Auf dem gut 16 Hektar großen Areal in Backnang warten viele Gebäudeveteranen nur darauf wachgeküsst zu werden. An der Murr sollen eines Tags bis zu 1500 (Neu)Bürger wohnen – ein Rundgang mit dem Leiter des Stadtplanungsamts.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Backnang - Der Treffpunkt für einen gut zweistündigen Rundgang über das IBA-Gelände in Backnang ist gut gewählt. Der Leiter des Stadtplanungsamts, Tobias Großmann, kommt zum Technikforum, das vor ein paar Jahren in einer ehemaligen Werkhalle der Backnanger Firma Kaelble eröffnet worden ist. In diesem Gebäude treffen sich Tradition und Moderne, dort sind alte Technikwunde ausgestellt, etwa eine Zugmaschine, dort werden aber auch Vorträge gehalten, etwa über Satellitentechnik.

 

Großmann führt an diesem sommerlichen Vormittag über jenes gut 16 Hektar große Areal, das im Zuge der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2027 aus dem Dornröschenschlaf geholt werden soll. Alle paar Schritte schlummern auf dem Gelände wahre Schätze, etwa alte Gerbereigebäude mit einer schmucken Backsteinfassade. Andere Häuser freilich müssen vermutlich abgerissen werden, damit Platz für Neues entsteht.

Ein Parkhaus für rund 1000 Autos

Der Start des kleinen Rundgangs. In der Wilhelmstraße und in ein paar Seitengassen sowie auf mehreren Plätzen ganz in der Nähe parken ungezählte Autos. Diese Fahrzeuge, sagt Großmann sinngemäß, müssten zu allererst verschwinden. Für die insgesamt rund 1000 Autos von Mitarbeitern einiger Backnanger Firmen – etwa von Tesat-Spacecom, sei ein großes Parkhaus geplant. Das neue Quartier, so der Stadtplaner, solle nämlich „möglichst autofrei werden“.

Die Murr, die nur ein paar Schritte von der Wilhelmstraße entfernt fließt, ist allenfalls zu erahnen. Zäune und Gitter versperren den Blick und den Zugang. Das soll sich ändern. Geplant seien mehrere Zugänge zum Fluss. Das große alte Backsteingebäude, das einst eine der vielen Gerbereien beherbergt hat, ist zwar baufällig, Großmann hofft indes, dass zumindest die Fassade erhalten werden kann.

Gewinner des Wettbewerbs sollen im Januar gekürt werden

Bis dato sind alle Überlegungen, was eines Tages wo genau saniert und was neu gebaut werden könnte, allenfalls Planspiele. Die Stadt hat kürzlich zwei Dutzend Planungsbüros beauftragt, Vorschläge für das IBA-Gelände zu erarbeiten. Die Gewinner des Wettbewerbs sollen im kommenden Januar gekürt werden.

„Wohnen am Fluss“ – unter diesem Motto werden die Experten die unterschiedlichsten Überlegungen anstellen. Es sei allerdings keinesfalls vorgesehen, jene Firmen zu vertreiben, die seit vielen Jahren in den betagten Gemäuern arbeiteten, versichert Großmann, etwa eine Kfz-Werkstatt, ein Reifenservice und den Möbelshop das Sozialwarenhauses.

Auch das selbstverwaltete Backnanger Jugendzentrum (Juze) in der Mühlstraße sei selbstverständlich „gesetzt“ und „ein Teil des neuen Quartiers“. In der Mühlstraße stehen ein paar Wohnhäuser, die Großmann als „Teil des alten Backnangs“ bezeichnet und aus seiner Sicht erhalten bleiben sollten. Am Ende der Mühlstraße errichtet die Städtische Wohnbau momentan Mehrfamilienhäuser mit preiswerten Wohnungen. Es sei keinesfalls geplant, den neuen Stadtteil ausschließlich mit Luxuswohnungen zu pflastern.

Platz für Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Kultur

Ob die alte Halle gleich nebenan, die früher die Techniksammlung mehr schlecht als recht beherbergt hat, erhalten bleibt? Das ist eine von vielen unbeantworteten Fragen. Klar ist aber wohl, dass die alte Ölmühle in der Fabrikstraße stehen bleiben soll. Und auch der sogenannte Königssaal der Zeugen Jehovas dürfte gesetzt sein. Das Gebiet, sagt Großmann, sei bereite heute „durchmischt“, und das solle auch so bleiben, sprich, es müsse Platz geben für Wohnen und Arbeiten, für Einkaufen, Kultur und für manches mehr.

Nochmals nur ein paar Schritte weiter: Idylle pur. Neben einer Kfz-Werkstatt weist doch tatsächlich ein keines Schild des Albvereins auf den HW 10 hin, den Hauptwanderweg 10, also den Stromberg-Schwäbischer-Wald-Weg. Genau hier, sagt Großmann und grinst, erwarte man doch einen Biergarten. Wer weiß: was nicht ist, kann ja noch kommen.

Vorbei an weiteren einstigen, mitunter etwas ramponierten Gerbereigebäuden, dann steht man vor dem wohl imposantesten Gebäude auf dem gesamten Areal: einer tipptop herausgeputzten Fabrikantenvilla. In dem alten Verwaltungsgebäude daneben ist eine Tanzschule untergebracht, schräg gegenüber ein Reifenservice. Die Fabrikstraße ist eine Sackgasse, sie endet auf dem Gelände der einstigen Gerberei Kaess. Die alten Häuser beherbergen heute die unterschiedlichsten Unternehmen, etwa die Firma Zeimantz, die edele Möbel herstellt.

Man hört das Plätschern der Murr und das leise Rauschen der Autos, die oberhalb des Geländes auf dem Murrtalviadukt rollen. Demnächst, sagt Großmann, bekomme das Viadukt eine Lärmschutzwand. Dann werde das Areal darunter zum idealen Wohnort. Die Murr und das begrünte Ufer sorgten auch im Hochsommer für angenehmere Temperaturen als in der City. Eines Tages sollen auf dem verwunschenen IBA-Gelände bis zu 1500 (Neu)Bürger wohnen.

Die ersten 13 IBA-Projekte stehen fest

Rems-Murr-Kreis
Im Landkreis haben die IBA-Macher bislang zwei Projekte ausgewählt: das Quartier Backnang -West und in der Nachbarstadt das „Produktive Quartier Winnenden“. Im Umfeld des Winnender Bahnhofes gebe es „hervorragende Potenzialfläche für ein neues gemischtes Quartier“ mit guter Anbindung an den Bahnhof, so die Stadtverwaltung.

Region
In der Region Stuttgart sind bis dato 13 IBA-Projekte ausgewählt worden, darunter allein fünf in Stuttgart sowie zwei in Wendlingen und je eins in Böblingen, Nürtingen, Salach und in Sindelfingen. Unter den Projekten sind mehrere großflächige ehemalige Industrieareale, die zu gemischten Stadtvierteln für Wohnen und Arbeiten umgestaltet werden sollen.

Gesellschafter
Die Gesellschafter der IBA-GmbH sind die Stadt Stuttgart (sie hält 45 Prozent), der Verband Region Stuttgart und die regionale Wirtschaftsfördergesellschaft WRS (die zusammen ebenfalls 45 Prozent halten). Je fünf Prozent halten die Architektenkammer Baden-Württemberg und die Universität Stuttgart als Vertreterin der Hochschulen.