Von Lungenkrebs bis Herzinfarkt – Feinstaub greift an vielen Fronten die Gesundheit des Körpers an. Die derzeit geltenden Grenzwerte, auf denen der Feinstaubalarm in Stuttgart beruht, hält die Weltgesundheitsorganisation nicht für scharf genug.

Stuttgart - Warum ist Feinstaub plötzlich so gefährlich, dass nun Fahrverbote drohen, obwohl die Luftverschmutzung insgesamt doch viel geringer ist als früher? Eine indirekte Antwort findet sich in den Ausführungen, die das Umweltbundesamtes (UBA) im vergangenen November zu diesem Thema auf seine Internetseite gestellt hat. Demnach hat sich „der wissenschaftliche Erkenntnisstand zu den gesundheitlichen Wirkungen seit 2008 deutlich erweitert“. Damals hatte die EU die bis heute geltenden Grenz- und Zielwerte festgelegt.

 

Wegen der zunehmenden Hinweise auf körperliche Schäden durch Feinstaub habe die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Studie in Auftrag gegeben, in der geprüft werden soll, ob die bestehenden Grenz- und Zielwerte überarbeitet werden müssen, so das UBA. Fachleute wie Annette Peters, die am Münchner Helmholtz-Zentrum das Institut für Epidemiologie II leitet, sind der Überzeugung, dass die Grenzwerte der EU deutlich strenger als bisher sein sollten – wobei sie derzeit noch erheblich lascher sind als die WHO-Werte. Anzumerken ist, dass es beim derzeitigen Feinstaubalarm in Stuttgart „nur“ um die Einhaltung der bestehenden EU-Grenzwerte geht.

Millionen Menschen sterben frühzeitig

Auch hochrangige wissenschaftliche Fachmagazine wie beispielsweise „Nature“ beschäftigen sich zunehmend mit dem Thema Feinstaub – ein Indiz für die wachsende Bedeutung. Der Grund: es wird immer offensichtlicher, dass kleine Partikel in der Luft deutlich stärker die Gesundheit beeinträchtigen als früher gedacht – und zwar negativ. In einem im vergangenen September veröffentlichen „Nature“-Beitrag hatte ein Forscherteam unter Leitung von Johannes Lelieveld vom Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie untersucht, wie viele Menschen frühzeitig durch Partikel sterben, die kleiner als 2,5 Millionstel Meter sind und damit in die Lunge eindringen können. Die Wissenschaftler kommen für 2010 auf weltweit mehr als drei Millionen Menschen. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland dabei mit rund 34 400 Menschen auf Rang zwölf – und das trotz aller Maßnahmen, die Luftverschmutzung und die Belastung mit Feinstaub zu reduzieren. Die WHO geht für 2012 von schätzungsweise 3,7 Millionen Feinstaub-Toten aus.

Wie kommt man auf solche Zahlen? Die Grundlage liefern „umweltepidemiologische Studien an ausgewählten Gruppen der Bevölkerung (Kollektiven)“, erläutert das UBA. Unmittelbar lassen sich die Folgen von starker Luftverschmutzung an den steigenden Einweisungen ins Krankenhaus sowie der Zahl der Todesfälle an Tagen mit hoher Feinstaubbelastung sowie den folgenden Tagen erkennen. Erst wenn man solche Analysen über eine lange Zeit hinweg durchführt und die Zahlen dabei mit unbelasteten Kontrolltagen vergleicht, kommt man zu brauchbaren Aussagen.

Umfassendes Krankheitsspektrum

Darüber hinaus kann man sogenannte Panel-Studien durchführen. Dazu beobachtet man über eine lange Zeit hinweg dieselben Personen, zum Beispiel Menschen mit Asthma, und ermittelt, wie es ihnen bei bestimmten Feinstaubkonzentrationen geht. Auf möglichst langfristige Beobachtung setzen auch die von Fachleuten als Kohortenstudien bezeichneten Untersuchungen. Darin vergleicht man Menschengruppen, die sich möglichst ähnlich sind – bis auf die zu untersuchende Belastung, in diesem Fall mit Feinstaub entlang viel befahrener Straßen. Grundlagen für die späteren Aussagen sind dann Messungen vor Ort, medizinische Untersuchungen und Befragungen sowie Modellrechnungen. Dies führt zum Beispiel die WHO zu dem Schluss, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung eines Europäers durch die Belastung der lungengängigen PM2,5-Teilchen um 8,6 Monate verkürzt.

Wie aber kommt es, dass Feinstaub für ein so umfassendes Krankheitsspektrum von Lungenkrebs bis Herzinfarkt verantwortlich gemacht wird? Und dass dabei fast alle Organe und Organsysteme sowie Abläufe im menschlichen Körper betroffen sind? Da sind zum einen die nachteiligen Auswirkungen auf die direkt betroffenen Organe, die Atemwege und die Lunge. Dort kommt es zu Entzündungen und anderen Abwehrreaktionen, die zu lokalen Krankheiten führen. Die WHO schätzt, dass 14 Prozent der durch Feinstaub verursachten Todesfälle auf chronische Lungenerkrankungen sowie akute Atemwegsinfektionen und sechs Prozent auf Lungenkrebs zurückzuführen sind.

Entzündungen lösen weitere Reaktionen aus

Weit schlimmer aber sind die gesundheitlichen Folgen, die zum anderen von den Partikeln im Körper und hier insbesondere im Herz-Kreislauf-System ausgelöst werden. Laut WHO gehen schätzungsweise 80 Prozent der vorzeitigen Todesfälle, die auf Feinstaub zurückgeführt werden, auf das Konto von Herzkrankheiten und Schlaganfällen. Dabei spielt das Immunsystem des Körpers eine Rolle, wie Annette Peters und ihr Team in München erläutern. Die Entzündungen, die als Abwehrreaktion des Körpers im Lungengewebe ausgelöst werden, können Botenstoffe freisetzen, die weit über die Lunge hinaus wirken. So kann es auch an anderen Stellen des Körpers zu Entzündungen kommen, etwa in den Blutgefäßwänden. Dadurch wird die Arterienverkalkung gefördert, zudem können sich Blutpfropfen bilden. Solche Thromben können lebensgefährliche Herzinfarkte und Schlaganfälle auslösen.

Als weiterer Störmechanismus können lungengängige Partikel bestimmte Rezeptoren auf der Oberfläche der Lungenbläschen beeinflussen – die ihrerseits Auswirkungen auf das vegetative Nervensystem haben. Dieses wiederum ist an der Steuerung der Herztätigkeit beteiligt, was eine mögliche Erklärung für den Zusammenhang zwischen Feinstaub und Herzrhythmusstörungen ist. Hinzu kommt, dass insbesondere die ultrafeinen Partikel möglicherweise die Viskosität, also die Fließfähigkeit des Blutes negativ beeinflussen oder direkt Entzündungen in den Blutgefäßen auslösen können.

Natürlich können auch andere Luftschadstoffe die Gesundheit beeinträchtigen, allen voran Stickoxide, Schwefeldioxid und Ozon. Doch die WHO lässt keinen Zweifel daran, dass der Feinstaub mehr als jeder andere Luftschadstoff eine Gefahr für die Gesundheit darstellt.

Feinstaub – eine komplexe Mischung

Partikel
Feinstaub (englisch particulate matter, PM) ist eine komplexe Mischung aus festen und flüssigen Teilchen, die zudem verschiedene Zusammensetzungen und Größen haben. Zu den wichtigsten Komponenten gehören laut Weltgesundheitsorganisation Sulfate, Nitrate, Ammonium, Salz, Ruß, Mineralstaub sowie Wasser.

Entstehung
Die Fachleute des Umweltbundesamtes unterscheiden zwischen primär und sekundär gebildetem Feinstaub. Bei der Verbrennung von Holz und Öl in Heizungsanlagen, Kraftwerken, Automotoren entsteht der primäre Feinstaub. Aus Gasen wie Schwefel- und Stickoxiden bildet sich sekundärer Feinstaub. Darüber hinaus gibt es Staub in der Natur, etwa Sandstaub oder Pollen. Und auch durch Abrieb, etwa von Reifen, bilden sich kleine Teilchen.

Größenklassen
Wegen der gesundheitlichen Bedeutung sind drei Fraktionen wichtig: Teilchendurchmesser von weniger als 10, 2,5 und 0,1 Mikrometer (Millionstel Meter), also PM10, PM2,5 und PM0,1. PM10-Teilchen gelangen bis in die Nasenhöhle, PM2,5 bis in die Lunge und PM0,1, die ultrafeinen Partikel, bis in den Blutkreislauf. Dabei gilt: je kleiner die Partikel sind, desto gefährlicher können sie für die Gesundheit werden. Aber natürlich spielt auch die Zusammensetzung der Partikel eine wichtige Rolle.