der Technischen Universität München, Leiter des Instituts für Diabetes und Adipositas am Helmholtz-Zentrum München.

Mittlerweile gilt als gesichert, dass eine genetische Veranlagung die Grundlage für Lebensstil-Faktoren bildet, die die Erkrankung begünstigen. Wie zum Beispiel eine aktuell im Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlichte Studie mit 5000 Grönländern ergab, kann eine einzelne Genvariante das Risiko für Typ-2-Diabetes stark erhöhen. Diese Genvariante soll nur bei Grönländern auftreten und etwa 15 Prozent der dortigen Diabetesfälle erklären. Die spezielle Variante des TBC1D4-Gens, das die Zuckeraufnahme in Muskelzellen kontrolliert, führt dazu, dass die Transporter für die Zuckermoleküle nicht richtig arbeiten.

Der Diätplan gegen eine Fettleber

Doch auch für alle Nichtgrönländer gibt es eine ganze Reihe neuer Erkenntnisse, die kürzlich beim Kongress der Deutschen Diabetes-Gesellschaft präsentiert wurden. Demnach begünstigen auch die Luftverschmutzung durch Abgase und die Feinstaubbelastung Typ-2-Diabetes, indem sie die Aktivität Diabetes-relevanter Gene beeinflussen. Weiterhin ist die Darmflora, im medizinischen Fachjargon als Mikrobiom bezeichnet, im Zusammenspiel mit der Ernährung von großer Bedeutung. Menschen, die an Fettleibigkeit und Diabetes leiden, haben ein in bestimmter Weise zusammengesetztes Mikrobiom: Manche Bakterientypen sind dort stärker, andere schwächer vertreten als bei schlanken Menschen. Laut einer aktuellen Studie im medizinischen Fachblatt „Gut“ scheint auch körperliche Aktivität die Zusammensetzung der Darmflora positiv zu verändern. Besonders stark ist bei Sportlern ein Bakterientyp vertreten, der mit einem verminderten Risiko für Übergewicht und Entzündungen im Organismus assoziiert ist.

Auch im Hinblick auf Ernährungsstrategien gegen Fettleibigkeit und Fettleber, beides Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes, gibt es Neues: Die Leber stellt aus erhöhtem Blutzucker Fett her und lagert es ein. Das Ziel lautet also Gewicht und Leberfett abzubauen, denn das verbessert den Stoffwechsel. Der Ernährungsmediziner Andreas Pfeiffer von der Charité Universitätsmedizin in Berlin und Leiter der Abteilung für Klinische Ernährung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke hat hierfür neue Ernährungsempfehlungen erarbeitet. Er rät bei Fettleibigkeit zu einer proteinreichen Ernährung mit einem hohen Anteil an pflanzlichen Proteinen und Milchprotein kombiniert mit Nahrungsmitteln, die einen niedrigen glykämischen Index haben und folglich den Blutzuckerspiegel nur wenig erhöhen.

Für die Fettleber ist eine Unterversorgung mit Energie notwendig, damit das Leberfett abgebaut wird: Maximal 1400 Kilokalorien täglich dürfen es sein. „Damit ist es möglich, den Fettgehalt der Leber innerhalb von drei Wochen zu halbieren, auch wenn er zu Beginn bei 20 Prozent oder darüber lag“, sagt Pfeiffer. „Die Nahrung sollte zu 35 Prozent aus Protein – viel pflanzliches Protein, aber auch Fleisch und Fisch – und zu 65 Prozent aus Fett bestehen.“ Mit Fett ist vor allem pflanzliches Fett aus Nüssen, Avocados und Sojadrinks gemeint. Und Kohlenhydrate? „30 Gramm in Form von Gemüse“, sagt Pfeiffer. Ist die Leber ausreichend abgespeckt, setzt Pfeiffer zur Erhaltung des Status quo auf ungesättigte Fettsäuren, denn sie hemmen die Fettproduktion in der Leber. Weiterhin sind viele Ballaststoffe, ein hoher Proteinanteil und Nahrungsmittel mit einem geringen glykämischen Index gut.

Eine mögliche Erklärung für die weltweite Diabetes-Epidemie

Auch die Lebensmittelindustrie muss umdenken. Eine aktuell im Fachmagazin „Diabetes Care“ veröffentlichte Studie ergab zum Beispiel, dass mit Rapsöl hergestelltes Brot bei Typ-2-Diabetikern die Blutzuckerwerte verbessert und das unerwünschte LDL-Cholesterin verringert.

Die Dringlichkeit zu frühen Gegenmaßnahmen wird noch größer, wenn sich zeigen sollte, dass neue Ergebnisse zur Epigenetik von der Maus auf den Menschen übertragbar sind. In der Epigenetik wird die Steuerung der Genaktivität untersucht. Durch äußere Einflüsse sind einzelne Gene betreffende Veränderungen möglich, auch bei Typ-2-Diabetes. Diese Gene werden häufiger aktiviert oder lahmgelegt.

Es gab früher gewisse Verdachtsmomente, dass Typ-2-Diabetiker epigenetische Veränderungen an ihre Kinder weitergeben und so deren Diabetesrisiko erhöhen. Aktuelle Versuche mit Mäusen bestätigen das jetzt zumindest im Tierversuch. Mäuse mit einem erworbenen Diabetes übermitteln laut Martin Hrabé de Angelis, Direktor des Instituts für Experimentelle Genetik am Helmholtz-Zentrum München und Vorstandsmitglied im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD), über Spermien und Eizellen Informationen an ihre Nachkommen. „Sie führen dazu, dass bei diesen unter entsprechender Ernährung der Diabetes noch stärker ausgeprägt ist, als dies bei den Eltern der Fall ist“, so Hrabé de Angelis. Diese Ergebnisse gelten zwar nur für Mäuse. „Doch sollten sie auf den Menschen übertragbar sein, dann könnte diese Art der Vererbung an die Nachkommen eine Ursache für die weltweit epidemische Ausbreitung des Typ-2-Diabetes sein“, so der Münchner Forscher.