Meerschweinchen gelten immer noch als typisches Haustier für Kinder. Doch die kleinen Nager sind kein Spielzeug – eine artgerechte Haltung ist anspruchsvoll und kann teuer werden. Wenn es klemmt, springt die Meerschweinchenhilfe Ostfildern ein.

Empörtes Quieken tönt aus dem etwa ein Quadratmeter großen Gehege in Claudia Rohners Wohnzimmer – fünf Meerschweinchen machen lautstark klar, dass sie exakt mitbekommen haben, dass ihre Sitterin eben in der benachbarten Küche eine Menge Broccoli, Möhren und Co klein geschnitten und ansehnlich pyramidenförmig in eine kleine Schale gestapelt hat. Allerdings steht das Futter immer noch in der Küche statt im Gehege – was der Grund des lautstarken Unmuts ist. „Wenn es ums Fressen geht, sind sie immer ganz Ohr“, sagt Rohner. „Die haben genau spitzgekriegt, was ich eben in der Küche gemacht habe.“ Am Abend werden die kleinen Nager wieder abgeholt - damit reduziert sich die Anzahl der Tiere in der Rohner’schen Wohnung wieder auf ihre sechs eigenen Meerschweinchen.

 

Im Andenraum landen die Tiere auch auf dem Grill

Die Kemnaterin betreibt eine von fünfzehn Pflegestellen der Meerschweinchenhilfe Ostfildern – verteilt sind die Pflegestellen des Vereins aufs ganze Land. Aber es gibt nicht nur die Urlaubsbetreuung – es werden ebenso Tiere in Not aufgenommen und – wenn möglich – weitervermittelt.

Hilfestellen für Igel und Eichhörnchen kennt man ja – aber für Meerschweinchen? Ist durchaus angebracht, findet Julia Ries, die erste Vorsitzende des Vereins: „Wir sind einer der wenigen Vereine in ganz Baden-Württemberg, die sich um Meerschweinchen kümmern.“ Der Bedarf ist da – viele Hundert der kleinen Nager, die ursprünglich aus Südamerika stammen und im gesamten Andenhochland bis heute durchaus auch mal auf dem Grill landen, hat die im Jahr 2000 gegründete gemeinnützige Meerschweinchenhilfe weitervermittelt. Die Abgabegründe sind unterschiedlich – Allergien etwa, oder wenn ein Tier stirbt und eines alleine übrig bleibt. Zweimal wurden zudem im letzten halben Jahr Meerschweinchen abgegeben, bei denen die Halter zugegeben haben, dass sie sich bei den steigenden Kosten die Haltung nicht mehr leisten können.

Nimmt man die Nager hoch, verfallen sie in eine Schockstarre

In guten Jahren werden bis zu 400 Tiere weitervermittelt, sagt Ries. Obendrein leben im Schnitt immer rund 100 Meerschweinchen dauerhaft auf den Pflegestellen. Diese Tiere sind krank und haben keine hohe Lebenserwartung mehr. Für diese Meerschweinchen können Patenschaften übernommen werden. Findet sich kein Geldgeber, kommt der Verein, der sich hauptsächlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert, für die Kosten auf. Zwar nehmen auch Tierheime die possierlichen Nager auf, die seien aber oft mit Hunden und Katzen ziemlich ausgelastet. „Und Meerschweinchen sind schon etwas speziell“, sagt Ries. Zudem wenden sich auch Tierärzte an den Verein, wenn ein Halter nicht für die Kosten etwa für eine anstehende Operation aufkommen kann.

„Leider gelten Meerschweinchen immer noch als typische Kindertiere, die nicht viel kosten und süß sind. Aber sie sind alles andere als ein Spielzeug“, sagt Ries. Im Gegenteil: Für die Frauen von der Meerschweinchenhilfe sind die kleinen Nager reine Beobachtungstiere und ganz bestimmt kein Kuscheltier. Aus ihrem Stall genommen werden sollten die Tiere nur zum gesundheitlichen Kurzcheck oder zur Pflege – so müssen beispielsweise regelmäßig die Krallen gestutzt werden. „Wenn man ein Meerschweinchen auf den Schoß nimmt und streichelt, ist das purer Stress für das Tier“, sagt Rohner. Auch wenn der Nager stillhält – von Meersau-Wellness kann keine Rede sein: „Die Nager verfallen regelrecht in Schockstarre“, sagt Ries. Der Grund: In der freien Natur haben Meerschweinchen einem Fressfeind nicht viel entgegenzusetzen – so suchen sie meist ihr Heil in der Flucht oder versuchen durch Erstarren quasi mit dem Untergrund zu verschmelzen. Für eine erfolgreiche Flucht brauchen sie aber Kontakt ihrer kurzen Beinchen mit dem Boden – deshalb hassen sie es wie die Pest, hochgehoben zu werden.

Die Tierarztkosten werden meistens unterschätzt

Auch sollten Meerschweinchen immer mindestens zu zweit gehalten werden. Für ein artgerechtes Dasein sind die üblichen im Handel erhältlichen Käfige viel zu klein, finden die Frauen von der Meerschweinchenhilfe. Da heißt es selbst Hand anlegen – bei Claudia Rohner ist zum Beispiel ein breites Holzregal mit Plexiglaswänden zu einem großen Käfig umfunktioniert worden.

Zudem werden die Tierarztkosten oft unterschätzt: Zum Beispiel sind Zahnfehlstellungen ein häufiges Leiden von Meerschweinchen. Da die Zähne der kleinen Nager permanent wachsen – nämlich zwei bis drei Millimeter pro Woche – kann dabei im wahrsten Sinne des Wortes einiges schiefgehen. Nur ein regel- und gleichmäßiger Zahnabrieb kann solchen Problemen vorbeugen. „Die richtige Fütterung ist unheimlich wichtig, um dem entgegenzuwirken“, sagt Ries. Ansonsten muss ein Tierarzt dem Tier in Vollnarkose die Zähne abschleifen, das kostet und ist zudem nicht von Dauer – denn die Beißerchen wachsen ja immer weiter.

Hilfe für Meerschweinchen

Der Verein
Die Meerschweinchenhilfe Ostfildern nimmt Meerschweinchen auf und vermittelt diese gegen Schutzvertrag und -gebühr weiter. Auch Beratung rund um die Nager steht auf der Agenda. Dazu unterhält der Verein unter anderem ein Notfalltelefon.

Vergesellschaftung
Die Vermittlungstiere werden auf der Homepage vorgestellt. Auch wer bereits Meerschweinchen hält und seine Gruppe vergrößern beziehungsweise einem Einzeltier einen neuen Partner oder eine Partnerin zu Seite stellen will, kann sich melden. Eine sogenannte Vergesellschaftung findet immer auf neutralem Boden und unter Beobachtung statt. Denn nicht jedes Meerschweinchen kann mit jedem. „Da können auch ganz schön die Fetzen fliegen, wenn es nicht passt“, warnt Julia Ries, die erste Vorsitzende des Vereins.

Mehr Informationen unter
www.meerschweinchenhilfe.de