Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Vor drei Monaten hatten der Kranke aus Kairo und Ammar Fayyad zum ersten Mal Kontakt über E-Mail. Arztberichte und Kostenvoranschläge wurden ausgetauscht. Als klar war, dass Anas D. nach Deutschland kommen würde, half Fayyad bei der Beantragung der Visa und der Suche nach einer Unterkunft für die ganze Familie in der Nähe der Klinik. Während der Patient im Haus ist, hilft der Betreuer mit den Dokumenten und dolmetscht, wenn das Englisch von Ärzten und Kranken an seine Grenzen stößt.

 

Aber Ammar Fayyad hilft nicht nur in praktischen Dingen, er ist auch eine Art Vermittler zwischen den Kulturen. „Manche Patienten fragen mich im Vorfeld, wie man sich hier verhält, ob es zum Beispiel Probleme gibt, wenn die Frau ein Kopftuch trägt.“ Andere wollen wissen, wo man in der Nähe halal, also nach den islamischen Speiseregeln, essen kann. Dann schickt Ammar Fayyad sie ins türkische Restaurant. Es ist auch schon vorgekommen, dass der Flughafen-Zoll anruft und wissen will, ob der Einreisende mit dem vielen Bargeld in der Tasche tatsächlich einen Klinikaufenthalt plant.

Auf rund 193 Millionen Euro jährlich schätzt Forscher Jens Juszczak die Erlöse mit Patienten aus dem Ausland für baden-württembergische Akutkliniken (deutschlandweit: 1,2 Milliarden). Damit ist Medizintourismus zwar noch ein Nischenmarkt, aber für die Häuser immerhin ein kleines Zusatzgeschäft: „Durchschnittlich bringen internationale Patienten den Kliniken zwischen 0,5 und einem Prozent der Gesamterlöse“, sagt Juszczak. „Bei auf internationale Patienten spezialisierten Kliniken kann der Erlösanteil auch mal fünf Prozent oder mehr sein.“

Manche Kliniken verlangen von ausländischen Patienten mehr als von deutschen

Auch in Karlsbad-Langensteinbach machen die ausländischen Patienten nur einen kleinen Teil der Gesamtzahl aus: Von rund 10 000 stationären Patienten kommen 200 aus dem Ausland, sagt Mischa Lange, Pressesprecher und ebenfalls Teil des International Office. Was sie bezahlen, sei je nach Behandlung höchst unterschiedlich und deshalb nicht pauschal zu sagen. „Die Kosten für einen operativen Standard-Wirbelsäuleneingriff können je nach Krankheitsbild zwischen 6000 und 35 000 Euro variieren.“ Man rechne nach den allgemeingültigen Fallpauschalen des sogenannten DRG-Systems ab.

Damit folgt die Klinik den Vorgaben des Bundesgesundheitsministeriums: Es schreibt vor, dass für ausländische Patienten nicht mehr berechnet werden darf als für einen deutschen Patienten. Laut Forscher Juszczak halten sich allerdings nicht alle Kliniken daran. Als er und seine Mitarbeiter Rechnungen auswerteten, stellten sie fest, dass zum Beispiel die Preise für die Behandlung eines Magenkarzinoms je nach Klinikum zwischen 14 000 und 75 000 Euro schwanken konnten.

Kontinuierlich findet Corinna Rumpf E-Mails aus fernen Ländern in ihrem Eingang. Bis zu 20 pro Tag können es manchmal sein. Aus den Staaten der Europäischen Union, aber auch aus Russland, der Ukraine, Kasachstan, zunehmend aus dem Nahen und Mittleren Osten: aus Ägypten, Syrien, dem Irak und Saudi-Arabien. Werbung machten sie eigentlich keine, sagt Corinna Rumpf. Unter russischen Wirbelsäulenpatienten habe es sich zum Beispiel herumgesprochen, dass es im Schwarzwald mit Chefarzt Gregor Ostrowski einen Experten gibt, der ihre Sprache spricht. Der Großteil der Anfragen komme von Privatleuten, darunter schon mal ein Scheich oder Oligarch. Aber man arbeite auch mit Botschaften zusammen, die Patienten schickten. Manche der behandlungsbedürftigen Gäste bleiben ein paar Tage, andere Wochen, einige wenige erleben hier tatsächlich mehrere Weihnachten.

Die Klinik inmitten sanfter Hügel ist nur ein Ziel des sogenannten Medizintourismus, der in Baden-Württemberg – wie in ganz Deutschland – zunimmt. Einer der wenigen, die sich damit wissenschaftlich befassen, ist Jens Juszczak vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Die aktuellsten Zahlen, die Juszczak hat, stammen aus dem Jahr 2014. Danach wurden mehr als 40 000 Ausländer ambulant oder stationär in Baden-Württemberger Akutkrankenhäusern behandelt (deutschlandweit: 251 000), ein Zuwachs um 4,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Nur in Bayern und Nordrhein-Westfalen haben mehr Ausländer medizinische Hilfe gesucht.

Die meisten Patienten kommen aus dem europäischen Ausland

Zentren im Land sind Freiburg, Baden-Baden, Heidelberg, Mannheim und Stuttgart. Die meisten Patienten kommen laut dem Forscher aus Nachbarländern wie Frankreich (16,2 Prozent) und der Schweiz (12 Prozent). Wachsende Märkte sind aber auch Russland (8,3 Prozent) und arabische Staaten wie Saudi-Arabien (6,9), Kuwait (3,9) und Libyen (2,2).

Für den Klinikalltag hat das Folgen. Die Küche in Karlsbad-Langensteinbach hat sich auf muslimische Patienten eingestellt, die kein Schweinefleisch essen, ein Patientenzimmer wurde zum Gebetsraum umfunktioniert. Das Personal hat außerdem Fortbildungen gemacht, in denen es zum Beispiel um das Verständnis von Gesundheit und Krankheit in anderen Kulturen ging. Wer wollte, konnte in eine Vollverschleierung schlüpfen, um zu erleben, wie sich das anfühlt. Aus der Ein-Frau-Abteilung von Corinna Rumpf ist so nach und nach ein kleines International Office mit zeitweise bis zu vier Mitarbeitern geworden.

Einer von ihnen ist Ammar Fayyad. Sein Büro liegt zwischen dem Klinikfriseur und der katholischer Seelsorge, außen verrät ein arabisches Türschild seine Funktion, innen weist ein Pfeilaufkleber Richtung Mekka, wenn einer der muslimischen Besucher beten möchte. Der gebürtige Jordanier betreut für das Krankenhaus Patienten aus dem Nahen und Mittleren Osten, Patienten wie derzeit Anas D.

Von halal bis Kopftuchregeln – was ausländische Patienten für Fragen haben

Vor drei Monaten hatten der Kranke aus Kairo und Ammar Fayyad zum ersten Mal Kontakt über E-Mail. Arztberichte und Kostenvoranschläge wurden ausgetauscht. Als klar war, dass Anas D. nach Deutschland kommen würde, half Fayyad bei der Beantragung der Visa und der Suche nach einer Unterkunft für die ganze Familie in der Nähe der Klinik. Während der Patient im Haus ist, hilft der Betreuer mit den Dokumenten und dolmetscht, wenn das Englisch von Ärzten und Kranken an seine Grenzen stößt.

Aber Ammar Fayyad hilft nicht nur in praktischen Dingen, er ist auch eine Art Vermittler zwischen den Kulturen. „Manche Patienten fragen mich im Vorfeld, wie man sich hier verhält, ob es zum Beispiel Probleme gibt, wenn die Frau ein Kopftuch trägt.“ Andere wollen wissen, wo man in der Nähe halal, also nach den islamischen Speiseregeln, essen kann. Dann schickt Ammar Fayyad sie ins türkische Restaurant. Es ist auch schon vorgekommen, dass der Flughafen-Zoll anruft und wissen will, ob der Einreisende mit dem vielen Bargeld in der Tasche tatsächlich einen Klinikaufenthalt plant.

Auf rund 193 Millionen Euro jährlich schätzt Forscher Jens Juszczak die Erlöse mit Patienten aus dem Ausland für baden-württembergische Akutkliniken (deutschlandweit: 1,2 Milliarden). Damit ist Medizintourismus zwar noch ein Nischenmarkt, aber für die Häuser immerhin ein kleines Zusatzgeschäft: „Durchschnittlich bringen internationale Patienten den Kliniken zwischen 0,5 und einem Prozent der Gesamterlöse“, sagt Juszczak. „Bei auf internationale Patienten spezialisierten Kliniken kann der Erlösanteil auch mal fünf Prozent oder mehr sein.“

Manche Kliniken verlangen von ausländischen Patienten mehr als von deutschen

Auch in Karlsbad-Langensteinbach machen die ausländischen Patienten nur einen kleinen Teil der Gesamtzahl aus: Von rund 10 000 stationären Patienten kommen 200 aus dem Ausland, sagt Mischa Lange, Pressesprecher und ebenfalls Teil des International Office. Was sie bezahlen, sei je nach Behandlung höchst unterschiedlich und deshalb nicht pauschal zu sagen. „Die Kosten für einen operativen Standard-Wirbelsäuleneingriff können je nach Krankheitsbild zwischen 6000 und 35 000 Euro variieren.“ Man rechne nach den allgemeingültigen Fallpauschalen des sogenannten DRG-Systems ab.

Damit folgt die Klinik den Vorgaben des Bundesgesundheitsministeriums: Es schreibt vor, dass für ausländische Patienten nicht mehr berechnet werden darf als für einen deutschen Patienten. Laut Forscher Juszczak halten sich allerdings nicht alle Kliniken daran. Als er und seine Mitarbeiter Rechnungen auswerteten, stellten sie fest, dass zum Beispiel die Preise für die Behandlung eines Magenkarzinoms je nach Klinikum zwischen 14 000 und 75 000 Euro schwanken konnten.

Klinikum Stuttgart bleibt auf 9,4 Millionen Euro sitzen

Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Berichte von Fällen, in denen Kosten, die ausländische Patienten verursacht haben, nicht bezahlt werden. So wurde beispielsweise dieses Jahr bekannt, dass das Klinikum Stuttgart nach der Behandlung von 370 libyschen Kriegsversehrten auf mehr als neun Millionen Euro sitzen blieb. Gleichzeitig wird gegen das Klinikum wegen des Verdachts der Umsatzsteuerhinterziehung ermittelt und gegen einen deutsch-palästinensischen Vermittler, der die Patienten betreuen sollte, wegen des Vorwurfs der Untreue. Auch das Feld der Agenturen, die häufig Bindeglied zwischen Klinik, Botschaften und Patienten seien, sei ein weitgehend ungeregeltes, so Juszczak.

In Karlsbad-Langesteinbach kann man bislang nicht über unbezahlte Rechnungen klagen, allerdings müssen die Patienten – die meisten Selbstzahler – Vorauszahlungen leisten, sagt Mischa Lange. Auch Anas D. ist Selbstzahler. Die verbesserte Lebensqualität von Anas D. war der Familie mehrere Tausend Euro wert.

Chefarzt Gregor Ostrowski ist nach der ersten Untersuchung mit dem Ergebnis seiner OP zufrieden. Anas D. sinkt wieder müde in sein Bett. Sprechen will er jetzt nicht mehr, aber zum Abschied hebt er den Daumen in die Luft. In zwei Tagen soll er schon entlassen werden. Dann will die Familie noch Urlaub in Österreich machen.