Für jüngere Menschen mit unfallbedingten schweren Verletzungen gibt es neue Behandlungsansätze. Die Reaktionen darauf sind verschieden.

Stuttgart - Es kann schnell passieren, dass bei einem Unfall oder beim Sport Knochen und Knorpel im Knie schwer verletzt werden. Heute lassen sich solche Schäden in vielen deutschen Kliniken mit Hilfe einer Transplantation von eigenem oder fremdem Knochen sowie körpereigenen Knorpelzellen (Chondrozyten) behandeln, zum Beispiel in Form von sogenannten Knorpel-Knochen-Zylindern. Die Transplantation von Knorpel-Knochen-Zylindern eignet sich aber nur für einzelne Defekte im Bereich des Kniegelenks. Unfallchirurgen der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) haben nun die Gelenkreparatur weiter optimiert.

 

Neu daran ist, dass die eingepflanzten Knochenteile vor ihrer Implantation mit großem technischem Aufwand passgenau zurechtgefräst werden. Die Mediziner unter Leitung des Klinikdirektors Christian Krettek haben seit Anfang 2010 bis heute sieben Patienten mit hochgradig zerstörtem Knie mit der neuen Methode behandelt. "Es gelang uns bei diesen Patienten, für die keine andere Behandlungsmöglichkeit mehr in Frage kam, das Knie so zu rekonstruieren, dass sie laufen und sogar Sport treiben können", berichtet Michael Jagodzinski, Spezialist für regenerative Gelenkchirurgie an der Klinik für Unfallchirurgie der MHH. Allerdings liegen noch keine Daten vor, die älter als drei Jahre sind. Und bisher ist die Methode nur nach Einzelfallentscheidung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen worden.

Vor dem Eingriff müssen zunächst mit Hilfe von Computertomografie oder Magnetresonanztomografie hochauflösende Bilder des kranken und des gesunden Knies angefertigt werden. So werden die Schäden deutlich. Zur Reparatur des Knorpels werden dann in einer ersten Operation Knorpelzellen aus dem gesunden Anteil des geschädigten Kniegelenks entnommen und acht Wochen lang unter Einsatz körpereigener Blutprodukte vermehrt. Um fehlende Knochenteile am Knie ersetzen zu können, werden von diesem mit Computerhilfe zunächst virtuelle Modelle erstellt. Diese dienen als Vorlage für reale Knochenstücke aus Kunststoff.

Passgenaue Knochenstücke

Die Kunststoffknochen sind dann die Blaupause für echte Knochenteile, die während einer zweiten Operation bis zu einer Größe von drei mal fünf Zentimeter aus dem Beckenkamm entnommen werden. Das funktioniert ähnlich wie bei der Anfertigung eines Zweitschlüssels: Eine Kopierfräse sorgt dafür, dass die Maße des Modells genau auf die Knochenteile aus dem Beckenkamm übertragen werden. Anschließend werden die ausgefrästen Knochenstücke noch mit angezüchteten Knorpelzellen benetzt - ein Vorgang, der als autologe Chondrozytentransplantation (ACT) bezeichnet wird - und in das Kniegelenk eingesetzt.

Die Herstellung solcher maßgeschneiderter Implantate ist technisch sehr aufwendig und daher auch ziemlich kostspielig. Für Nikolaus Wülker, den Ärztlichen Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Tübingen und Experten für künstliche Kniegelenke, ist dies ein erheblicher Nachteil. Er ist der Meinung, dass die Passgenauigkeit transplantierter Knochenteile am Knie nur eine untergeordnete Rolle spielt: "Der verwendete Spongiosa-Knochen aus dem Beckenkamm wie auch der Spongiosaknochen am Knie sind verformbar. Daher reicht es, wenn die einzusetzenden Knochenimplantate während der Operation grob zurechtgefräst werden. Es ist fraglich, ob eine derartige Weiterentwicklung wirklich nötig ist und für den Patienten Vorteile hat, die durch die hohen Kosten gerechtfertig sind."

Rückendeckung bekommt Jagodzinski dagegen von dem Unfallchirurgen Norbert Südkamp. Für den Ärztlichen Direktor der Klinik für Traumatologie und Orthopädie des Freiburger Universitätsklinikums ist wichtig, dass sich zumindest größere Implantate gut einpassen. "Passgenauigkeit ist nötig, um sicherzustellen, dass das Implantat die auftretenden Bewegungskräfte aushalten kann, aber auch in seiner Umgebung so fest verankert ist, dass es einwachsen kann. Dafür ist eine gute Durchblutung erforderlich, die erst hergestellt werden muss. Wenn das Implantat wackelt, kann auf zellulärer Ebene nichts entstehen", berichtet Südkamp.

Das Verfahren befindet sich noch im Versuchsstadium

Die neue Technik ist in erster Linie für Knochen-Knorpel-Defekte geeignet, die anlage- oder durchblutungsbedingt aufgetreten sind oder von einem Unfall verursacht wurden. "Sie ist grundsätzlich auch bei anderen Gelenken wie zum Beispiel Sprung-, Hüft- und Ellenbogengelenk anwendbar. Nicht geeignet ist die Methode, wenn jemand schon jahrelang an Arthrose leidet. Und ganz klar stellt diese Methode keine Alternative zum künstlichen Gelenk dar", schränkt Jagodzinski ein. Außer den normalen Operationsrisiken kann es passieren, dass das Implantat nicht einwächst oder bei schlechter Durchblutung schrumpft. "Deshalb ist eine Voraussetzung für unsere Vorgehensweise, dass der angrenzende Knochen gut durchblutet ist", so der Hannoveraner Mediziner.

Für die Zukunft haben er und seine Kollegen eine klare Wunschvorstellung. Sie wollen den Ersatzknochen nicht mehr aus dem Beckenkamm entnehmen, sondern künstlich herstellen. Dabei wird Trägermaterial mit Stammzellen besiedelt und zur Reparatur von Knochendefekten eingesetzt. Eine ähnliche Richtung hat Norbert Südkamp vom Universitätsklinikum in Freiburg mit seinen Mitarbeitern bereits eingeschlagen: "Wir arbeiten mit sogenannten biphasischen osteochondralen Konstrukten. Sie bestehen aus einer künstlich hergestellten und verformbaren Matrix, auf die Knochen- und Knorpelzellen aufgebracht sind. Diese Konstrukte werden dann an der defekten Stelle implantiert."

Auch dieses Verfahren, das mit einem speziellen Navigationsgerät arbeitet, sorgt für passgenauen Ersatz. Basierend auf Aufnahmen des verletzten Gelenks wird zunächst eine Matrix entworfen. Bei der Operation wird dann ein Bilddatensatz des Gelenkbereichs aufgenommen, an ein sogenanntes Navigationssystem übertragen und dort automatisch eingelesen. Mit den Daten wird wiederum ein sensorbestückter Meißel bedient. Jede Bewegung des Meißels im Operationsgebiet ist am Bildschirm direkt zu sehen. Die Defektstelle wird so präzise bearbeitet, dass die Matrix passgenau eingebaut werden kann. Zwar befindet sich das Verfahren noch im Versuchsstadium, aber in drei Fällen wurde es auf Wunsch der Patienten schon klinisch eingesetzt. "Die Methode muss noch weiterentwickelt werden, aber wir sind zuversichtlich", resümiert Norbert Südkamp.

Lädierte Gelenke und ihre Reparaturen

Beschwerden: Neben Verletzungen – vor allem beim Sport – werden Kniegelenke insbesondere durch angeborene Fehlstellungen, chronische Entzündungen etwa bei Rheuma und altersbedingten starken Verschleiß geschädigt. Die sogenannte Arthrose – der Gelenkverschleiß – geht dabei von einer Schädigung des Knorpels aus. In Deutschland leiden etwa fünf Millionen Menschen unter einer Kniearthrose.

Abhilfe: Wenn der Gelenkknorpel völlig abgenutzt ist und Krankengymnastik, Medikamente und Injektionen nicht mehr helfen, bleibt noch die Möglichkeit, das Gelenk oder Teile hiervon durch Implantate zu ersetzen. Seit einigen Jahren kann man Schäden in bestimmten Fällen auch mit künstlich vermehrten körpereigenen Knorpelzellen heilen.