Das hat es so in den deutschen Arztpraxen noch nicht gegeben: Der Verband medizinischer Fachberufe (VmF) hat seine Mitglieder erstmals zum Warnstreik aufgerufen. Auch in Stuttgart wurde protestiert – mit Erfolg.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Die erhöhte Protestbereitschaft hat nun auch die Arzthelferinnen und -helfer erfasst: Erstmals haben mehr als 2000 der bundesweit 330 000 Medizinischen Fachangestellten (MFA) am Donnerstag ganztägig die Arbeit niedergelegt, um für höhere Einkommen einzutreten. Somit kam es zu Beeinträchtigungen in den davon betroffenen Praxen niedergelassener Ärzte.

 

Zu den Streiks aufgerufen hatte der Verband medizinischer Fachberufe (VmF) – ein Novum für die Arbeitnehmerorganisation, die seit 1969 Tarifverträge für die Arzthelferinnen aushandelt. Tarifpartner ist die Arbeitsgemeinschaft zur Regelung der Arbeitsbedingungen (AAA). Am Donnerstag wurden auch die seit Oktober laufenden Verhandlungen in der vierten Runde in Berlin fortgesetzt. Unter dem Druck der Proteste einigten sich die Unterhändler am Nachmittag auf einen Kompromiss. Die Details werden aber erst nach Ende der Erklärungsfrist am 16. Februar bekannt gegeben.

Abwanderung wegen des geringen Gehalts

In sechs größeren Städten war es zu Kundgebungen gekommen – auch in Stuttgart, wo sich mehr als 150 Arzthelferinnen auf dem Schlossplatz beteiligten. Es seien mehr Nicht-Mitglieder als Mitglieder dabei gewesen, sagt die Vorsitzende des Landesverbandes Süd, Jutta Napiwotzky. „Endlich macht ihr mal was!“, sei die Botschaft vieler gewesen. „Wir waren immer sehr ruhig – dann wird man als Verband nicht so wahrgenommen“, bekennt sie und betont die Dringlichkeit, die Einstiegsgehälter anzupassen. Zudem müssten den langjährigen Kräften Entgelte gezahlt werden, die zum Verbleib im Beruf motivieren. Denn immer mehr Personal wandere wegen der Vergütung in die Kliniken und andere Bereiche ab.

Einige haben Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen

Im Vorfeld hätten sich bei einer Umfrage mehr als 70 Prozent der Mitglieder für einen Streik ausgesprochen. Nun hätten sich teils ganze Praxisbelegschaften beteiligt, sodass nur noch der Chef und vielleicht eine Kraft „die Stellung gehalten haben“. Sie denke schon, dass „eine Menge Praxen bei ihrer Arbeit etwas ins Stocken gekommen sind“, sagt Napiwotzky. Genauer sei dies zunächst aber nicht zu beziffern.

Viele Mitglieder hätten auch angekündigt, sich mit einem Protestschild vor die Praxis zu stellen. Andere Kolleginnen hätten wiederum Bedenken gehabt, wegen eines Streiks entlassen zu werden. Die Beschäftigten hätten zwar ein Streikrecht, doch sei es ja möglich, dass ein anderer Kündigungsgrund vom Arbeitgeber angegeben werde. Ein unrechtmäßiges Handeln sei dann schwer nachzuweisen.

Verbandspräsidentin Hannelore König meinte, dass die Auswirkungen des Streiks nicht flächendeckend zu spüren seien. „Aber dort, wo die MFA nicht zur Arbeit kommen, ist es ein Ausblick darauf, was droht, wenn wir nicht die Gehälter erhöhen.“ Dann sei die ambulante Versorgung der Patienten gefährdet. Mehrere Ärzteverbände wie der Virchowbund gaben Rückendeckung: Sie riefen Krankenkassen und Politik auf, die „chronische Unterfinanzierung“ der Kassen zu beheben sowie die notwendigen Steigerungen bei den Personalkosten auszugleichen. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Tino Sorge (CDU), warf dem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor, die Problematik der Praxisvergütungen „auszusitzen“ und keine Finanzierungsvorschläge im Parlament einzubringen.

2207 bis 4434 Euro im Monat für eine Medizinische Fachkraft

Nach dem bis Ende Dezember gültigen Tarifvertrag erhält eine vollzeitbeschäftigte MFA in der Tarifgruppe I rund 2207 Euro pro Monat vom ersten bis vierten Berufsjahr bis zu 3058 Euro vom 29. Berufsjahr an. In der höchsten Tarifgruppe VI reicht die Bandbreite von 3200 bis 4434 Euro. Zu den Arbeitsbereichen gehören neben Terminvergaben die Assistenz bei Untersuchungen und chirurgischen Eingriffen – ferner Dokumentation, Hygienemaßnahmen, Praxismanagement und Abrechnungen.

Einziger Verbandszweck der AAA ist der Abschluss von Tarifverträgen für das Praxispersonal. Die Abschlüsse mit der Gewerkschaft VmF gelten unmittelbar zwingend nur für Mitglieder – somit müssen der ärztliche Arbeitgeber Mitglied der AAA und die medizinische Fachkraft dem VmF angehören. Theoretisch könne es sein, dass in einer Praxis einerseits nach dem Arbeitsvertrag des Verbandes gezahlt werde und andererseits nach dem Vertrag der Ärztekammer, sagt Napiwotzky. Im Falle der Tarifbindung würden von den Praxisinhabern in aller Regel aber keine Unterschiede gemacht.