Das Tübinger Unternehmen Erbe sieht sich als Pionier bei Hightechgeräten für Operationssäle. Produziert wird nur in Deutschland, verkauft dagegen überwiegend im Ausland.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Tübingen - Einem hätte es Christian Erbe möglicherweise niemals recht machen können – seinem 1821 geborenen Ur-Ur-Großvater Christian Heinrich Erbe. Der Gründer des Tübinger Traditionsunternehmens war offenbar recht eigen; Mitarbeiter stellte er nicht ein, weil er sich an das Motto hielt „Was man nicht selbst macht, wird nix“. Mit dieser Einstellung, möglicherweise passend zu einem Tüftler, wäre das Medizintechnikunternehmen bestenfalls ein kleiner Handwerksbetrieb geblieben. Heute aber stehen etwas mehr als 800 Mitarbeiter auf den Lohn- und Gehaltslisten, verkauft werden die medizintechnischen Geräte aus Tübingen rund um den Globus.

 

Demnächst gründet Erbe in Lima eine Vertriebsniederlassung, um den Markt in Mittel- und Südamerika noch besser erschließen zu können. Die Musik aber spielt in Tübingen und Umgebung, zumindest was die Produktion betrifft. „Wir stellen unsere Geräte nur in Deutschland her“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter, der das Unternehmen zusammen mit seinem Schwager Reiner Thede führt. Daran soll sich auch nichts ändern, im Gegenteil. In Tübingen werden gerade 25 Millionen für einen Neubau, ein Schulungszentrum und die energetische Sanierung der bestehenden Gebäude investiert. Zudem wurde bereits im Sommer ein etwa drei Millionen Euro teures Gebäude mit Lehrlingswerkstatt, Maschinenbau und Prototypenherstellung bezogen, „eine kleine Fabrik“, wie der geschäftsführende Gesellschafter sagt.

Ebenfalls im Sommer haben die Tübinger in Rangendingen bei Hechingen rund drei Millionen Euro in eine zweite Produktionsstätte investiert. Etwa 40 Mitarbeiter stellen dort in einem Reinraum sterile Einweginstrumente für Ärzte her. Neben dem Gebäude, das bisher einem anderen Hersteller medizintechnischer Geräte gehörte, hat sich Erbe bereits ein etwa 20 000 Quadratmeter großes Grundstück für mögliche Erweiterungsbauten gesichert.

„Der größte Importeur“

Die Zeichen stehen auf Expansion. In diesem Jahr steigt der Umsatz um zehn Prozent auf 160 Millionen Euro, für 2013 strebt Erbe ein Plus in ähnlicher Höhe an. Lieferungen an das Gesundheitswesen sind vom Auf und Ab der allgemeinen Konjunktur weniger abhängig, zumal Verbrauchsgüter wie etwa Einweginstrumente immer benötigt werden. Nicht nur dies hilft Erbe: „Es kommt uns zugute, dass wir mit unserem Verkauf global aufgestellt sind“, meint der geschäftsführende Gesellschafter.

Exporte tragen 85 Prozent zum Umsatz bei, der größte einzelne Markt waren im zu Ende gehenden Jahr mit umgerechnet rund 45 Millionen Euro die USA. Auf dem zweiten Platz folgt Deutschland mit 20 Millionen Euro, auf Rang drei liegt China mit 15 Millionen Euro. Kein anderes Unternehmen exportiert mehr Geräte nach China. Oder, wie es Erbe ausdrückt: „Wir sind der größte Importeur elektrochirurgischer Systeme.“ Das Reich der Mitte sieht Erbe als einen seiner Wachstumsmärkte an, ebenso Indien sowie Nord- und Südamerika. In Griechenland und Spanien dagegen spürt das Unternehmen bereits, dass weniger in das Gesundheitswesen investiert wird. „2010 und 2011 haben wir auch gemerkt, dass in Moskau zwei Jahre lang nichts in modernere Geräte für die Krankenhäuser investiert wurde.“ Der Markt in Deutschland, wo vom kommenden Jahr an auch direkt an Krankenhäuser verkauft werden soll, stagniert.

Aufgrund des insgesamt steigenden Umsatzes wächst auch die Zahl der Mitarbeiter. Dieses Jahr kamen 70 neue hinzu, zumindest eine leichte Steigerung soll es auch 2013 geben. Seit 2007 wurden in Deutschland 230 neue Arbeitsplätze geschaffen, überwiegend in Tübingen.

„Wir sind eigenfinanziert“

Das Unternehmen wächst besonders wegen seiner Hightechgeräte. Dabei handelt es sich um Hochfrequenzchirurgiegeräte und um Wasserstrahlchirurgiegeräte. Mit Hochfrequenzchirurgiegeräten etwa können kranke Zellen verdampft werden, zudem können Wunden besser behandelt werden: „Früher hat man genäht, mit den Hochfrequenzgeräten können die Wunden geschweißt werden.“ An die Geräte kann eine Vielzahl von Instrumenten angeschlossen werden, etwa Katheter, Scheren, Pinzetten oder Instrumente zum Verschweißen von Gefäßen. Als Pionier sieht sich Erbe auch bei Wasserstrahlgeräten. Mit diesen kann Gewebe geschnitten werden, ohne dass Nerven oder Blutgefäße durchtrennt werden. „Die Kombination beider Geräte ist eine Spezialität von Erbe“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter, „das bieten nur wir an.“

Hochfrequenzgeräte gehören inzwischen zur üblichen Ausstattung von Operationssälen. Erbe ist dabei oftmals Marktführer: In Deutschland liegt der Marktanteil bei 80 Prozent, in der Schweiz gar bei 95 Prozent. Die Geräte aus Tübingen gibt es in einer Reihe von Variationen: „Der Gynäkologe braucht andere Geräte als der Urologe oder der Hals-Nasen-Ohren-Arzt.“ Die Konstrukteure indes haben nicht nur an die Ärzte gedacht: „Um es auch für das Pflegepersonal möglichst einfach zu machen, haben wir das Bedienfeld ähnlich aufgebaut wie bei einem Geldautomaten.“

Zehn Prozent des Umsatzes steckt das Unternehmen in Forschung, Entwicklung und Schutzrechte. Doch nicht nur weil man sich als Anbieter von Spitzentechnik sieht, soll auch weiter nur in Deutschland produziert werden. „In China steigen die Löhne auch“, sagt Erbe. Dass man auch von Deutschland aus beim Preis mithalten kann, ist für ihn zumindest bei seinen Produkten keine Frage – auch durch zunehmende Automatisierung der Produktion.

Das Ergebnis bezeichnet Erbe als auskömmlich. „Wir sind eigenfinanziert und ohne Fremdkapital“, berichtet der geschäftsführende Gesellschafter. Der Grundstein für diese positive Entwicklung wurde möglicherweise schon vor Generationen gelegt. „Wir haben das Geld immer in der Firma gelassen“, sagt der Firmenchef. Auch andere Probleme, die so manches Familienunternehmen zugrunde richten, gab es offenbar nicht – etwa Schwierigkeiten bei der Nachfolge: „Können, wollen und auch dürfen, das war in unserer Familie immer gegeben“ – der Firmengründer Christian Heinrich Erbe würde möglicherweise staunen darüber, was andere alles fertigbringen.