Dunkle Wintertage drücken nicht nur auf das Gemüt, sondern wirken sich auch nachteilig auf das Immunsystem aus. Wie Sonnenlicht das Immunsystem beruhigt, konnten jetzt Wissenschaftler am Beispiel der Autoimmunerkrankung multiple Sklerose nachweisen.

Stuttgart - Dunkle Wintertage drücken nicht nur auf das Gemüt – fehlendes Sonnenlicht hat auch Auswirkungen auf das Immunsystem und kann zum Beispiel den Verlauf einer multiplen Sklerose (siehe Informationskasten) negativ beeinflussen. Umgekehrt kann moderate Sonneneinstrahlung eine positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf der MS haben, wie zwei kürzlich veröffentlichte Studien von australischen und deutschen Wissenschaftlern gezeigt haben.

 

Für die Entstehung einer multiplen Sklerose (MS) ist nach heutiger Sicht der Dinge nicht ein einziger Faktor ausschlaggebend. Vielmehr müssen mehrere Auslöser dafür zusammenkommen. Dazu gehören genetische Ursachen genauso wie Umwelteinflüsse. Die Sonne spielt dabei eine besondere Rolle, wie Forscher vermuten. Schon seit längerer Zeit ist bekannt, dass MS-Erkrankungen in Südeuropa oder in noch weiter südlich gelegenen Ländern seltener auftreten als in Mittel- oder Nordeuropa. Auch Nordamerikaner und Kanadier erkranken häufiger an MS als Menschen, die in Äquatornähe wohnen. Wenn Säuglinge oder Kleinkinder in wärmere Länder umziehen, passt sich ihr MS-Risiko der neuen Heimat an. Auch wer bereits an  der Autoimmunerkrankung MS leidet, hat bessere Karten, je südlicher er lebt. Global gesehen ist der Krankheitsverlauf umso schlimmer, je weiter vom Äquator entfernt ein MS-Kranker lebt.

Zusammenhang zwischen Wohnsitz und MS

Den Zusammenhang zwischen Wohnsitz und MS-Erkrankungen konnte der Australier Tim Spelman vom Department of Neurology am Royal Melbourne Hospital nun eindrucksvoll belegen. In einer kürzlich veröffentlichten Studie untersuchte er einen Datenpool von mehr als 10 000 MS-Kranken in 30 Ländern. Er interessierte sich dabei speziell für die Anzahl und den Zeitpunkt der Krankheitsschübe.

Bei der Auswertung der Daten zeigte sich, dass die Schübe einem wiederkehrenden Muster folgen: Sie treten besonders häufig zu Beginn des meteorologischen Frühjahrs und besonders selten im Herbst auf – egal ob die Patienten auf der südlichen oder nördlichen Halbkugel wohnen. Die intensivere Sonneneinstrahlung im Sommer scheint einen positiven Effekt auf die Krankheit auszuüben. Daher treten relativ wenige Schübe im Herbst auf, wohingegen die geringe UV-Strahlung im Winter die Verschlechterung des Krankheitsverlaufs im Frühjahr bewirkt. Zwischen dem Zeitpunkt mit der geringsten Sonnenstrahlung und dem Auftreten der Schübe im Frühjahr liegen im Durchschnitt knapp drei Monate.

Spielt das Vitamin D eine Rolle?

Tim Spelman und seine Kollegen konnten herausfinden, dass sich dieser Zeitraum verringert, je weiter die Patienten vom Äquator entfernt leben. Jeder Breitengrad mehr in Richtung Nord- oder Südpol verkürzt die Zeitdauer zwischen zwei Schüben um durchschnittlich drei Tage und verschlimmert so den Verlauf der Krankheit. Der Australier vermutet, dass dies mit dem Vitamin-D-Gehalt im Blut zusammenhängt, der sich durch UV-Licht erhöht. Nach einem lichtarmen Winter könnte ein Mangel an Vitamin D die Wahrscheinlichkeit von erneuten Schüben bei MS-Kranken erhöhen.

Den Einfluss von Sonnenlicht auf die multiple Sklerose haben auch Wissenschaftler der Universität Münster im Fokus. Heinz Wiendl, der Direktor der Klinik für Allgemeine Neurologie am dortigen Universitätsklinikum, sieht die positiven Auswirkungen des UV-Lichts allerdings nicht allein auf das Vitamin D beschränkt: „Die Wirkung des Lichts auf das Immunsystem geht deutlich über das hinaus, was wir mit einer erhöhten Vitamin-D-Produktion erklären können.“ Sein Team ging der Frage nach, ob und in welcher Weise Sonnenlicht das Immunsystem von MS-Kranken beeinflussen kann. Zusammen mit der Dermatologin Karin Loser von der Uniklinik für Hautkrankheiten in München untersuchten sie, welche Veränderungen im Immunsystem bei moderater Sonneneinstrahlung eintreten.

Erfahrungen aus der Behandlung der Schuppenflechte

„Aus der Behandlung der Schuppenflechte wissen wir, dass UV-Licht eine positive Wirkung auf das Immunsystem hat“, erläutert Karin Loser. Dies zeigte sich auch bei den MS-Kranken, die über einen Zeitraum von sechs Wochen täglich einer moderaten UV-B-Bestrahlung ausgesetzt wurden: Schon einen Tag nach Beginn der Bestrahlung fanden die Mediziner zwei bestimmte Zelltypen vermehrt vor, die regulierend in das Abwehrsystem eingreifen. Sie halten das Immunsystem davon ab, sich selbst zu bekämpfen. In Mäuseversuchen konnten die Forscher feststellen, dass die speziellen Zelltypen zunächst in der Haut gebildet werden, dann ins Blut wandern und schließlich zum Ort der Entzündung – in diesem Fall das zentrale Nervensystem – gelangen, wo sie ihre positive Wirkung entfalten. Sie schützen das Immunsystem vor einer Überreaktion und drosseln die Autoimmunprozesse, die der multiplen Sklerose zugrunde liegen.

„Wir können sagen, dass Sonnenlicht das überschießende Immunsystem beruhigt“, kommentiert Wiendl die Ergebnisse. Allerdings verschwindet die Wirkung schneller als die Sonnenbräune. Wurde die Bestrahlung unterbrochen oder beendet, ging die Zahl der regulatorischen Zellen schnell wieder zurück. „Dies sind induzierbare Zellen, die auch nur dann aktiv sind“, so der Neurologe.

Sonnenlicht wichtig für ein gesundes Immunsystem

Die Beobachtungen der Münsteraner Forscher sind ein Beispiel dafür, wie Umweltfaktoren wie das Sonnenlicht auf das Immunsystem wirken und so den Verlauf einer Krankheit beeinflussen können. Für eine generelle Empfehlung zu „mehr Sonne“ ist es nach Wiendls Meinung aber noch zu früh. Vor allem warnt er vor zu viel Sonnenstrahlung, denn dann könnte ein Sonnenbrand mit all seinen negativen Folgen ausgelöst werden. Die Umwelt in Form der Sonne spiele auch bei der Ausbildung und Reifung eines gesunden Immunsystems in den ersten 18 Lebensjahren eine Rolle, betont Heinz Wiendl. Dies zeige das eindeutige Nord-Süd-Gefälle beim Auftreten der multiplen Sklerose.

Multiple Sklerose – eine Autoimmunerkrankung

Krankheit
Die multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung. Dies bedeutet, dass sich das Immunsystem des Körpers nicht mehr darauf beschränkt, fremde und krank machende Eindringlinge zu bekämpfen. Vielmehr richtet es sich fälschlicherweise gegen Strukturen des eigenen Körpers. Dadurch kommt es zu heftigen Entzündungsreaktionen und, damit verbunden, zu Schäden an den beteiligten Organen und Geweben.

Vielfalt
Zu den Autoimmunerkrankungen gehören ganz unterschiedliche Krankheiten wie Typ-1-Diabetes, rheumatoide Arthritis, Morbus Crohn oder Schuppenflechte.

Schädigung
Bei der multiplen Sklerose richtet sich das Immunsystem gegen die äußere Schicht der Nervenfasern im Gehirn und schädigt diese. Die Symptome der Krankheit können sehr unterschiedlich sein, je nachdem, in welchem Hirnbereich die Nervenfasern betroffen sind. Die Krankheit verläuft meist in Schüben: Nach einer unterschiedlich langen Phase des Stillstands flammen die Symptome erneut auf, oder es kommen neue Symptome hinzu.