Was der Oberbürgermeister von der Idee hält, das Gebetshaus künftig als Ärztehaus zu nutzen, war in der öffentlichen Sitzung des Gemeinderats, die am Anschluss an das Gespräch mit den Muslimen anstand, zumindest zwischen den Zeilen heraushören. Zur Erinnerung: Das Ehepaar Anna-Laura und Alexander Kappes aus dem Ortsteil Oberaichen möchte der Stadt das Gelände abkaufen und die Moschee in ein Ärztehaus umwandeln. „Dass es bei uns Ärzte gibt, die bereit sind zu investieren und unternehmerisch aktiv sein wollen, sind keine schlechten Vorzeichen“, sagte er auf Nachfrage von CDU-Fraktionschefin Ilona Koch. „Wir wollen aber keine Einzellösung schaffen, sondern alle Ärzte mitnehmen.“
Zentraler Standort für Ärztehaus entscheidend
Zumal der Standort für ein Ärztehaus entscheidend sei. Dieser sollte gut erreichbar sein. „Größere Praxen und gesundheitsnahe Dienstleistungen bringen eine hohe Frequenz an Menschen mit sich. Das ist ein echtes Potenzial für unsere Stadtmitten und den dortigen Einzelhandel“, erklärt er auf Nachfrage. Der persönliche Arztbesuch sei weiterhin notwendig – diese Wege können zugleich Wege in die Innenstadt sein. „Aus diesem Grund halte ich einen zentral gelegenen Standort grundsätzlich für geeigneter als eine Lage in der Peripherie oder in einem Gewerbegebiet.“
In der öffentlichen Sitzung ging es nicht um die Moschee, sondern um die Ärzteversorgung in der Stadt. Martin Felger, Arzt, Betriebswirt und Geschäftsführer der Firma Diomedes, hatte dort erklärt, warum die hausärztliche Versorgung zunehmend Probleme mache und was Kommunen dagegen tun können. „Es gibt immer mehr Hausärzte, die in Teilzeit arbeiten wollen“, sagte der Experte, der Kommunen in Sachen hausärztlicher Versorgung berät. Es gebe zudem eine Überalterung der Ärzteschaft. 40 Prozent der Hausärzte seien über 60 Jahre alt. Jüngere Kollegen dagegen tendierten dazu, in Teilzeit zu arbeiten, sich in einer Praxis anstellen zu lassen. Sie wollten keine Einzelpraxis übernehmen, vielmehr im Team arbeiten. Zumal sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtert haben: „Die Kosten für das Personal steigen“, betonte er. Darauf sollten Kommunen reagieren und zuallererst das Gespräch mit der Ärzteschaft suchen, „um zu wissen was läuft“. Sie könnten mit Flächen für größere Arztpraxen helfen, oder auch selbst zum Arbeitgeber für Ärzte werden, indem sie ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) gründen – beispielsweise in Form einer Genossenschaft.
In Leinfelden-Echterdingen gibt es einerseits eine „engagierte und kreative Ärzteschaft“, betonte Otto Ruppaner, aber auch einen Ärztemangel. Wie hoch dieser genau ist, soll mit Hilfe des Experten Felger erfasst werden. Eine Analyse soll Aufschluss über die Anzahl der Haus- und Fachärzte und deren Altersstruktur geben. Wann welche Praxen wegfallen, wie die Lebensplanung vorhandener und potenzieller Ärzte aussehe, soll danach klar sein.
Zu den Beratungen für den Etat 2025/26 hatte die SPD einen Antrag gestellt. Darin heißt es: „In den letzten Monaten sind einige Praxen geschlossen worden, andere nehmen keine neuen Patienten mehr auf.“ Und: „Es besteht die Sorge, dass Menschen keinen Arzt mehr finden oder lange auf einen dringend nötigten Termin warten müssen.“ Es drohe eine Versorgungslücke. „Patienten werden abgelehnt, weil die Praxen voll sind“, hat Barbara Sinner-Bartels (SPD) erst jetzt wieder beobachtet. Die Sozialdemokraten wünschen sich einen runden Tisch zu dem Thema – „mit dem Ziel Lösungsansätze zu erarbeiten, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken.“
Eberhard Wächter, Fraktionschef der Freien Wähler/FDP und Apotheker in Echterdingen, betonte in der Sitzung, dass es zu wenig Ärzte in der Stadt gebe und auch eine Überalterung der Ärzteschaft vorliege. Die Kommune stehe hier auch in Konkurrenz mit anderen Gemeinden. Erst in diesem Monat habe die Stadt eine Frauenarztpraxis verloren. Deren Adresse liege nun in Filderstadt.
Mit der Ärzteschaft ins Gespräch zu kommen, ist nun das erklärte Ziel. Ein geführter Dialog soll gestartet werden, betont Ruppaner. Ob dieser Prozess schließlich in Richtung eines MVZ oder in eine vergleichbare Struktur führt, werde sich zeigen.
Keine Pflichtaufgabe
Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung ist keine Pflichtaufgabe für Städte und Gemeinden. Otto Ruppaner, Rathauschef von Leinfelden-Echterdingen, hält es im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge dennoch für zwingend geboten, „dass wir uns als Stadtgesellschaft aktiv in diese Frage einbringen“, wie er betont.
56 Hausarztsitze fehlen
Im Planungsbereich Stuttgart – zu dem auch Leinfelden-Echterdingen gehört – sind laut Martin Felger, Geschäftsführer der Firma Diomedes mit Sitz in Melsungen, aktuell 56 Hausarztsitze nicht besetzt. Der Experte hat in seinem Vortrag auf eine Studie der Robert-Bosch-Stiftung hingewiesen, die im Jahr 2021 veröffentlich wurde. Dieser Studie nach werden im Jahr 2035 deutschlandweit etwa 11 000 Hausarztstellen unbesetzt sein, fast 40 Prozent der Landkreise werden demnach unterversorgt oder von einer Unterversorgung bedroht sein.