Francis Ford Coppola („Der Pate“, „Apokalypse Now“) hat Filmgeschichte geschrieben. Sein lange erwartetes Alterswerk „Megalopolis“, das an diesem Donnerstag in die Kinos kommt, rechnet wütend mit der westlichen Zivilisation ab. Lohnt die Science-Fiction-Fabel einen Kinobesuch?
Vierzig Jahre Denkarbeit, dreihundert Drehbuchentwürfe, dreißig Kilogramm Körpergewicht und hundert Millionen Dollar – die Kosten für „Megalopolis“, dem womöglich letzten Opus Magnum der Regielegende Francis Ford Coppola, sollen exorbitant gewesen sein. Kritiker und Produzenten hatten die über Dekaden vom eigenwilligen Grübler entworfene Kinofantasie mit Elementen aus Science Fiction, Märchen, satirischem Drama, Romanze und intellektueller Utopie als reine Kopfgeburt abgetan. Auch, weil Coppola schon mehrfach in der Vergangenheit mit Werken wie „Einer mit Herz“ (1982) oder „Cotton Club“ (1984) Kassengift geliefert hatte, wollte niemand mehr „Megalopolis“ finanzieren.
Je älter der Schöpfer cineastischer Meilensteine wie „Apocalypse Now“ (1979) oder„Der Pate“ (1972) wurde, desto weniger traute ihm Hollywood zu, die Massen noch einmal ins Kino ziehen zu können. Coppolas Abneigung gegen die auf Kommerz geeichte Filmmaschinerie ist legendär, dessen unabhängige Produktionsfirma American Zoetrope seit 1969 ein ausgestreckter Mittelfinger in Richtung der Buchhalter Hollywoods.
Um „Megalopolis“ im Alter von 85 Jahren allen Unkenrufen zum Trotz doch noch auf die Leinwand zu wuchten, hat Coppola einen Teil seines gesundheitsschädlichen Übergewichts abgespeckt, seine einträglichen Weinberge verkauft und den Film selbst produziert. Nun ist das Werk in der Welt, bei den Filmfestspielen von Cannes teils verrissen, teils mit freundlichem Wohlwollen gewürdigt. Als großen Wurf eines Altmeisters will es bisher niemand sehen.
Adam Driver spielt den Architektur-Utopisten und Städtebauer Cesar Catilina, der im dritten Jahrtausend nach Christus das marode, hoch verschuldete und von sozialen Missständen gebeutelte New Rome mit Hilfe eines experimentellen Baustoffs namens Megalon sanieren will. Im Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito) findet er einen erbitterten Gegner, der zwar ebenfalls Renovierungspläne hegt, dafür aber auf alte, korrupt verfilzte Strukturen baut. Als sich Cesar in Ciceros Tochter Julia (Nathalie Emmanuel) verliebt, entbrennt zwischen den beiden Männern ein erbitterter Machtkampf, während Julia in einen Loyalitätskonflikt gerät.
High Society im Dauerpartyrausch
Auf den ersten Blick erscheint der Plot dünn angesichts der stattlichen Laufzeit von 138 Minuten. Die Spielzeit füllt Coppola mit historischen und philosophischen Anspielungen und porträtiert darüber hinaus prominent besetzte Charakterkanten. Etwa den vom erzkonservativen Trump-Anhänger Jon Voight verkörperten Geschäftsmann Hamilton Crassus III., oder die wahrscheinlich von Britney Spears und Miley Cyrus inspirierte Figur der Pop-Chanteuse Wow Platinum (Aubrey Plaza), die sich als süße Jungfrau im Showbiz verkauft, bis sie als Mätresse der Mächtigen enttarnt wird.
Coppola zeichnet die Gesellschaft New Romes als antik-dekadente High Society im Dauerpartyrausch, von der sich Cesar Catilina mit sozial fortschrittlichen Ideen emanzipieren will, wobei er am egoistischen Macht- und Wachstumsstreben seiner Zeitgenossen zu scheitern droht. Coppolas wütend zugespitzte Sicht auf westliche Wohlstandsgesellschaften, die nur ihr eigenes Fortkommen sichern wollen ohne Rücksicht auf Verluste der sozial Schwächeren, resultiert noch aus dem Trauma Vietnams und dem daraus gespeisten liberalen Aufbruchsgeist der späten 1960er. In „Megalopolis“ formuliert der inzwischen Hochbetagte einen fast kindlichen Traum, wie in der Zukunft Städte aussehen könnten, die befreit sind von giftigen Hierarchien und den Gentrifizierungsstrategien ehrgeiziger Investoren. Das ist der positive, interessante und auch cineastisch schön inszenierte Kern der Fabel, den Coppola in quietschbunte, mit Hilfe aufwendiger, digitaler Tricktechnik generierte Bilder und in teils bittere Komik verpackt.
„Megalopolis“ wirkt aber auch oft seltsam steril, was den hölzernen, bewusst thesenhaften Dialogen und statischen Charakteren geschuldet ist. Die Figuren sprechen und agieren nicht wie Menschen im Hier und Jetzt, sondern wie in die Zukunft teleportierte römische Patrizier. Die witzige Metapher erschwert jedoch die Identifikation, obwohl die Probleme, die Coppola verhandelt, gegenwärtig und zugleich allgemein gültig sind. Die extrem künstliche Ästhetik rückt die Erzählung noch weiter in die Ferne, als stamme sie aus einer anderen Galaxie. Die Massen wird Francis Ford Coppola damit wahrscheinlich nicht mobilisieren, er hinterlässt dafür ein schwärmerisches Plädoyer für eine bessere Zukunft. Immerhin!
Megalopolis. USA 2024. Regie: Francis Ford Coppola. Mit Adam Driver, Nathalie Emmanuel, Dustin Hoffman, Jon Voight. 138 Minuten. Ab 12 Jahren. Ab Donnerstag im Kino.
Skandale, Pannen, Triumphe
Hauptwerk
Schon früher hat Francis Ford Coppola Widerständen und sogar Naturgewalten getrotzt: Die chaotischen, von einem tropischen Wirbelsturm zerfetzten Dreharbeiten zum Vietnam-Epos „Apocalypse Now“ (xxxx) hätten den Filmemacher beinahe ruiniert. Heute gilt das Werk als dessen größter Triumph.
Pannen
Auch die Arbeiten an „Megalopolis“ wurden von Pannen und Geldsorgen überschattet. Hinzu kamen Vorwürfe, Coppola sei am Set übergriffig gegenüber Statistinnen gewesen.
Cast
Die Besetzung des Films ist mindestens so interessant wie der Plot: Neben dem Ex-Pazifisten und heutigen Trump-Anhänger Jon Voight agiert dessen renommierter Kollege Dustin Hoffman. Die beiden hatten 1969 im New-Hollywood-Drama „Asphalt-Cowboy“ ein tragisches Männer-Duo verkörpert. In späteren Jahren wurde auch Hoffmann sexuelle Belästigung vorgeworfen.