Spurensuche in Ellwangen: Erbgutanalysen des Erregers zeigen die Wege seiner Verbreitung auf.

Stuttgart - Als die Arbeiter im Jahr 2013 beginnen, den Marktplatz von Ellwangen umzubauen, stoßen ihre Schaufeln nicht nur auf Steine und Erde, sondern bald auch auf etliche Skelette. Mitten in der Stadt im Osten Baden-Württembergs taucht ein Massengrab auf, in dem um die Mitte des 16. Jahrhunderts mehr als hundert Menschen bestattet worden waren. Nur Kriege oder Seuchen töten so viele Menschen in kürzester Zeit, dass nicht jeder sein eigenes Grab erhält. Das bestätigt dann auch Johannes Krause, der Professor an der Universität Tübingen und am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena ist, innerhalb eines Jahres: Die Menschen waren einer Pest-Epidemie zum Opfer gefallen, die bereits in der Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa ausgebrochen war. Das Massengrab unter dem Marktplatz von Ellwangen liefert so einen wichtigen Eckstein zur Geschichte dieser Seuche, die Johannes Krause und seine Kollegen nun im Fachjournal „Cell Host & Microbe“ beschrieben haben.

 

Erbgut des Pestbakteriums hat überlebt

Die Forscher konzentrieren sich bei ihrer Arbeit vor allem auf das Erbgut der Pesterreger, das in den Zähnen der Opfer die Jahrhunderte überstanden hat. Wie bei jedem Lebewesen verändert sich dieses Erbgut im Laufe vieler Generationen ein wenig. Solche winzigen Variationen verraten Johannes Krause nach akribischen Analysen zum Beispiel die Herkunft und Entwicklung des Bakterium Yersinia pestis, das die Pest auslöst. Die Erreger aus dem Massengrab unter dem Marktplatz von Ellwangen aber ähneln einem Pestbakterium sehr, das die Forscher vor kurzem untersucht haben und das von der letzten großen Pestepidemie Europas stammt. Diese grassierte 1720 bis 1722 und damit weit mehr als ein Jahrhundert später in Marseille.

Einen weiteren engen Verwandten der Pestbakterien aus Südfrankreich und Baden-Württemberg entdeckten die Forscher jetzt auch in einem Massengrab in Barcelona. Dort aber starben die Menschen bereits 1348 und damit während der ersten Pestwelle, die in der Mitte des 14. Jahrhunderts Europa erreichte. Im gleichen Jahr lagen auch in den Straßen Londons überall Leichen mit riesigen, schwarzblauen Beulen, auch dort hatte der gleiche Erreger wie in Barcelona, Ellwangen und Marseille zugeschlagen. Allein in der Mitte des 14. Jahrhunderts raffte der Schwarze Tod rund 30 Millionen Menschen und damit beinahe die Hälfte der Bevölkerung des Kontinents dahin.

Erstmals mit Pesterreger konfrontiert

Diese furchtbare Todesrate können die Wissenschaftler einleuchtend erklären. Die Europäer waren damals vermutlich zum ersten Mal mit diesem Stamm von Yersinia pestis konfrontiert, der anscheinend aus Asien zu ihnen kam. Die Menschen hatten sich also noch nicht an den Erreger aus dem Osten anpassen können und niemand wusste, wie man die Epidemie eindämmen kann. Spätere Ausbrüche der Pest verliefen dann auch weniger schrecklich.

Die Geschichte der Pest ist jedoch deutlich älter, schon vor mindestens 5000 Jahren infizierten Menschen sich in den Steppen Zentralasiens mit Yersinia pestis, zeigen Analysen von Erbgut aus dieser Zeit. Allerdings fehlte dem Erreger damals noch eine wichtige Erbeigenschaft, mit deren Hilfe er sein Opfer in einer komplizierten Kettenreaktion leichter erreicht. Der Überträger des Pestbakteriums ist nämlich ein Floh, der normalerweise auf Ratten lebt. Unter diesen Nagetieren wiederum wütet eine Pestinfektion ähnlich heftig wie der Schwarze Tod im 14. Jahrhundert in Europa – die Ratten sterben massenweise. Notgedrungen sucht sich der Floh einen neuen Wirt. Und stößt dabei rasch auf Menschen, die in Städten und auf Schiffen seit jeher ungewollt eng mit Ratten zusammenleben.

Schwierige Übertragung

Leicht klappt die Übertragung aber trotzdem nicht, weil der Floh sehr große Mengen des Erregers aus dem Blut der Ratten aufnehmen und anschließend an einen Menschen weitergeben muss. „Genau an dieser Schnittstelle kommt die neue Erbeigenschaft ins Spiel, die sich irgendwann vor 3000 bis 4000 Jahren entwickelt hat“, erklärt Johannes Krause. Sie lässt das aus der Ratte aufgesaugte Blut im Magen des Flohs zusammenklumpen. Dadurch verstopfen die Verdauungsorgane, der Floh hungert und sucht sich rasch ein neues Opfer. Bei diesem Biss aber übergibt er sich und ein Teil seines Mageninhaltes landet mitsamt den Pesterregern im Blut des Opfers. Die neue Erbeigenschaft erhöht die Infektionsgefahr für Menschen also kräftig.

Nach Europa kam die Pest zum ersten Mal anscheinend 542 nach Christus, als sie sich von Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, über den gesamten Mittelmeerraum ausbreitete und auch Mitteleuropa erreichte: In einem Opfer dieser Justinianischen Pest, das in der Nähe des heutigen München starb, konnten Forscher das Erbgut von Yersinia pestis nachweisen. „Das war jedoch ein ganz anderer Stamm als der Erreger des Schwarzen Todes im 14. Jahrhundert“, berichtet Johannes Krause.

Der Weg über die Halbinsel Krim

Dieser wiederum erreichte Europa anscheinend über die Halbinsel Krim. Dort belagerten die Tataren 1345 die Handelsstadt der Genuesen Kaffa und schleuderten dabei auch Leichen in den Ort. Darunter waren wohl auch Pestopfer, von denen Flöhe den Erreger auf die Belagerten übertrugen. Als die Genuesen sich zurückziehen mussten, nahmen sie ihre Toten und damit auch das Pestbakterium mit. 1346 tauchte die Infektion in Konstantinopel auf, erreichte im selben Jahr Messina auf Sizilien und 1347 schließlich Genua. Von dort breitete sich die Epidemie dann rasch über Europa aus.

Auch in den Jahrhunderten danach flackerten immer wieder Pestepidemien auf, die allerdings deutlich glimpflicher verliefen, weil die Menschen sich an den Erreger gewöhnt hatten und lernten, die Gefahr zu meistern. Besonders betroffen aber waren fast immer Hafenstädte und Ballungsgebiete. Daraus schlossen einige Forscher bisher, dass der Erreger jedes Mal von Handelsschiffen neu nach Europa getragen wurde. Diese Überlegung aber widerlegen Johannes Krause und seine Kollegen mit ihren Erbgut-Untersuchungen eindeutig. „In Europa war es immer der gleiche Stamm, der über beinahe vier Jahrhunderte immer wieder neue Epidemien auslöste“, erklärt der Forscher. Offensichtlich hatte sich die Pest in Europa festgesetzt und verschwand erst im 18. Jahrhundert wieder.

Winzige Veränderungen im Erreger-Erbgut

Aber keineswegs spurlos. „Bereits 1361 tauchten im Erbgut von Pest-Erregern aus London winzige Veränderungen auf, aus denen später ein neuer Stamm von Yersinia pestis entsteht“, berichtet Johannes Krause. Dieser in Europa entstandene Stamm trat 1855 im chinesischen Yunnan wieder in Erscheinung und löste die dritte große Pestwelle in der Geschichte der Menschheit aus. Ein halbes Jahrhundert wütete die Infektion in Asien, erreichte von dort Regionen wie die Insel Madagaskar und auch Nordamerika. Dort überleben die Erreger anscheinend in Präriehunden in der Region des Grand Canyon und infizieren noch heute immer wieder einmal Menschen. Zu einer großen Epidemie wie im 14. Jahrhundert in Europa oder im 16. Jahrhundert in Ellwangen aber ist es dort noch nicht gekommen.

Tödliche Krankheit

Beulenpest Bei der anscheinend häufigsten Form der Infektion beißt ein Floh das Opfer und überträgt dabei das Pestbakterium, das sich in der Umgebung rasch vermehrt. Die Lymphknoten und Lymphgefäße in der Nähe der Bissstelle schwellen dabei zu Beulen an – daher der Name Beulenpest. Diese Beulen haben bis zu zehn Zentimeter Durchmesser und schmerzen höllisch. Innere Blutungen färben sie blauschwarz.

Pestsepsis So nennen Ärzte die Form der Infektion, bei der das Pestbakterium aus Pestbeulen oder über offene Wunden in die Blutbahn gelangt und sich dort vermehrt. Dabei sammeln sich die Erreger unter anderem in den gut durchbluteten Zahnwurzeln, aus denen ihr Erbgut unter Umständen noch Jahrhunderte nach dem Tod isoliert und untersucht werden kann – so wie bei den Opfern in Ellwangen. Unbehandelt führt die Pestsepsis sehr schnell zum Tod.

Behandlung Die Infektion wird heute mit Antibiotika behandelt, was aber nur dann Erfolg hat, wenn die Bekämpfung rasch erfolgt. Seit dem Mittelalter versuchten Ärzte und Behörden, die Übertragung des Erregers mit Quarantäne zu verhindern: Die Infizierten werden isoliert und können so den Erreger, der außerhalb des Körpers nicht lange überlebt, nicht weitergeben. Solche Quarantäne-Vorschriften gelten in Mitteleuropa heute neben der Pest auch noch für hämorrhagische Fieber-Erkrankungen wie Ebola oder Lassa.