Für Männer mit Haarausfall gibt es vielleicht bald neue Therapiemöglichkeiten. Forscher arbeiten derzeit intensiv an neuen Methoden.

Stuttgart - Eine dichte Mähne steht für Sex-Appeal und Schönheit. Entsprechend kann bei Frauen das Selbstwertgefühl leiden, wenn sich das Kopfhaar – vorzugsweise entlang des Scheitels – lichtet. Aber auch Männer stört es, wenn sich Geheimratsecken bilden und die Stirn immer höher wird. Zumindest für sie könnte es bald einen neuen Therapieansatz geben.

 

Es ist völlig normal, wenn täglich zwischen 80 und 100 Haaren ausfallen. Je nach Jahreszeit können es etwas mehr oder weniger sein, nach einer Schwangerschaft verliert eine Frau kurzzeitig auch mal mehr. Sind es aber über längere Zeit täglich mehr als 100 Haare oder produziert der Körper immer dünnere Haare, wie das bei etwa 12 bis 15 Millionen Deutschen der Fall ist, dann könnte ein erblich bedingter Haarausfall dahinterstecken. Diese sogenannte androgenetische Alopezie ist die häufigste Ursache für die Lichtung der Haarpracht.

An der androgenetischen Alopezie beteiligt sind offenbar viele, größtenteils noch unbekannte Genabschnitte auf verschiedenen Chromosomen wie dem Chromosom 20 und dem X-Chromosom sowie einer aktuellen Untersuchung zufolge auf Chromosom 3. Bisher gingen die Forscher davon aus, dass eine erbliche Überempfindlichkeit der Haarfollikel gegen das männliche Hormon Testosteron beziehungsweise die Stoffwechselvariante Dihydrotestosteron (DHT) in den Haarfollikeln und Talgdrüsen den Haarverlust mitverantwortet. Testosteron und DHT sind Androgene – daher die Bezeichnung androgenetische Alopezie.

Möglicherweise profitieren auch Frauen

Die Haarfollikel, jene Strukturen, die die Haarwurzel umgeben, schrumpfen aufgrund der Einwirkung des DHT mit der Zeit. Es entstehen Minifollikel, die nur noch ein mikroskopisch kleines, dünnes und damit unsichtbares Haar produzieren können. US-amerikanische Wissenschaftler haben nun kürzlich festgestellt, dass außer DHT und den Genen ein bestimmtes Prostaglandin eine wichtige Rolle beim Haarverlust spielt. Prostaglandine sind Gewebshormone und haben sehr unterschiedliche Aufgaben. Das Prostaglandin D2 (PGD2), ein Botenstoff, der den Wachstumszyklus der Haare mitbestimmt, blockiert – so die neuen Erkenntnisse – offenbar direkt die Aktivität der Haarfollikel.

Als die Mediziner die Kopfhaut von Männern untersuchten, stellten sie fest, dass die PGD2-Konzentration in Zellen an kahlen Stellen des Kopfes rund dreimal so hoch ist wie an Stellen mit normalem Haarwuchs. Daraufhin trugen sie das PGD2 auf Mäusehaut auf mit der Folge, dass sich deren Haarwuchs einstellte. Wenn es nun gelingt, die Wirkung des PGD2 zu blockieren, dann könnte daraus eine Therapie entstehen. Nach Aussage des Studienleiters George Cotsarelis von der University of Philadelphia sind bereits mehrere Kandidaten für Blockadesubstanzen bekannt. Weitere Untersuchungen müssen die Ergebnisse bestätigen und zeigen, ob auch Frauen davon profitieren können.

Auch an der Berliner Charité wurden Untersuchungen durchgeführt, in deren Mittelpunkt das Prostaglandin F2alpha steht. Es fördert das Haarwachstum. Die Ergebnisse wurden ebenfalls kürzlich publiziert. Die Prostaglandine waren „verdächtig“, denn, so die Studienleiterin Ulrike Blume-Peytavi, Leiterin des Kompetenzzentrums für Haare und Haarerkrankungen, „es hatte sich zuvor gezeigt, dass den Augeninnendruck senkende Augentropfen mit dem Wirkstoff Latanoprost, auch als Prostaglandin-Analogon F2alpha bekannt, zu vermehrtem Wimpernwachstum führen.“ Latanoprost ahmt die Wirkung des natürlichen F2alpha nach. Im Rahmen einer Pilotstudie behandelten daraufhin die Berliner Haarforscher Testareale auf der Kopfhaut junger Probanden für 24 Wochen mit den Augentropfen. Tatsächlich wuchs das so behandelte Haar dichter und voller. „Derzeit scheint das Prostaglandin-Analogon Bimatoprost, ebenfalls ein Mittel gegen zu hohen Augeninnendruck, ein vielversprechender Kandidat zur Behandlung der androgenetischen Alopezie zu sein. Bei erfolgreichen Ergebnissen der aktuell noch laufenden Studien könnte es möglicherweise in zwei bis drei Jahren neue Präparate geben“, so die Berliner Haarforscherin.

Im Herbst kommt ein neuer Schaum auf den Markt

Wer merkt, dass sich die Haarpracht lichtet, möchte aber sofort etwas dagegen tun. Geeignete Anlaufstellen sind der Dermatologe vor Ort und eine Haar-Sprechstunde, die es an fast jedem Universitätsklinikum gibt. Für die Behandlung der androgenetischen Alopezie bei Mann und Frau gibt es bislang den Wirkstoff Minoxidil – für den Mann als fünfprozentige Lösung und für die Frau als zweiprozentige Lösung. Die genaue Wirkweise von Minoxidil ist aber noch unbekannt. „Etwa 40 Prozent der Betroffenen profitieren, was den Stopp des Haarausfalls betrifft, und ein Teil davon, was die Verbesserung der Haardichte anbelangt bei einer zweimal täglichen Behandlung der Kopfhaut mit Minoxidil“, fasst Ulrike Blume-Peytavi zusammen. Eine Therapie mit Minoxidil sollte aber für mindestens ein Jahr erfolgen, um über die Wirksamkeit entscheiden zu können, auch wenn nach sechs Monaten erste Effekte auf das Haarvolumen sichtbar werden sollten.

Allerdings hält die Wirkung auch nur an, solange das Präparat regelmäßig angewandt wird. Mögliche Nebenwirkungen des Minoxidil sind Rötungen, Juckreiz und Schuppen auf der Kopfhaut sowie in seltenen Fällen allergische Reaktionen. Voraussichtlich im kommenden Herbst wird Minoxidil auch als einmal täglich anzuwendender Schaum für den Mann in Deutschland zugelassen. Er wird auf der Kopfhaut flüssig und ist im Gegensatz zur Minoxidillösung frei von Propylengykol, einer Substanz, die zu Reizungen oder Unverträglichkeiten führen kann. Eine Zulassung für Frauen ist denkbar, weil der täglich nur einmal anzuwendende Schaum und die täglich zweimal aufzutragende Lösung zu ähnlichen Ergebnisse führen.

Für Männer gibt es noch ein zweites Medikament, das Finasterid. „Bei rund 60 Prozent der Patienten mit anlagebedingter Alopezie kann ein Haarausfallstopp und bei einem Teil davon eine Verbesserung des Haarwachstums eintreten“, so die Dermatologin. Finasterid blockiert jenes Enzym, das Testosteron in DHT umwandelt. Seltene, aber reversible Nebenwirkungen sind eine verminderte Libido, Erektionsprobleme, ein geringeres Ejakulationsvermögen sowie eine vergrößerte Brust. Auch bei Finasterid ist die Wirkung des Medikamentes auf die Dauer der Einnahme begrenzt. „Es ist nur für Männer zugelassen, da bei Frauen keine Wirksamkeit nachgewiesen ist und es während der Schwangerschaft zu Missbildungen des männlichen Fetus führen kann“, sagt Blume-Peytavi. Bei Frauen ist die Einnahme von Cyproteronacetat nach den Wechseljahren möglich. Dieser Stoff stoppt die Wirkung männlicher Hormone auf der Kopfhaut.