Typ-2-Diabetes erhöht das Risiko für eine ganze Reihe von Krankheiten. Diese Komplikationen können nicht nur Lebensqualität kosten, sondern auch Lebensjahre. Nun kommt zu dieser Liste die Demenz hinzu.

Stuttgart - „Am besten wäre, man könnte Typ-2-Diabetes von vornherein vermeiden. Das würde den mittlerweile mehr als sechs Millionen betroffenen Menschen in Deutschland viel ersparen“, sagt der Diabetologe Baptist Gallwitz vom Universitätsklinikum Tübingen. Als Präsident der Deutschen Diabetes-Gesellschaft verweist er darauf, dass Typ-2-Diabetes ein erhöhtes Risiko für eine Reihe von Folgekrankheiten und Komplikationen mit sich bringt. Dazu gehören Schlaganfall, Herzinfarkt, Nieren-, Augen- und Nervenschäden sowie das diabetische Fußsyndrom, das in einer Amputation enden kann.

 

Inzwischen gilt als ziemlich sicher, dass die Betroffenen darüber hinaus ein erhöhtes Demenzrisiko haben. Mit zunehmender Erkrankungsdauer müssen sie mit einem deutlichen Abbau ihrer Denk- und Gedächtnisleistung rechnen. Mehrere Studien haben entsprechende Hinweise geliefert. Zuletzt eine taiwanesische Studie über zwölf Jahre, die die Krankenkassendaten von mehr als 430 000 Typ-2-Diabetikern analysiert hat. Das Ergebnis der Studie: wer an dieser Zuckerkrankheit und diversen Begleiterkrankungen leidet, hat ein erhöhtes Risiko, mit zunehmendem Alter eine Demenz zu entwickeln.

Die Untersuchung hat laut Gallwitz auch gezeigt, dass bereits die Phase des Prädiabetes die Basis für eine spätere Demenzerkrankung legen kann. Der Prädiabetes ist ein Vorstadium, bei dem die Blutzuckerwerte schon auffällig sind, aber noch kein Diabetes vorliegt. „Diese Werte, die 1997 auf der Basis einer Studie festgelegt wurden, gelten noch als Normalwerte, haben aber eigentlich schon einen gewissen Krankheitswert, wie wir inzwischen wissen“, so der Tübinger Mediziner. „Hier sollte eine Korrektur erfolgen.“

Schäden bei leicht erhöhtem Zucker

Gekennzeichnet ist der Prädiabetes durch Werte an der oberen Grenze des Normalen – für den nüchtern im venösen Plasma gemessenen Blutzucker zwischen 100 und 126 Milligramm pro Deziliter – sowie durch eine gestörte Glukosetoleranz. Eine gestörte Glukosetoleranz bedeutet, dass der Blutzucker nach dem Essen nicht schnell genug aus dem Blut entfernt wird. Bei der gestörten Glukosetoleranz liegt der Blutzuckerwert (gemessen im venösen Plasma) zwei Stunden nach dem Essen zwischen 140 und 200 Milligramm pro Deziliter.

Bereits leicht erhöhter Blutzucker führt langfristig zu Schäden an verschiedensten Zellen im ganzen Körper sowie zu ersten arteriosklerotischen Ablagerungen. Diese wiederum verschlechtern die Gehirndurchblutung. Eine US-Studie der Perelman School of Medicine in Philadelphia hat im vergangenen Jahr ergeben, dass eine Störung der Denkleistungsfähigkeit bei Diabetes aber nicht nur durch Gefäßprobleme verursacht wird. Die Forscher beobachteten, dass insbesondere die graue Hirnsubstanz mit zunehmender Dauer der Diabeteserkrankung zu schrumpfen scheint. Es gehen also wie bei der Alzheimer-Erkrankung Nervenzellen zugrunde.

Eine aktuelle Studie im medizinischen Fachmagazin „JAMA Neurology“ liefert möglicherweise eine Antwort auf die Frage nach Ursachen. Verschiedene Faktoren könnten demnach auch im Gehirn zu einer Verwertungsstörung des Blutzuckers führen. Die Nervenzellen kämen dann nicht mehr an ihren Hauptenergieträger heran, obgleich der in übergroßen Mengen vorhanden wäre. Bei den Probanden, die im Durchschnitt 61 Jahre alt waren, zeigte sich eine Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses und des verbalen Lernens.

Denkprobleme bei Unterzuckerung

Aber nicht nur erhöhte Blutzuckerwerte, sondern auch Unterzuckerungen (Hypoglykämien) bei Typ-2-Diabetes, die oft während des Nachtschlafes auftreten, beeinträchtigen die Denkfähigkeiten. Vermutet wird, dass vermehrt schädigende Sauerstoffradikale und entzündliche Substanzen gebildet werden. Besonders betroffen sind Aufmerksamkeit, Reaktionszeit, Gedächtnis, Wahrnehmung und Konzentrationsfähigkeit. Unterzuckerung kann auch die Folge von Sulfonylharnstoffen sein. Diese Diabetesmedikamente heizen die Insulinproduktion und -ausschüttung an – auch dann, wenn die Blutzuckerwerte nicht erhöht sind. „Sulfonylharnstoffe können insbesondere bei älteren Menschen gefährlich werden, wenn sie wenig trinken oder einen Infekt haben und die Nierenleistung dann eingeschränkt ist“, sagt Baptist Gallwitz. „In diesem Fall summiert sich das Medikament quasi auf und kann gefährliche Hypoglykämien verursachen.“

Obgleich es modernere Medikamente ohne diese Nebenwirkung gibt, werden die Sulfonylharnstoffe noch eingesetzt – einfach weil sie viel kostengünstiger sind. Zu Unterzuckerungen kann es aber auch kommen, wenn Typ-2-Diabetiker mit Demenz nicht mehr in der Lage sind, ihre Diabeteserkrankung selbst richtig zu managen. Die Blutzuckereinstellung verschlechtert sich dann zwangsläufig. „Das gilt auch für Patienten mit Typ-1-Diabetes, die eine bedarfsgerechte Insulintherapie durchführen müssen“, sagt Gallwitz. „Es ist ein Teufelskreis, weil die Hypoglykämien die Demenz weiter verschlimmern. Diese Patienten benötigen unbedingt eine intensive Betreuung.“ Deshalb sei es wichtig, dass es erst gar nicht so weit kommt.

Eine aktuelle Studie im renommierten Fachjournal „Lancet“ zeigt am Beispiel von fast 1300 Senioren zwischen 60 und 77 Jahren, wie es – nicht nur bei ihnen – klappen kann: Die Kombination aus gesunder Ernährung mit Hilfe einer Ernährungsberaterin, einem persönlich zugeschnittenen Bewegungsprogramm aus Krafttraining und Aerobic-Übungen, Gewichtsabnahme und einem Gehirntraining am heimischen Computer tut dem Gehirn gut. Denselben Effekt haben der Verzicht auf Rauchen und Alkohol, denn beides ist ebenfalls demenzfördernd. „Besser ist es natürlich, wenn Lifestyle-Änderungen bereits in einem früheren Stadium der Diabeteserkrankung erfolgen“, sagt Gallwitz. Es ist bei Typ-2-Diabetes im Anfangsstadium grundsätzlich sogar möglich, die Blutzuckerwerte ohne Medikamente auf Normalwerte abzusenken. Dazu muss man seinen Lebensstil aber konsequent ändern.

Medikamente sollten erst eingesetzt werden, wenn Lebensstilmaßnahmen alleine nicht ausreichen, rät der Tübinger Mediziner. „Wichtig ist eine möglichst optimale Blutzuckereinstellung, die an die individuellen Gegebenheiten des Patienten angepasst werden muss.“ Enorm wichtig sei es, mehr für die Prävention zu tun – und zwar schon bei den Kindern. Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft hat hier vier Forderungen an die Politik: „Mindestens eine Stunde Sport in Kitas und Schulen pro Tag, höhere Standards für gesundes Essen in den Schulen, eine Fett- und Zuckersteuer und ein Verbot für Lebensmittelwerbung, die sich direkt an Kinder wendet.“

Mögliche Folgeerkrankungen bei Typ-2-Diabetes

Nierenprobleme
Bei einem erhöhten Blutzuckerspiegel verändern sich offenbar die Wände der kleinen Blutgefäße in den Nierenkörperchen so, dass die Niere schlechter durchblutet wird. Die Nierenfunktion verringert sich. Häufig kommt es zum Blutdruckanstieg, der sich seinerseits ungünstig auf die Niere und die Gefäße auswirkt. Dialyse oder Nierentransplantation und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind mögliche Folgen.

Arteriosklerose
Bei Diabetikern verändern sich in einem früheren Alter als bei Nicht-diabetikern die Gefäße arteriosklerotisch, und zwar zunächst vorzugsweise die kleinen Blutgefäße. Typ-2-Diabetiker haben ein hohes Risiko für einen Herzinfarkt, der bei ihnen häufig „stumm“ verläuft. Sie spüren meist keine Schmerzen, weil bei Diabetes oftmals die Nerven geschädigt sind. Etwa 12 von 100 Diabetikern haben Durchblutungsstörungen des Gehirns. Infolge der Diabeteserkrankung kann sich auch Bluthochdruck entwickeln, der seinerseits Demenz, Schlaganfall und Herzinfarkt begünstigt.

Neuropathie
Bei 30 bis 60 Prozent der Langzeitdiabetiker tritt eine anfangs beschwerdefreie Neuropathie auf. Nächtliche Schmerzen kommen nach und nach hinzu, ebenso Missempfindungen wie Kribbeln in Händen und Füßen. Aufgrund der Nervenschäden ist auch die Funktion innerer Organe gestört, etwa die der Blase. Häufig tritt ein diabetisches Fußsyndrom auf: Infolge der Nervenschädigungen und falschen Schuhwerks bilden sich erst Druckstellen und dann kleinere Wunden, die sich infizieren und zu Geschwüren fortschreiten können. Man sollte möglichst früh einen medizinischen Fußpfleger/Podologen aufsuchen.

Beinarterie
Meistens sind bei Durchblutungsstörungen in den Beinarterien die Gefäße durch Arterienverkalkung stark verengt oder verschlossen. Folglich werden die Füße nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt. Bei Belastung treten dann Schmerzen in den Beinen auf. Die Symptome treten jedoch erst auf, wenn die Verengungen mehr als 90 Prozent ausmachen.