Mit einem günstigen und zuverlässigen Test könnten künftig frühzeitig Krankheiten erkannt werden. Auch Handys werden in der Dritten Welt unterstützend eingesetzt.

Stuttgart - Der Vorwurf wiegt schwer: Milliarden fließen jährlich in die ärmsten Länder der Welt, in ungezählte Projekte, aber am Ende bleiben die Armen gerade deshalb arm. Diese fundamentale Kritik an der Entwicklungshilfe bringt der kenianische Ökonom James Shikwati regelmäßig vor. Und obwohl viele seine radikale Position wohl nicht teilen, werden Sinn und Nutzen von Hilfsprojekten immer häufiger hinterfragt.

 

Auch unter Forschern erheben sich kritische Stimmen lauter denn je. „Es hapert an der genauen Diagnose der Bedürfnisse der Bedürftigen“, findet Tikki Pang, Leiter der Abteilung Forschungspolitik der Weltgesundheitsorganisation in Genf. Deshalb erreichen zu viele Projekte nicht die Menschen. Nur einige Beispiele: ein Schnelltest zur Erkennung arsenverseuchter Brunnen in Bangladesch zeigte bedrohliche Giftmengen nicht richtig an. Rollstühle verrosten reihenweise in Afrika, weil sie auf unbefestigten Wegen nicht zu gebrauchen sind. Und die Qualität von Schnelltests für verschiedene Seuchen sei oft schlecht, moniert Pang. Bei Malaria liegt die Trefferquote nur bei 60 Prozent und Tuberkulose-Kits funktionieren überhaupt nicht. „Eine falsche Diagnose ist genauso schlimm wie ein falsches Medikament“, mahnt der WHO-Experte.

Wie man aus den bisherigen Kardinalfehlern der Entwicklungshilfe lernen kann, beschäftigt die Medizinerin Rosanna Peeling von der London School of Hygiene and Tropical Medicine seit Jahren. Sie selbst betreut viele Projekte in ärmeren Ländern und ist damit eine klare Fürsprecherin von Entwicklungshilfe. In verschiedenen Leitlinien erteilt sie ihren Kollegen Lektionen, wie eine wirksame Unterstützung im Bereich der medizinischen Diagnostik auszusehen hat, denn es geht um mehr als den Nachweis der Wirksamkeit in einer wissenschaftlichen Untersuchung.

So müssen Instrumente und Teststreifen tropisch-feuchte Luft und mehr als 30 Grad Celsius aushalten. Mit moderner Infrastruktur wie Strom und Computern darf man nicht unbedingt rechnen. Bis heute sind deshalb Mikroskope zum Nachweis von Krankheitserregern im Stuhl oder Gewebe in ärmeren Ländern weitverbreitet.

Hoffnung auf neue POC-Tests

Die Hoffnungen der britischen Tropenmedizinerin Peeling ruhen deshalb auf einer neuen Generation von Schnelltests, sogenannten Point-of-Care- oder POC-Tests. Sie ähneln einem handelsüblichen Schwangerschaftstest und kosten üblicherweise wenige Cent. In einem Plastikgehäuse befindet sich ein Testfeld, auf das Blut oder Urin geträufelt wird. Kurze Zeit später wird die Diagnose zum Beispiel mit einer Farbänderung verkündet. „Diese Tests sind schnell. Sie können verlässlich und bezahlbar sein. Sie erfordern kein Labor und nur eine minimale Ausbildung“, sagt Peeling. POC-Tests gibt es schon für HIV, Syphilis und Malaria. Doch sie fehlen bis heute für vernachlässigte Krankheiten, die im Westen nicht vorkommen: etwa die Infektionskrankheiten Leishmaniose und die Schlafkrankheit. Tausende Menschen in Afrika sterben jedes Jahr daran, dabei ließen sie sich behandeln, wenn sie erkannt würden.

Bernhard Weigl, Forschungsleiter am Point-of-Care-Zentrum in Seattle (US-Bundesstaat Washington), möchte diese Lücke füllen. Er arbeitet an einem Test, der gleich mehrere Krankheiten auf einmal erkennt: die Schlafkrankheit, aber auch Tuberkulose, Malaria, Typhus, Denguefieber und die Chagas-Krankheit zum Beispiel. Das Minilabor wird nicht größer sein als ein Feueranzünder, so Weigls Vision. Vor allem soll er verlässlicher funktionieren als bisher verfügbare Schnelltests.

Übliche POC-Tests beruhen auf einer Markierungssubstanz, die sich an Moleküle heftet, mit denen das Immunsystem auf eine bestimmte Krankheit reagiert. So produziert das Immunsystem zum Beispiel für jeden Erreger spezielle Antikörper. Die Markierungssubstanz heftet sich an die Antikörper und macht sie so sichtbar. „Diese Methode springt erst bei einigen Tausend Erregern im Blut an. Das ist nicht immer ausreichend“, sagt Weigl. Im Labor erkennt man dagegen bereits einen einzigen Keim im Blut. Bernhard Weigl möchte auch die POC-Tests so empfindlich machen.

Auch SMS per Handy kann den Kranken helfen

Dazu nutzt er eine andere Methode. Er will das Erbgut des Erregers vervielfältigen, indem er etwas Körperflüssigkeit mit dem Erreger wiederholt erhitzt und abkühlt. Danach liegen die relevanten Genabschnitte in großer Zahl vor und können molekularbiologisch nachgewiesen werden. Weigl möchte dieses Nachweisverfahren in Form eines POC-Tests in die Mangrovenwälder und Savannenregionen bringen. Dazu arbeitet er zurzeit an einer stromlosen Heizung für das Vervielfältigen des Erbmaterials. Sein Mittel der Wahl: Kalkpulver wird heiß, wenn man Wasser darauf träufelt. Die Temperatur lässt sich über das Verhältnis von Wasser und Kalk exakt einstellen. „Binnen zehn Minuten bis zu einer Stunde kann man so im Blut alle erdenklichen Krankheitserreger diagnostizieren“, versichert Weigl.

Dass moderne Technik den Bewohnern ärmerer Länder helfen kann, beweist das seit 2009 wachsende SMS-Gesundheitssystem „Child Count+“ in Afrika. Via Handy wird der Zustand von mehr als 14 000 Schwangeren und 75 000 Kindern abgefragt. Bei Durchfall, Fieber oder anderen Beschwerden empfehlen Gesundheitsberater per SMS aus der Ferne, beispielsweise bestimmte Medikamente einzunehmen oder zum nächsten Krankenhaus aufzubrechen. Die Familien werden via Mobiltelefon über Impfkampagnen informiert und an die Einnahme von Arzneien erinnert. Alle Textnachrichten sind kostenlos. „Mobiltelefone haben ein immenses Potenzial, eine Trendwende bei der Mütter- und Kindersterblichkeit einzuleiten, auch wenn sie kein Allheilmittel sind“, sagt Matt Berg von der Universität Columbia in New York, der das Projekt angestoßen hat. 70 Prozent der fünf Milliarden Mobiltelefone befinden sich in Entwicklungsländern. In den meisten Staaten gibt es mehr Handys als Krankenhäuser, Ärzte und Pfleger zusammengenommen.