Bei gesunden Menschen empfiehlt sich eine präventive Einnahme von Vitamin D zwei neuen Studien zufolge nicht. Sie konnten keine vorbeugende Wirkung im Zusammenhang mit chronischen Krankheiten wie Diabetes nachweisen.

Stuttgart - Etwa 60 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ist nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt. Das Prohormon, das fälschlicherweise als Vitamin bezeichnet wird, ist notwendig, um Kalzium aus dem Darm aufzunehmen und somit unsere Knochengesundheit zu erhalten.

 

Darüber hinaus haben Beobachtungsstudien in der Vergangenheit immer wieder Hinweise geliefert, dass viele Menschen in Industrieländern einen niedrigen Vitamin-D-Spiegel haben und dieser mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs assoziiert ist. Daraus ist die Hoffnung erwachsen, man könne das Risiko für chronische Erkrankungen beeinflussen, indem man Vitamin-D-Tabletten schluckt. Doch in den letzten Jahren konnten einige randomisierte kontrollierte Studien diesen Zusammenhang nicht bestätigen. Das sind Studien, die mit einer Kontroll- oder Placebogruppe arbeiten sowie einer Patientengruppe, die tatsächlich behandelt wird.

Zwei neue Studien bewerten bisherige Ergebnisse

Vor Kurzem erschien in „Lancet Diabetes & Endocrinology“ eine französische Metaanalyse. „Großanalysen“ dieser Art führen die Analyseergebnisse vieler Einzelstudien zusammen und „durchleuchten“ sie, um möglichst aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen. Im Fall der französischen Metaanalyse wurden zu Vitamin-D-Mangel bei diversen chronischen Krankheiten 172 kleinere, randomisierte kontrollierte Studien und 290 Beobachtungsstudien analysiert. Die Beobachtungsstudien hatten überprüft, ob die angenommene Wirksamkeit der Vitamin-D-Einnahme auch tatsächlich zutrifft. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Vitamin-D-Einnahme das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Darmkrebs verringern würde. Der Wermutstropfen ist, dass ihre wissenschaftliche Aussagekraft als nicht sonderlich hoch eingestuft wird.

Die aussagekräftigeren Placebo-kontrollierten Studien fanden dagegen keinen Schutzeffekt gegen chronische Erkrankungen. Weder die Erkrankungshäufigkeit noch die Schwere oder der Erkrankungsverlauf wurden diesen Studien zufolge durch eine Vitamin-D-Einnahme beeinflusst. Das war auch dann der Fall, wenn zuvor ein Vitamin-D-Mangel bestand. Die französischen Wissenschaftler schlussfolgerten, dass niedrige Vitamin-D-Werte nicht die Ursache chronischer Erkrankungen sind. Sie vermuten, dass umgekehrt Alterungsvorgänge und entzündliche Prozesse die Vitamin-D- Spiegel absinken lassen.

Kritik an französischer Studie

Der Dermatologe Jörg Reichrath vom Universitätsklinikum des Saarlandes und Mitglied der Arbeitsgruppe Vitamin D der Deutschen Gesellschaft für Ernährung kritisiert die Metaanalyse: „Sie bezieht auch nicht gut gemachte randomisierte Studien mit ein, die zu wenige Patienten oder eine Supplementierung über sehr kurze Zeiträume betrachten.“ Auch das „Lancet“- Editorial zu dieser Studie hatte diesen Kritikpunkt angeführt und angemerkt, dass größere randomisierte Studien nötig seien.

Die Effekte des Vitamin D auf die Knochengesundheit wurden übrigens von der Metaanalyse nicht betrachtet. Das klarzustellen ist Reichrath wichtig, denn die Effekte auf die Knochengesundheit wurden somit nicht infrage gestellt.

Aktuell ist nun ebenfalls in „Lancet Diabetes & Endocrinology“ eine neuseeländische Metaanalyse mit Daten von fast 150 000 Patienten erschienen. Sie versuchte mit einer speziellen Analysemethode vor allem die Frage zu klären: Sind noch weitere Untersuchungen nötig, und könnten sie überhaupt etwas an den bisherigen Ergebnissen ändern? Das kurze Fazit lautet: wohl eher nicht. „Die Forscher stellten fest, dass sich die Ergebnisse mit weiteren größeren Studien nicht verändern würden. Es hat sich bereits über die letzten Jahre herauskristallisiert, dass bei chronischen Erkrankungen kein entsprechender Effekt da ist“, erläutert die Endokrinologin und Gesundheitswissenschaftlerin Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg.

Eine Einnahme empfiehlt sich nur für Bettlägerige

Die Studien hatten untersucht, wie sich die Vitamin-D-Einnahme mit und ohne zusätzliches Kalzium auf Herzinfarkt und Herzkrankheiten sowie Krebserkrankungen und Schlaganfall und Gehirngefäßerkrankungen auswirkt. Eine günstige Wirkung der Supplemente war auf diese Erkrankungen nicht nachweisbar. „Es gibt also keinen Grund, der normalen Bevölkerung die Einnahme von Vitamin-D-Tabletten zu empfehlen, um das Risiko für chronische Erkrankungen zu senken. Auch wenn der Arzt beim gesunden Menschen Vitamin-D-Spiegel unter dem Normwert feststellt, braucht der Patient deshalb kein Supplement einnehmen“, sagt Mühlhauser. Die unkontrollierte Vitamin-D-Einnahme zur Vorbeugung gegen allerlei chronische Erkrankungen ist ihr ein Dorn im Auge. Bei Menschen, die altersbedingt nicht mehr ins Freie kommen und deren Haut deshalb zu geringe Mengen einer Vitamin-D-Vorstufe produziert, sowie bei Osteoporose-Patienten könne man dies im Hinblick auf die Knochengesundheit dagegen in Erwägung ziehen. Die neuseeländische Metaanalyse kam nämlich zum Ergebnis, dass sich bei Patienten, die in Heimen oder anderen institutionalisierten Einrichtungen leben, das Risiko einer Hüftfraktur verringerte, wenn Vitamin D mit Kalzium eingenommen wurde – auch wenn bei normalen Durchschnittsbürgern kein Effekt festgestellt wurde.

Mühlhauser warnt davor, Vitamin-D-Supplemente zu hoch zu dosieren. In zu hohen Dosen könnten sie den Kalziumstoffwechsel negativ beeinflussen und etwa das Entstehen von Nierensteinen und Übelkeit begünstigen. Allerdings muss für eine chronische Überdosierung monatelang täglich 1 bis 2 Milligramm (entspricht 40 000 IE) Vitamin D eingenommen werden. Eine akute Einzelüberdosis für einen Erwachsenen erfordert über 50 mg.

Von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung werden Werte bis 800 IE empfohlen. Mengen zwischen 1000 und 4000 Einheiten täglich gelten noch als unbedenklich. Allerdings gibt es Erkrankungen, bei denen die körpereigene Kontrolle scheitert. Dazu gehört etwa die sogenannte Sarkoidose – eine seltene, entzündliche Krankheit, die ohnehin zu hohen Konzentrationen des Prohormons führt.