Ein HIV-Infizierter gilt nach einer Stammzellen-Transplantation als virenfrei. Es ist erst das zweite Mal, dass Ärzten dies gelungen ist. Ein Durchbruch ist es nicht, für die Wissenschaft hat der Fall aber dennoch große Bedeutung.

London - Bei einem vormals HIV-positiven Patienten sind 34 Monate nach einer speziellen Stammzelltransplantation keine Viren mehr nachweisbar, wie Mediziner des University College London im Fachblatt „Nature“ jetzt berichteten.

 

Was macht den aktuellen Fall aus London so besonders?

Dem HIV-Patient waren blutbildende Stammzellen transplantiert worden, weil er an einer Art von Lymphdrüsenkrebs litt. Das Besondere daran: Der Spender hat in seinem Erbgut eine sehr seltene Mutation, die ihn immun gegen bestimmte Formen des HI-Virus macht. Diese Eigenschaft gab er mit seinen Stammzellen an den Empfänger weiter. Nach der Transplantation behandelten die Ärzte den Patienten 16 weitere Monate lang mit Medikamenten, die ein Schlüsselenzym zur Vermehrung des HI-Virus in befallen Zellen blockiert. Diese Art der Behandlung wird häufig bei HIV-Patienten eingesetzt und ist als antiretrovirale Therapie bekannt. Danach wurden die Medikamente abgesetzt. Wiederum eineinhalb Jahre später war der Erreger noch immer nicht bei ihm nachweisbar.

Warum sind die Ergebnisse für die Aids-Forschung so wichtig?

Der jetzt vorgestellte Fall ist die erste erfolgreiche Wiederholung einer Behandlungsmethode, die 2007 schon einmal beim sogenannten Berliner Patienten erfolgreich angewandt worden war. Der US-Amerikaner Timothy Brown, der wegen seiner Leukämie eine Knochenmarkspende an der Berliner Charité erhalten hatte, war nach dem riskanten Eingriff frei von dem HI-Virus. Bisher konnten die Wissenschaftler nicht sagen, ob bei dieser einen Person ganz besondere Voraussetzungen vorlagen und das Ergebnis bei anderen Patienten selbst bei komplett gleichem Vorgehen nicht wiederholbar sein könnte.

Bei dem zweiten Fall lassen alle bisherigen Befunde einen ähnlichen Verlauf vermuten. „Wiederholbarkeit ist ein entscheidendes Kriterium für wissenschaftliche Erkenntnisse, insofern ist das hier berichtete Ergebnis sehr wichtig.“

Für Georg Behrens, Präsident der Deutschen AIDS-Gesellschaft, sind die Ergebnisse ebenfalls sehr vielversprechend: „Diese Behandlung ist zwar sehr experimentell, bringt uns aber dennoch voran, da sie für eine begrenzte Zahl von Patienten neue Optionen erschließt.“

Gelingt nun bald der Durchbruch, um HIV zu bekämpfen?

Es ist kein Therapiedurchbruch, der allen HIV-Patienten helfen kann. Die Heilung der HIV-Infektion beim Londoner Patienten war vielmehr ein Nebeneffekt der Krebstherapie. „Auch zukünftig wird die Transplantation mit Stammzellen keine Option für die Heilung der HIV-Infektion darstellen, wenn die Transplantation nicht durch andere Grunderkrankungen erforderlich ist“, betont Hans-Georg Kräusslich, Professor für Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg.

Eine Knochenmarktransplantation ist ein riskanter Eingriff mit langem Krankenhausaufenthalt. Angesichts der gut verträglichen und langfristig wirksamen antiviralen Therapie wäre ein solcher Eingriff nicht zu verantworten. „Wenn allerdings bei HIV-Patienten eine zusätzliche Erkrankung auftritt, die eine Stammzellen-Transplantation erfordert, sollte versucht werden, einen passenden Spender mit HIV-Resistenz zu finden“, erklärt Kräusslich. Das sind aber nur ein Prozent der weltweiten Bevölkerung.

Kann man wirklich von einer Heilung sprechen?

Unter Heilung der HIV-Infektion versteht man, dass auch ohne weitere Medikamente oder andere Therapien kein Wiederauftreten des Virus in der Person beobachtet wird. Dass bei dem Patienten aus London seit über einem Jahr ohne Medikamente kein Virus nachweisbar ist, sei für die Mediziner zwar ein ermutigendes Zeichen, aber kein Beweis für Heilung.

Bei dem Fall eines Mädchens waren insgesamt 27 Monate nach Ende der Therapie keine nachweisbare Virusmenge mehr gefunden worden, danach trat das Virus jedoch wieder auf. Dies ist der bisher längste Zeitraum. „Es gibt keinen definierten Zeitpunkt, ab dem man von Heilung sprechen kann, aber natürlich wird es mit der Länge des Zeitraums ohne Virus und ohne Medikamente immer wahrscheinlicher“, erläutert Virologe Kräusslich.

Welche Überlebenschance gibt es heute mit HIV-Infektion?

HIV ist mittlerweile zu einer chronischen Erkrankung geworden, die nicht mehr zwingend zum frühzeitigen Tod führt. Zur Therapie einer HIV-Infektion stehen derzeit 30 Wirkstoffe zur Verfügung, die meist in Kombination eingesetzt werden. Dabei haben alle das Ziel, die Virusvermehrung zu verhindern.

Menschen mit HIV-Diagnose müssen bis an ihr Lebensende täglich Tabletten schlucken, die nur selten schwere Nebenwirkungen haben. Setzen Betroffene ihre Medikamente ab, können sich verbliebene Erreger innerhalb weniger Tage wieder vermehren. „Bei einer langfristigen erfolgreichen Therapie besteht praktisch keine Einschränkung der Lebenszeit“, sagt Erich Zeh, Oberarzt am Klinikum Stuttgart. Doch wichtig sei es, noch viel ernsthafter Prävention zu betreiben, damit es gar nicht erst zur Ansteckung komme.