Maschinelle Chirurgiesysteme sind nicht unumstritten, aber weltweit auf dem Vormarsch. Wir durften bei einem Eingriff mit dem OP-Roboter DaVinci in Stuttgart dabei sein.

Stuttgart - Irgendwie friedlich sieht es aus in der gut ausgeleuchteten Bauchhöhle. Das Licht ist angenehm, die Farbskala warm. Man kann die Blase deutlich erkennen und den Beckenboden. Gelegentlich schimmern die Beckenknochen weiß durch das Gewebe. Blut ist kaum zu sehen, aber man darf sich nicht täuschen lassen. Das hier ist ein Kriegsgebiet. Bösartige Krebszellen haben die Prostata des Patienten befallen, jederzeit könnten sie streuen. Die Drüse ist stark vergrößert und klemmt die Harnröhre immer mehr ab. Deshalb wird sie jetzt entfernt. Radikale Prostatektomie lautet der Fachbegriff, ein Männeralbtraum.

 

Den heiklen Job hat an diesem nasskalten Wintermorgen ein Roboter übernommen, der auf den großen Namen Da Vinci hört. Das Hightechgerät aus den USA steht im Zentral-OP des Stuttgarter Diakonie-Klinikums (Diak). Eigentlich ist Da Vinci gar kein Roboter, sondern nur eine Art Marionette, an deren Fäden Christian Schwentner zieht. Es ist allerdings eine sehr komplexe und sehr teure Marionette, Stückpreis knapp zwei Millionen Euro.

Schwentner, Ärztlicher Direktor der Urologie im Diak, sitzt bequem auf einem Hocker in einer Ecke des OP-Saals. Daumen und Zeigefinger beider Hände sind per Klettband mit einem Gestänge verbunden, die Füße pendeln auf Socken zwischen Pedalen. Drei chirurgische Instrumente plus Kamera kann er so gleichzeitig durch die mit Kohlendioxid aufgepumpte Bauchhöhle manövrieren. Ihr Bild sieht er im 3-D-Modus gestochen scharf und bis zu 10-fach vergrößert vor sich.

Ein minimal invasiver Eingriff

Der etwa 70-jährige Patient lagert drei Meter von Schwentner und der Steuerkonsole entfernt leicht kopfunter auf dem OP-Tisch. Fest über ihm stehen vier steril verpackte Roboterarme der schrankhohen DaVinci-Zentraleinheit. Dünne, bewegliche Stangen an jedem Arm, die von kleinen Führungsröhrchen in der Bauchdecke gehalten werden, übertragen Schwentners Bewegungen bis tief in die Bauchhöhle. Um die Zugänge zu schaffen, waren zu Beginn der OP vier winzige Schnitte im Abstand von je einer Handbreit über dem Nabel erforderlich. Ein minimalinvasiver Eingriff.

Der Chirurg kann selbst feinste Strukturen unterscheiden, Bindegewebe, Nerven, Gefäße. „Es kommt darauf an, so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich zu entfernen“, erklärt Schwentner. Mit Skalpell, Schere und Zange arbeitet er sich millimeterweise bis zur Prostata vor. Seine Handgriffe werden vom Roboter bis zu fünffach untersetzt, unwillkürliche Bewegungen und Wackler ignoriert die Maschine. Immer wieder wehen kleine Rauchfahnen durchs Bild, wenn Schwentner Strom aufs Werkzeug gibt, um kleine Gefäße durch Hitze zu veröden. Das minimiert den Blutverlust.

Der 40-jährige Österreicher, der über die Stationen Innsbruck, Berlin und Tübingen nach Stuttgart kam, zählt in Deutschland zu den erfahrensten Operateuren am Da Vinci. Sein Geschick entscheidet darüber, wie erfolgreich der Eingriff verläuft. Das wird auch daran gemessen, ob der Patient später kontinent ist und sexuell aktiv bleiben kann. „Der Roboter ist schon eine große Hilfe, aber der Operateur muss es eben auch können“, sagt Schwentner und schmunzelt.

Baden-Württemberg hat die meisten OP-Roboter

Roboterassistierte Chirurgiesysteme sind weltweit auf dem Vormarsch. Der Da-Vinci-Hersteller Intuitive Surgical im kalifornischen Sunnyvale ist auch dank einer rigiden Patentpolitik Weltmarktführer. In Deutschland haben inzwischen fast alle großen Unikliniken und Häuser der Maximalversorgung einen Da Vinci im Einsatz, vorzugsweise in der Urologie und Gynäkologie. Baden-Württemberg liegt im Ländervergleich nach einer aktuellen Aufstellung des Bundesverbands Prostatakrebs-Selbsthilfe mit 16 Geräten klar vorn. Nirgendwo sind gemessen an der Bevölkerung mehr OP-Roboter im Einsatz.

Für Kliniken ist der Da Vinci auch ein Marketinginstrument im alltäglichen Konkurrenzkampf mit anderen Häusern. Das gehört zum Erfolgsgeheimnis des Geräts. „Patienten informieren sich und gehen dann dorthin, wo es den Roboter gibt. Das ist eine Abstimmung mit den Füßen“, weiß Hartmut Mueller, Stuttgarter Partner beim Beratungsunternehmen Rochus Mummert Healthcare. Er sieht die technologische Aufrüstung in den Kliniken durchaus kritisch. Die Anschaffungskosten für den OP-Roboter seien hoch, die Kosten für Verbrauchsmaterial im laufenden Betrieb ebenfalls. Zugleich gebe es bisher keine klaren Beweise dafür, dass Eingriffe mit dem Da Vinci bessere Ergebnisse liefern als Eingriffe mit der klassischen OP-Methode, der ebenfalls minimalinvasiven Laparoskopie. Und das bei insgesamt etwa 30 Prozent höheren Kosten. „Die Ärzteschaft ist gespalten, 50 Prozent sind dafür, 50 dagegen“, weiß Mueller.

Chefarzt Schwentner gehört eindeutig zu denen, die dafür sind. Er hat gute Argumente. So sei die Visualisierung ebenso überlegen wie die Funktionalität der Instrumente. Man könne beispielsweise „um die Ecke“ arbeiten, was bei der Laparoskopie nicht gehe. Es gebe weniger Blutverlust, die Wundheilung sei besser. Zudem wiesen Studien darauf hin, dass bei einem Eingriff mit dem Da Vinci weniger stark in die Nervenstrukturen eingegriffen wird, die die Prostata umgeben. „Insgesamt sind die Patienten einfach schneller wieder fit“, sagt Schwentner. Aber er hat noch einen wichtigen Punkt: Die Arbeit mit dem Roboter sei effizienter. Wenn das gesamte Team gut aufeinander eingestellt sei, könnten die OP-Zeiten pro Patient minimiert werden.

OP gut verlaufen, Patient kontinent

Jörg Raczkowsky, Experte für Medizinrobotik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), nennt weitere Vorteile. „Chirurgiesysteme wie der Da Vinci leisten einen Beitrag zur Qualitätssicherung im Krankenhaus“, sagt er. Das sei wie in der Autoindustrie: „Seit Roboter Autos zusammenbauen, gibt es keine Montagsautos mehr. Man kann eine relativ gleichbleibende Qualität garantieren.“ Jeder Operateur habe mal einen schlechten Tag, etwa wegen Überarbeitung. Schon die deutlich bessere Ergonomie am Arbeitsplatz könne helfen, daraus resultierende qualitative Schwankungen auszugleichen. Der Chirurg müsse eben nicht mehr krumm über dem Patienten stehen.

Als nächsten technologischen Schritt in der Medizinrobotik erwartet Raczkowsky Verbesserungen in der Sensorik. Der Operateur könnte dann einen stärkeren Widerstand an der Steuerung spüren, wenn er mit der Schere gegen ein Blutgefäß stößt. Er bekäme also zur verbesserten Feinmotorik auch sein Fingerspitzengefühl zurück. Aber das ist einstweilen Zukunftsmusik.

Schwentner kommt zum Schluss des morgendlichen Eingriffs. Lymphknoten werden entfernt, sie könnten Krebszellen enthalten. Ein Assistent, der direkt am Patienten sitzt, Werkzeuge wechseln kann und auf einem Monitor ebenfalls alles sieht, transportiert sie aus der Bauchhöhle ab. Genauso wie kurz darauf die fein säuberlich herausgeschälte Prostata. Zum Schluss näht Schwentner die durchtrennte Harnröhre wieder zusammen. Alles ist gut verlaufen. „Der Patient hat sehr gute Chancen, bei der Entlassung in einer Woche wieder kontinent zu sein“, sagt Schwentner zufrieden. Sein nächster Patient wartet schon vor dem OP.