Ich habe den Eindruck, dass die Medizin, die ich für einen Zeitraum von 30 Jahre überblicke, besser und besser geworden ist. Sie hat viel erreicht, ist aber auch an Grenzen gestoßen. Sie muss jetzt lernen, neu nachdenken. Dabei geht es in erster Linie um ethische Fragen in Grenzbereichen, die wieder alltäglich gestellt werden müssen. Ich vertraue der Medizin als Arzt und auch als Patient. Wir haben insgesamt ein gutes Gesundheitssystem.

 

Wir spitzen die Diskussionen zu sehr auf dramatische chirurgische Eingriffe zu. Aber eigentlich liegen die großen Fortschritte in der Hygiene, in der Pharmakologie und in neuen therapeutischen Verfahren im internistischen Bereich. Die Chirurgie hat ihre Methoden verfeinert und ihren Teil dazu beigetragen, dass die Menschen heute ein Alter von durchschnittlich 80 Jahren erreichen können. Die großen Fortschritte der vergangenen 50 Jahre liegen aber auf anderen Gebieten, die oft nicht im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen.

Die Forderung nach mehr Personal im Krankenhaus ist sicher wichtig. Aber wenn wir das vorhandene Personal an Ärzten und Pflegekräften mehr in die Entscheidungsprozesse einbinden und sie für die Mitarbeit gewinnen können, dann könnten viele Trägheitsmomente, die in einem Klinikablauf stecken, überwunden werden. Mehr Miteinander ist zeitsparend und kostengünstig. Davon sind auch die Ökonomen leicht zu überzeugen.

Zur Person: Udo Schuss, HNO-Spezialist, war leitender Oberarzt in der Hals-Nasen-Ohren-Abteilung des Katharinenhospitals (Klinikum Stuttgart) von 1988 bis 2011. Er engagiert sich bis heute für den Marburger Bund, die Interessenvertretung der Klinikärzte.