Turnen ist in jeder Gemeinde einst ein Nationalsport gewesen, wichtiger als Fußball. Auch in Wimsheim: Vor 110 Jahren hat der TSV seine Fahne geweiht und vor 100 Jahren eine Frauen-Turnriege gegründet. Die Fahne gibt es noch, geturnt wird auch noch – aber anders.

„Seht in Übung und Spiel des Lebens ernstes Ziel.“ Das haben sich die Männer und Frauen des Turnvereins Wimsheim auf die Fahne geschrieben, als sie diese vor 110 Jahren bei einem großen Festakt geweiht haben und das auf einem eindrucksvollen Gruppenfoto festgehalten haben. Das trägt das Motto „Wer seinen Körper stählt, pflegt seine Seele!“

 

Im Juli des Jahres 1896 hatten etwa 40 junge Leute mit dem Turnverein Wimsheim den Vorläufer des heutigen TSV gegründet. Jeden Sonntagmorgen um 6 Uhr wurden Turnübungen auf dem vereinseigenen Turnplatz abgehalten. Erst zehn Jahre später wurden eine Vereinssatzung verabschiedet und der Verein ins Vereinsregister eingetragen.

Fahne soll restauriert werden

Der Kauf der Vereinsfahne im Jahre 1912 war auch der Startschuss dafür, 1914 einen Baufonds zum Bau einer Turnhalle einzurichten. Die Fahne ziert ein Porträt von „Turnvater“ Johann Friedrich Ludwig Christoph Jahn (1778-1852). „Dafür, dass sie schon 110 Jahre alt ist, ist sie in einem sehr guten Zustand, denn sie ist mit großem handwerklichen Geschick hergestellt“, sagt der amtierende TSV-Präsident Felix Bitrolf. Trotzdem will er sie in einer Fachwerkstatt restaurieren und konservieren lassen, damit sie mindestens weitere 100 Jahre übersteht.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde 1919 im Turnverein offiziell eine Fußballabteilung gegründet und vor 100 Jahren, also 1922, eine Damenturnriege ins Leben gerufen. Mit dem Bau der vereinseigenen Turnhalle wurde ein Jahr später am heutigen Standort begonnen. Ein Gewittersturm zerstörte den hölzernen Hallenrohbau im August. Durch die gemeinsamen Anstrengungen der Mitglieder und der Gemeinde stand bereits 14 Tage später wieder ein neuer Rohbau. Die Einweihung fand 1924 statt.

Ein vereinseigener Fußballplatz ist 1933 auf dem Hausberg gekauft worden. In der Zeit des Zweiten Weltkrieges kam der Sportbetrieb zum Erliegen. Doch bereits in den ersten Nachkriegsjahren wurde neben Turnen und Fußball auch Handball (Damen und Herren) wettkampfmäßig betrieben.

Das „Sahara-Stadion“ war ein Hartplatz mit weißem Sand

Die durch Beschuss stark beschädigte Halle – die Vereinsfahne überstand die Kriegswirren unbeschadet – wurde wieder instandgesetzt und renoviert, und von der Gemeinde wurde ein neuer Fußballplatz im Breitloh bereitgestellt. 1952 firmierte der Verein in Turn- und Sportverein Wimsheim um, und in diesem Jahr gab es sowohl bei den Turnern als auch den Fußballern Meisterschaften zu feiern. Zwei Jahre später errichteten die Fußballer in Eigenarbeit ein Clubhaus am Sportplatz.

In den Jahren 1957/58 sanierte der Verein sowohl die Turnhalle als auch den gemeindeeigenen Sportplatz. Es entstand das berühmt-berüchtigte „Sahara-Stadion“ – ein Hartplatz mit weißem Sand. In den 1960er Jahren etablierte sich im Verein eine recht erfolgreiche Laufabteilung. Ein finanzieller Kraftakt war 1968 die Generalsanierung der Turnhalle. Doch in den Folgejahren reduzierte sich der wettkampfmäßige Sportbetrieb auf den Fußball – über viele Jahre auch mit Frauenfußball.

Trotz verschiedener Anläufe konnten Turn- und Laufabteilung nicht mehr Wettkampfstatus erreichen. Im Jahre 1978 wurde der erste Bauabschnitt des heutigen Sportgeländes am Mühlweg mit Hart-, Rasenplatz und Clubhaus seiner Bestimmung übergeben. Dies war notwendig, da die Gemeinde den bisherigen Fußballplatz für den Ausweis eines Gewerbegebietes benötigte. Ein weiterer Anbau und die Renovierung der Halle wurden in den Jahren 1992 bis 1996 vorgenommen, sodass rechtzeitig zum 100-jährigen Bestehen auch die Einweihung erfolgen konnte.

Die Fahne wurde in Stuttgart gefertigt

2003 ging das zweite Rasenspielfeld am Sportgelände in Betrieb, weil Wimsheim große Teile des Hartplatzes für die Errichtung der gemeindeeigenen Hagenschießhalle benötigte. Gleichzeitig mit dem Neubau wurde auch das Sportplatzbetriebsgebäude saniert.

Die Fahnenweihe 1912 ist ein großer Festakt im Ort gewesen. Und der junge Verein hatte sie sich vom Besten der Besten anfertigen lassen – der Stuttgarter Fahnenfabrik und Kunststickerei-Anstalt Böbel & Michelfelder in der Schlossstraße. Das 1896, also im gleichen Jahr wie der Turnverein gegründete Unternehmen, bot beste handwerkliche Qualitätsarbeit, und bereits 1890 erhielt Böbel & Michelfelder die goldene Medaille für hervorragende Arbeiten auf dem Gebiet der Kunststickerei sowie den Titel Hoflieferant des königlichen Hauses Württemberg. Für das stellte die Firma kostbare Kleiderstickereien her.

Hin zum Verein für Breitensport

Im Jahr 1961 hat die 1852 gegründete Stuttgarter Traditionsfirma Mützen-Dommer die Fahnenfabrik und Kunststickerei-Anstalt Böbel & Michelfelder übernommen. 1990 erfolgte die Zusammenfassung der beiden Unternehmensteile für den europäischen Markt zur Dommer Stuttgarter Fahnenfabrik. Der Einzelhandel mit Hüten, Mützen und Herrenartikeln von Dommer wurde aufgegeben. Durchaus bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass Fahnen und Werbe-Caps eine immer größere Rolle in den Marketingstrategien von Unternehmen spielen. Die Fahnenfabrik beschäftigt heute rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Maybachstraße in Stuttgart-Feuerbach.

Neben dem fußballerischen Wettkampfbetrieb bietet der TSV Wimsheim heute in zahlreichen Gruppen Breitensport an. Dieser Breitensport wird nicht mehr ausschließlich in der vereinseigenen Turnhalle abgewickelt. So gibt es beim TSV die Volleyball-Freizeitgruppe und seit 2014 die Badminton-Sportgruppe. Auch bietet der Verein Gesundheitskurse an, zusammen mit der Zentralen Prüfstelle für Prävention. Das ist eine Kooperationsgemeinschaft gesetzlicher Krankenkassen. Der Kurs richtet sich an alle, die präventiv ihre Muskulatur stärken möchten und eignet sich für Frauen und Männer jedes Alters.

Geturnt wird immer noch

Das Turnen als Sport selbst bietet der Turn- und Sportverein Wimsheim seit Mai 2010 nicht mehr an. Damals hat sich diese Abteilung abgespaltet und als Sport Club Wimsheim eigenständig gemacht. Der neue Verein hat vorrangig das Kinderturnen mitgenommen. Er bietet seither in der örtlichen Hagenschießhalle Eltern-Kind-Turnen, Vorschulturnen, Grundschulturnen, Förder- und Leistungsturnen sowie Kinder- und Jugendturnen an. Er veranstaltet auch erfolgreich Wettkämpfe.