Das schlechte Cholesterin senken und zugleich das gute Cholesterin erhöhen? Pharmakologen versuchen seit einigen Jahren, das Herzinfarktrisiko zu reduzieren, indem sie den HDL-Blutwert mit Tabletten steigern. Das scheint aber nicht zu funktionieren.

Stuttgart - Man behandelt keine Laborwerte, sondern Patienten, heißt eine Medizinerweisheit. Wer sie nicht beachtet, kann auf die Nase fallen. Ein solcher Sturz scheint sich beim Cholesterin anzubahnen, das seit 50 Jahren für die Verstopfung der Herzgefäße verantwortlich gemacht wird. Pharmakologen hatten zwar gedacht, dass es zwei Möglichkeiten gibt, das Cholesterin zu bekämpfen – doch eine davon scheint nicht zu funktionieren.

 

Das „böse“ Cholesterin LDL (siehe 2. Seite) lässt sich einerseits mit sogenannten Statinen senken. Das sind Medikamente, die mit den LDL-Blutwerten auch das Herzinfarktrisiko deutlich senken. Andererseits hofften Pharmakologen, den Gegenspieler, das „gute“ Cholesterin HDL, ebenfalls mit einem Medikament fördern zu können. Doch 2006 mussten Pharmaunternehmen und Ärzte einsehen, dass der menschliche Körper komplizierter ist. Die Firma Pfizer räumte ein, geschätzte 800 Millionen Euro Entwicklungskosten in den Sand gesetzt zu haben. Ihr Hoffnungsträger Torcetrapib hatte zwar in Kombination mit einem Statin bei Tausenden von Probanden tatsächlich den HDL-Wert in die Höhe schießen lassen, aber geholfen hatte das den Patienten nicht. Im Gegenteil: die Zahl der Herzinfarkte und tödlichen Herzattacken hatte sogar zugenommen.

Der Körper ist komplizierter als gedacht

Sollte es sich beim Mythos vom „guten“ Cholesterin nur um eine Mär handeln? Inzwischen spricht vieles dafür. In den vergangenen Jahren scheiterten neue Medikamente, die dem guten Cholesterin auf die Sprünge helfen sollten, gleich reihenweise. Die Firma Roche hat inzwischen wegen Misserfolgs die Entwicklung ihres CETP-Inhibitors, wie sich die Torcetrapib-Verwandten nennen, eingestellt. Mittel wie Fenofibrat und Niacin zeigten sich in Studien trotz erhöhter HDL-Werte ebenfalls nicht in der Lage, Herzinfarkte zu verhindern. Und vor wenigen Wochen nahm auch die Firma Merck den HDL-Heber Tredaptive vom Markt. In Studien hatte man keinen Vorteil für den Patienten beobachtet, dafür aber neue schwere Nebenwirkungen.

„Ich denke, man hat sich die Sache zu einfach vorgestellt“, sagt Ulf Landmesser von der Klinik für Kardiologie am Universitätsspital in Zürich. Das Erfolgsprinzip der LDL-senkenden Statine habe man einfach auf das HDL-Cholesterin übertragen wollen. „Ein bislang Herzgesunder mit einem niedrigen HDL-Cholesterin-Wert hat zwar in der Regel bewiesenermaßen ein höheres kardiales Risiko“, sagt Landmesser. Dies bedeute aber nicht automatisch, dass man diesen Wert nur künstlich anheben müsse, um ein solches Risiko zu senken.

Warum weicht das, was die Laborwerte vorhersagen, so sehr von dem ab, was im Körper geschieht? Heribert Schunkert, Chef der Kardiologie am Deutschen Herzzentrum München, hat einen Verdacht: „Die Vermutung liegt nahe, dass nicht das HDL selbst der günstige Faktor ist, sondern die äußeren Einflüsse, die diesen Wert nach oben treiben.“ Laut Schunkert macht demnach nicht der Laborwert des HDL das Herz gesünder, sondern Bewegung, geringe Mengen Alkohol und andere Faktoren, die das HDL ansteigen lassen.

Manchmal verändert sich das „gute“ Cholesterin

Schunkert gehört zu den Forschern, die im Mai vergangenen Jahres der Theorie vom „guten“ Cholesterin den vorläufigen Todesstoß versetzten. Zusammen mit einem Team um den Amerikaner Sekar Kathiresan von der Universität Harvard wies er in der Fachzeitschrift „Lancet“ nach, dass auch Menschen mit einem erblich bedingt überdurchschnittlich hohen HDL-Wert nicht weniger Herzinfarkte erleiden. Ein von Natur aus hoher LDL-Wert dagegen erwies sich mit denselben Methoden wie erwartet als so „böse“ und gefährlich wie angenommen.

Vielleicht hätten die Mediziner früher misstrauisch werden sollen. Ein Warnzeichen wäre zum Beispiel im kleinen Ort Limone am Gardasee seit Jahrhunderten zu beobachten gewesen. Dort leben Menschen, die sehr niedrige HDL-Werte haben – trotzdem gibt es in dem Ort nur wenig Herzinfarkte. 1980 fand der Arzt Cesare Sirtori heraus, warum. Durch einen Genfehler im Bauplan des HDL-Grundbausteins Apolipoprotein A1 besitzen die Italiener einen Gefäß-Reinigungsdienst, der seinen Job besonders effektiv erledigt.

„Die Höhe des Wertes HDL-Cholesterin alleine scheint gar nicht so entscheidend zu sein“, sagt der inzwischen emeritierte Fettstoffwechselexperte des Universitären Herzzentrums Freiburg-Bad Krozingen Helmut Gohlke. Denn das HDL-Cholesterin könne sich verändern und seine gesundheitsfördernden Effekte einbüßen. Deshalb komme es darauf an, welche Art von gutem Cholesterin durch die Adern schwimmt. Ulf Landmesser konnte vor kurzem bei Patienten mit einer schon vorhandenen Atherosklerose beobachten, wie sich das HDL in den entzündeten Adern chemisch verändert. „Wir konnten sogar beobachten“, so der Mediziner, „dass es gefäßschädigende Effekte entwickelt.“ Selbst in einem „guten“ Cholesterin kann demnach durchaus etwas Böses stecken.

Die Lehre vom guten und schlechten Cholesterin

LDL
Das „böse“ Cholesterin dringt gebunden an sogenannte LDL-Lipoproteine vom Blut in die Gefäßwand ein. Dort lagert es sich ab, führt zu einer Entzündung und lässt so die Arterienwand dicker und die Ader schmaler werden. Den Beweis für diese Theorie liefern unter anderem die Statine. Mit den LDL-Werten lassen diese Medikamente auch das Infarktrisiko schrumpfen.

HDL
Das „gute“ Cholesterin, HDL genannt, sammelt in den Adern als eine Art Reinigungsdienst überzähliges Cholesterin wieder ein und transportiert es in Richtung Leber. Auch durch entzündungshemmende Effekte wirkt es einer Atherosklerose entgegen. Das hat Pharmakologen auf die Idee gebracht, mit einer Tablette den Pegel des HDL zu heben.