Dicke Lärmspuren ziehen sich durch die Ostsee. Erste Lärmkarten aus Ostsee und Mittelmeer zeigen, dass Meerestiere, die zum Teil auf Geräusche zur Orientierung angewiesen sind, immer weniger Rückzugsräume finden.

Stuttgart - Die Fische, Wale und Delfine im Mittelmeer schwimmen zumindest mancherorts in einem Höllenlärm. Zu diesem Schluss gelangen Wissenschaftler aus Frankreich, Italien, der Schweiz und den USA, die erstmals eine Karte der Lärm-Hotspots im Mittelmeer erstellt haben. Speziell die in den vergangenen Jahren intensivierte Suche nach Öl- und Gasvorkommen mittels Schallkanonen sei ein großes Problem, sagte die Koautorin der Studie, Silvia Frey, am Donnerstag. „Das ist viel, viel lauter als ein startender Düsenjet.“ Die Fische hörten und spürten den Lärm. Eine generelle Geräuschquelle seien die durchschnittlich etwa 1500 Handelsschiffe, die zu jedem Zeitpunkt im Mittelmeer unterwegs seien.

 

Der Bericht im Auftrag des Abkommens zum Schutz von Walen und Delfinen im Mittelmeer und im Schwarzen Meer (ACCOBAMS) hat die Lärmquellen im Zeitraum von 2005 bis 2015 erfasst. Dafür wurden Daten von 1446 Häfen, 228 Ölplattformen, 830 seismischen Explorationsgebieten, sieben Millionen Schiffspositionen, offiziell zugänglichen Angaben zu militärische Aktivitäten und 52 Windfarmprojekten erfasst.

Der Einsatz von Schallkanonen habe enorm zugenommen, berichten die internationalen Meeresschutzorganisationen Oceancare und der Rat zur Verteidigung von Naturschätzen (NRDC) weiter. 2005 seien nur knapp vier Prozent der Oberfläche des Mittelmeeres betroffen gewesen, 2013 bereits 27 Prozent. Zwar könnten sich die Fische in ruhigere Gebiete zurückziehen, sagt Frey. Aber es sei oft schwierig, einen Ersatz für eine biologisch wertvolle Ursprungs-Umgebung zu finden.

Orientierungslosigkeit und körperliche Schäden

Für zahlreiche Meerestiere ist der Unterwasserlärm lebensbedrohlich. Wale, Delfine, Robben und Seehunde sind besonders betroffen. Der Lärm erschwert es ihnen, sich zu orientieren, Nahrung zu finden oder miteinander zu kommunizieren. Extremer Krach kann sogar körperliche Schäden verursachen oder zum Tod führen.

Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie der EU strebt für 2020 einen guten Zustand der Meere an. Das gilt auch für Unterwasserlärm. Für die Ostsee ist bereits ein Anfang gemacht. Hier gibt es seit kurzem Lärmkarten (siehe Abbildung). Was sie zeigen, überrascht nicht: Wo die Schifffahrtswege dicht liegen, sind die Karten rot vor Lärm. Die Ostsee ist schließlich eines der meist befahrenen Meere in Europa. Zu jeder Tages- und Nachtzeit sind 2000 größere Schiffe unterwegs.

Die Lärmkarten sind im Rahmen des EU-Umweltprojekts Baltic Sea Information on the Acoustic Soundscape (BIAS) entstanden. Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Polen und Schweden haben hier Vorschriften entwickelt, die sicherstellen, dass die Ergebnisse von Lärmmessungen international vergleichbar sind. Bei einer Messkampagne mit 38 in der Ostsee verteilten Unterwassermikrofonen, wurden sie auch schon erfolgreich angewendet.

Aus Schifffahrtsdaten die Lärmkarte berechnen

BIAS wurde von Peter Sigray initiiert, der in Stockholm Unterwassertechnik lehrt. Er ist auch der Koordinator des Projekts. Die deutschen Mitstreiter sind das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) und das Oldenburger Institut für technische und angewandte Physik (ITAP). Das BSH gehört bei der Entwicklung von Lärmmessvorschriften zu den führenden Behörden in der EU und das ITAP zu den erfahrensten Instituten für Wasserschallmessungen.

Die Karten kommen vom französischen Wasserschallexperten Thomas Folegot. Er hat ein Verfahren entwickelt, Unterwasserlärm zu berechnen, ohne dass er selbst messen muss. Alles, was er braucht, sind Meereskarten, Wetterberichte und frei verfügbare Schiffsverkehrsdaten. Wenn er zusätzlich die Lärmempfindlichkeit der dort lebenden Tiere hinzunimmt, kann er sogar Karten berechnen, die angeben, wie gefährlich der Lärm für die Tiere ist.

Konkrete Messungen sind unersetzlich

Für die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie genügt die Messkampagne von BIAS nicht. Die EU verlangt, dass regelmäßig gemessen wird, wie sich die Lärmwerte entwickeln. Ob der Zustand der Umwelt gut oder schlecht ist, hängt auch davon ab, ob der Lärm zu- oder abnimmt. Da BIAS 2016 endet, müssen die Ostseeanrainer danach selbst messen. Die deutschen Messstellen beabsichtigt das BSH zu übernehmen.

Obwohl naheliegend, sind Folegots Lärmkarten vorerst kein Ersatz. Noch gelten konkrete Messungen mehr. Die Karten werden trotzdem weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Die Lärmbelastung eines größeren Gebiets ist nur mit ihnen zu beurteilen. Schließlich kann man nicht überall Mikrofone haben.