Auch 30 Jahre nach der Entdeckung von HIV sucht man noch nach Strategien, den Virus zu bekämpfen. Zu den ersten Erfolgen zählt ein kombinierter Impfstoff, der an 16 000 Freiwilligen in Thailand erprobt worden ist. Das Konzept gilt als Silberstreif am Horizont.

Berlin - Regensburg - Zu Beginn der 80er Jahre breitete sich rasant eine neue Seuche aus: Zunächst traf es nur wenige Männer, die an einer Form der Lungenentzündung starben, die ein gesundes Immunsystem eigentlich problemlos im Griff hat. Und all diese Männer waren homosexuell. Die Krankheit, die später den Namen Aids erhielt, verbreitete sich in Windeseile über die gesamte Welt und wurde, so die medizinische Vermutung, durch sexuelle Kontakte übertragen. Die todbringende Krankheit nährte Vorurteile Homosexuellen gegenüber. In den USA sahen Prediger die Erkrankung als Gottes Rache an den Homosexuellen, und in Deutschland übertrafen sich Politiker mit absurden Vorschlägen: einen verordneten HIV-Test für alle oder die Internierung von Aidskranken. Legendär ist die Idee, man könnte Menschen mit Aids auf einer einsamen Insel wegsperren.

 

Längst war klar, dass die Erkrankung nicht nur Homosexuelle treffen kann, sondern alle Menschen. Als schließlich vor 30 Jahren der Erreger, das HI-Virus, dingfest gemacht werden konnte, glaubte man, den Siegeszug gegen die Seuche antreten zu können. Doch dies war ein Trugschluss. Denn auch nach Jahrzehnten intensiver Forschung hat man das Virus keineswegs im Griff. Daran erinnert auch in diesem Jahr der Welt-Aids-Tag am 1. Dezember.

In Entwicklungsländern ist die Diagnose ein Todesurteil

Die Erkrankung kann mittlerweile gut behandelt werden, so dass Aids als chronische Erkrankung gelten kann. Die Medikamente können die Vermehrung des Virus im Körper über lange Zeit bremsen. Allerdings ist die nicht ganz billige Therapie in Entwicklungsländern für mittellose Patienten oft unerreichbar, so dass die Diagnose dort einem Todesurteil gleichkommt. Zudem kämpfen die Betroffenen in den meisten afrikanischen Ländern gegen Vorurteile und verschweigen die Erkrankung – und geben sie damit aber oft auch weiter.

Im Bereich der Medikamentenentwicklung ist man bereits weit gekommen. Nun konzentrieren sich Forscher auf die Produktion eines Impfstoffes. „Bei der Entwicklung eines Vakzins gilt generell, dass man viele Fehlversuche einkalkulieren muss. So ist das auch bei Aids. Bisher gab es vier Fehlversuche, aber immerhin einen Teilerfolg“, sagte Ralf Wagner vom Institut für Mikrobiologie und Hygiene an der Universität Regensburg bei einer telefonischen Expertenschaltung zum Thema Aids, die von der Wissenschaftspressekonferenz organisiert wurde. Einen Teilerfolg erzielte man mit einem kombinierten Impfstoff, der an 16 000 freiwilligen Probanden in Thailand getestet wurde. Mit dem Impfstoff gab es 31,2 Prozent weniger HIV-Infektionen als mit einem Scheinimpfstoff (Placebo). Nun gehe es darum, wie man diesen Prozentsatz erhöhen könne. Denn das Konzept sei Erfolg versprechend, ein „Silberstreif am Horizont“.

Zwei Strategien verhelfen dem Impfstoff zum Erfolg

Das HI-Virus dringt in den Körper ein. Es vermehrt sich nun ausgerechnet in jenen menschlichen Immunzellen, welche die Abwehr gegen diesen und andere Erreger koordinieren sollen. Diese Zellen kommen dabei um – die Steuerzentrale und damit das Immunsystem ist extrem geschwächt. Andere Viren oder Bakterien haben daraufhin ein leichtes Spiel im nun fast wehrlosen Körper eines HIV-infizierten Menschen. Bei dem in Thailand getesteten Impfstoff hat man zwei Komponenten kombiniert, die einzeln unwirksam waren: Die erste Komponente mit dem Namen Alvac trainiert gewissermaßen das Immunsystem. Ein Vehikel schleust einige Varianten des HIV in den Körper des Menschen. Dieser erkrankt nicht, doch das Immunsystem aktiviert seine Zellen gegen die eingeschleusten Teile, so dass die Abwehrkräfte im Falle einer Infektion schnell reagieren können. Die zweite Komponente namens Aidsvax enthält einen Eiweißstoff aus der Hülle des Erregers und soll die Immunantwort dann weiter verstärken. Man nennt diese Strategie „prime-and-boost“: Alvac bereitet das Immunsystem auf einen HIV-Angriff vor und Aidsvax verstärkt anschließend diese Antwort.

Auf diesen beiden Schienen sollte man weiterfahren, meint der Regensburger Impfstoffexperte. „Ideal wäre es, wenn man in einem ersten Schritt das Virus direkt an der Eintrittsstelle, der Mukosa, schnappen könnte. Dazu braucht man Antikörper, die das Virus binden können“, erklärt Wagner. Dazu müsse man immer wieder neue Hüllproteine des Virus herstellen, um immer bessere Antikörper zu bekommen. Sei dann doch das eine oder andere Virus „durchgebrannt“, treffe dieses im Idealfall auf T-Zellen des Abwehrsystems, die das Virus erkennen, weil sie darauf sensibilisiert seien. Doch das extrem wandelbare Virus macht den Forschern immer wieder einen Strich durch die Rechnung und entwischt beiden Komponenten des Impfstoffes. „Man muss Teile des Virus finden, die sich kaum verändern und es verletzlich machen“, meint Wagner.

Eine Handvoll Patienten ist wieder virusfrei

Eine andere Strategie ist die sogenannte funktionelle Heilung. Dabei geht es um wenige Patienten, die nach einer Therapie virusfrei sind. Den Anfang machte vor einigen Jahren der sogenannte Berliner Patient: Der Amerikaner Timothy Brown, der in Berlin lebte, erkrankte sowohl an Aids als auch an Leukämie. Die Ärzte an der Berliner Charité entschieden sich für eine Stammzelltransplantation – die blutbildenden Zellen des Patienten wurden zerstört, die Spenderzellen übernahmen die Funktion. Brown hatte Glück, denn als Spender kam ein Mensch in Frage, der eine bestimmte Mutation in seinem Erbgut aufweist: Die Mutation Delta 32 auf dem Rezeptor CCR5 schützt vor einer HIV-Infektion. Das veränderte Gen blockiert gewissermaßen die Tür ins Innere der Zelle. „Das Virus steht vor der Haustür, und da bleibt es auch“, erklärt Jürgen Rockstroh von der Uniklinik Bonn.

Damit war Brown geheilt und ging als Berliner Patient in die Geschichte ein – obwohl es auch immer wieder Kritik gibt, weil einige Virusfragmente in seinem Blut gefunden werden. Auf der diesjährigen internationalen Aidskonferenz in Kuala Lumpur berichteten Mediziner aus Boston von weiteren zwei Aidspatienten, die zudem an Lymphdrüsenkrebs erkrankt waren. Seit einer Knochenmarktransplantation vor mehreren Jahren haben die beiden Männer keine nachweisbaren Erreger in ihren Blutzellen. Im Gegensatz zum Berliner Patienten allerdings haben die Patienten in Boston die schützende Mutation nicht. „Eine Knochenmarktransplantation ist keine generelle Therapieoption“, sagt Rockstroh. Vielmehr gehe es darum, bei diesen Patienten das Immunsystem zu untersuchen und daraus für die Entwicklung von Impfstoffen zu lernen.