Wenn bei einer Mammografie etwas Auffälliges entdeckt wird, ist es oft ein DCIS – eine Vorstufe von Brustkrebs. Manche sind ungefährlich und müssen auch nicht behandelt werden. Aber welche? Darüber diskutieren die Experten.

Stuttgart - Mammografiebefund: DCIS. Die Abkürzung steht für „Duktales Carcinoma in situ“, eine Brustkrebsvorstufe. Inzwischen machen DCIS 19 Prozent aller Mammografiebefunde aus. Es handelt sich um veränderte, entartete Zellen in jener Schicht, welche die Milchgänge der Brustdrüse auskleidet. „In situ“ bedeutet, dass diese entarteten Zellen oft lange an Ort und Stelle bleiben. Bei Sauerstoffmangel sterben sie ab, es bilden sich Verkalkungen in den Milchgängen.

 

„Mikrokalk kann ein Hinweis auf ein solches Duktales Carcinoma in situ oder bereits Teil eines invasiven Brustkrebs sein“, sagt Christiane Kuhl, Direktorin der Radiologischen Klinik des Universitätsklinikums Aachen. Etwa 50 bis 60 Prozent der DCIS sind aufgrund von Kalkablagerungen in der Mammografie sichtbar. Obwohl das Wort „carcinoma“ für Karzinom (Krebsgeschwulst) in der Abkürzung enthalten ist, ist das DCIS für sich genommen nicht gefährlich. Gefährlich ist es erst dann, wenn die veränderten Zellen des DCIS die Wand der Milchgänge durchdringen, in das Brustdrüsengewebe einwachsen und dann andernorts Metastasen bilden können.

„Längst nicht alle DCIS sind überhaupt in der Lage, die Wand zu überwinden“, sagt Kuhl. Das Problem bestehe darin, die Vorstufen, die sich zu gefährlichem Brustkrebs entwickeln können, von den Vorstufen zu unterscheiden, die das zeitlebens nicht tun würden. „Letztere bedürfen vermutlich überhaupt keiner Behandlung“, sagt Kuhl.

Nicht aus jeder Vorstufe entwickelt sich ein Tumor

Die Fachwelt debattiert heftig darüber, wie viele DCIS sich zu einem Brustkrebs weiterentwickeln und wann und in welchen Fällen DCIS entfernt werden sollten. „Wie in USA kann es auch hierzulande zur Überbehandlung, das heißt zu einer zu aggressiven Behandlung von Brustkrebs-Vorstufen kommen“, gibt der Frauenarzt Jörg Heil zu bedenken. Er leitet an der Uniklinik Heidelberg die Sektion Senologie und koordiniert dort das Brustzentrum. Ist es zu rechtfertigen, dass eine Frau – nach Mammografie und Biopsie – wegen der Brustkrebsvorstufe DCIS vorbeugend brusterhaltend operiert und nachbestrahlt oder die Brust gar ganz entfernt wird? Das kann zu Folgeproblemen führen. „Dabei ist nicht einmal klar, ob das DCIS, das behandelt wurde, sich jemals zum richtigen Brustkrebs weiterentwickelt hätte“, sagt Kuhl.

Aber das scheint offenbar häufiger der Fall zu sein als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine kürzlich im medizinischen Fachblatt „JAMA Oncology“ veröffentlichte Auswertung des US-Krebsregisters SEER, das Daten aus mehr als 20 Jahren umfasst. Zehn Jahre nach der Behandlung des DCIS starben 1,1 Prozent der Frauen an einer Brustkrebserkrankung. Nach weiteren zehn Jahren erhöhte sich die Rate auf 3,3 Prozent. Trotz frühzeitiger Therapie ist das Risiko, am Brustkrebs zu sterben, bei den Frauen mit DCIS-Diagnose also fast doppelt so hoch wie bei Frauen ohne diese Diagnose.

Überraschenderweise ist nach Aussage der Studienautoren die Mehrheit der Frauen mit einem DCIS, die aufgrund der Brustkrebserkrankung starben, nicht an einem erneut auftretenden invasiven Brustkrebs erkrankt. Vorbeugende Maßnahmen wie Strahlentherapie oder Brustentfernung verringerten zwar die Rate von an derselben Stelle erneut auftretenden Tumoren, hatten aber keinen Einfluss auf die Sterblichkeit. Die Ergebnisse legen laut Steve Narod, dem Hauptautor der Studie, nahe, dass einige Patientinnen nicht ausreichend behandelt wurden, so dass DCIS-Anteile in der Brust zurückblieben und sich dann zum Karzinom weiterentwickelt haben. Narod gibt außerdem zu bedenken, dass es sich möglicherweise bei einigen DCIS nicht mehr um Vorstufen handelte, sondern bereits um invasiven Brustkrebs.

„Die Therapie eines DCIS sollte kein Automatismus sein“

Es gibt laut Narod Risikogruppen, bei denen die Sterblichkeit 20 Jahre nach der Therapie deutlich erhöht ist: Dazu gehören Frauen, bei denen das DCIS vor ihrem 35. Geburtstag festgestellt wurde, sowie afroamerikanische Frauen. Auch Frauen, deren abnormale Zellen spezielle molekulare Marker tragen, haben ein erhöhtes Risiko. Solche Brustkrebsvorstufen sind offenbar mit hoher Wahrscheinlichkeit therapiebedürftig. Möglicherweise gibt es noch weitere Parameter, die das Risiko erhöhen.

Die Radiologin Christiane Kuhl setzt sich seit Jahren für eine zurückhaltende Behandlung der Brustkrebsvorstufen ein. Auch Laura Essermann, Brustkrebsexpertin an der University of California, bezweifelt im begleitenden Editorial zur Untersuchung in „JAMA Oncology“, dass alle DCIS therapiert werden müssen. Sie argumentiert, dass die Gesamtzahl der invasiven Brustkrebserkrankungen in den USA in den letzten Jahren hätte sinken müssen, wenn die aggressive Behandlung von DCIS tatsächlich invasive Brustkrebserkrankungen verhindern könnte. „Die Therapie eines DCIS sollte kein Automatismus sein, weil nicht alle DCIS zu einem invasiven Brustkrebs werden“, sagt Wolfgang Janni, Direktor der Frauenklinik im Uniklinikum Ulm und dort Leiter des zertifizierten Brustzentrums. Bei der Entscheidung müssten viele Faktoren berücksichtigt werden, zum Beispiel auch die Größe des DCIS im Vergleich zur Brust und etwaige Begleiterkrankungen. „Die Entscheidung für oder gegen eine Therapie ist ganz individuell zu fällen“, sagt Janni.

Auch das Aussehen der veränderten Zellen ist wichtig. Allerdings werden die Zellen nach wie vor unter dem Lichtmikroskop untersucht, um abzuschätzen, ob sie gefährlich werden können. Und Pathologen sind sich bei der Einschätzung von DCIS nicht immer einig, hat eine US-amerikanische Studie im Fachblatt „JAMA“ vor einigen Monaten ergeben. Ihr Urteil ist aber wichtig für die Therapieplanung.

Welche Methode erkennt DCIS am besten?

Ein Streitpunkt ist auch die Frage, welche DCIS in einer Mammografie und bei der Magnetresonanztomografie (MRT) erkannt werden können. „Sehr viele dieser verkalkenden, mammografisch erkennbaren DCIS entsprechen den Niedrig-Risiko-DCIS“, sagt Kuhl. Hochrisiko-DCIS würden hingegen nicht mit Verkalkungen einhergehen, seien also mit Röntgenstrahlen auch eher nicht zu sehen. „Die MRT der Brust liefert – wenn sie richtig durchgeführt wird – genau die Informationen, die wir im Falle eines DCIS so dringend benötigen, um zwischen behandlungsbedürftigem und mutmaßlich nicht behandlungsbedürftigem DCIS zu unterscheiden“, sagt Kuhl. Das habe auch eine von ihr vor einigen Jahren im Fachmagazin „Lancet“ publizierte Studie gezeigt.

„Ist ein DCIS in der hochauflösenden Kontrastmittel-MRT sichtbar, dann handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein behandlungswürdiges DCIS“, sagt Kuhl. Um eine Übertherapie zu vermeiden, fordert sie: „Frauen mit verdächtigem Mammografiebefund sollten am besten noch vor einer Biopsie eine MRT erhalten – spätestens aber dann, wenn die Biopsie ein DCIS zeigt.“ Wolfgang Janni und Jörg Heil sehen das anders und bezweifeln die hohe Aussagekraft des MRT bei DCIS. Janni räumt zwar ein, dass die Mammografie nicht alle DCIS erkennen könne. „Das ist aber zum Beispiel mit der Magnetresonanztomografie auch nicht möglich“, sagt er. „Und die Leitlinien sprechen hier dieselbe Sprache wie ich.“

Laura Essermann setzt bereits heute bei einigen betroffenen Frauen auf eine aktive Überwachung, also eine regelmäßige Kontrolle mit der MRT, sowie auf eine Hormontherapie statt auf eine Operation. Weitere Studien sollen nun zeigen, ob die aktive Überwachung bei Niedrigrisiko-DCIS vorteilhaft ist. Hinzu kommt, dass eine MRT relativ teuer ist.

Was die verschiedenen Methoden in der Brust erkennen können

Mammografie
Beim Röntgen der Brust lassen sich kleine Kalkablagerungen in den Milchgängen erkennen. Dieser Mikrokalk kann ein Hinweis auf ein Duktales Carcinoma in situ (DCIS) oder auf einen daraus entstandenen Tumor sein. Außerdem sind auf den Mammografiebildern zu sehen: Knoten sowie Hautverdickungen, Asymmetrien und Architekturstörungen der Brust. Ist das Drüsengewebe sehr dicht, ist auf dem Röntgenbild allerdings wenig oder nichts zu erkennen.

Ultraschall
Brustultraschall schneidet bei dichtem Drüsengewebe besser ab als Röntgen – allerdings auch schlechter bei Frauen, die keine dichte Brust haben. Mit Ultraschall lassen sich gut Tumore erkennen, die vom Drüsengewebe ausgehen, und Knoten aufspüren. Mikrokalk und DCIS sind mit Ultraschall nicht zuverlässig erkennbar.

Magnetresonanztomografie
Bei der MRT mit Kontrastmittel sieht der Arzt keinen Mikrokalk, sondern stellt die veränderten Zellen oder das Karzinom im Milchgang direkt dar. Wenn die noch von der Außenwelt durch die Milchgangswände „abgeschotteten“ DCIS Kontrastmittel anreichern, bedeutet dies, dass sie doch bereits mit der Welt außerhalb des Milchgangs „kommunizieren“ – ein solches DCIS wird als hohes Risiko eingestuft.