Quer durch die Parteien und die Gesellschaft machen sich Frauen stark für eine Änderung des kommunalen Wahlrechts. Sie wollen mehr Rätinnen, doch Juristen sind skeptisch.

Stuttgart - Die Frauen lassen nicht locker. Eine überparteiliche Allianz im Land macht sich unermüdlich stark für eine gesetzliche Regelung mit dem Zweck, mehr Frauen in die Kommunalparlamente zu bringen. Am Mittwoch präsentieren Politikerinnen, Gewerkschafterinnen und der Landesfrauenrat ihren Aufruf öffentlich im Haus der Geschichte. Ihr Appell lautet: „Wir fordern die Landesregierung und die Fraktionen im Landtag nochmals nachdrücklich auf, umgehend eine verbindliche und verfassungskonforme Gesetzesregelung zu verabschieden, die bewirkt, dass es in Baden-Württemberg nicht bei der beschämend niedrigen Vertretung von Frauen in den kommunalen Räten bleibt.“

 

Besonders schlecht stehen die Frauen in den Kreistagen im Land da. Mit einem Anteil von 16,1 Prozent bildet Baden-Württemberg bundesweit das Schlusslicht. Daran ändert auch nichts, dass der Kreis Tübingen mit einer Frauenquote von 27,1 Prozent die Tabelle anführt. In Freudenstadt ist der Frauenanteil mit 2,3 Prozent auf dem landesweiten Tiefpunkt. Etwas besser sieht es in den Gemeinderäten aus. Nach der Kommunalwahl von 2009 beträgt der landesweite Frauenanteil 22 Prozent. Viel getan hat sich nicht. 2004 betrug die Quote 21,3 Prozent.

Mehr Frauen in die Räte

Schon das ganze Jahr über treten Frauen im Land verstärkt für eine Änderung des Wahlrechts ein, die mehr Frauen in die Räte bringen soll. Für die 38 Unterzeichnerinnen des aktuellen Aufrufs ist die Sachlage klar: „Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist doch schlicht Verfassungsbruch in Permanenz“, zitieren sie Elisabeth Selbert, die zu den Müttern des Grundgesetzes zählt.

Dagegen betrachten die Rechtskundigen in den Parteien eine gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote auf den Wahllisten als verfassungswidrig. Sowohl der SPD-Innenminister Reinhold Gall als auch sein Parteifreund der Justizminister Rainer Stickelberger vertreten die Auffassung, dass die Parteienfreiheit eine gesetzliche Regelung ausschließe. Nach mehreren Gutachten in die eine wie die andere Richtung steht zur Zeit der Vorschlag der Grünen im Raum, die Frauenquote als Soll-Vorschrift im Gesetz zu verankern.

Parteien gehen voran

SPD und Grüne haben parteiintern ihre Entscheidungen getroffen. Bei den Grünen gilt bereits das Reißverschlussverfahren, Frauen und Männer erscheinen in wechselnder Reihenfolge auf den Listenplätzen. Für die Kommunalwahl sollen gleich viele Frauen wie Männer aufgestellt werden. Die SPD hat bei ihrem jüngsten Parteitag ebenfalls ihr Parteistatut geändert und beschlossen, die Listen für die Kommunalwahlen alternierend zu besetzen.

Das begrüßt die stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier ausdrücklich. Thekla Walker, die Landeschefin der Grünen, betont: „Wir haben mit dem Reißverschlussverfahren sehr gute Erfahrungen gemacht.“ Beide verfechten dennoch eine gesetzliche Lösung, die für alle Parteien gelten soll. „Mit dem guten Vorbild lässt sich offenbar nicht genug Druck auf die anderen Parteien aufbauen, damit die nachziehen“, sagt Walker. Breymaier ergänzt, „SPD und Grüne haben in den Kommunalparlamenten keine Mehrheit und die anderen Parteien sehen das Problem nicht“. Die Verdi-Landeschefin Breymaier ist davon überzeugt, „niemand sagt ernsthaft, das wollen wir nicht“. Doch die Debatte „kann neuen Schwung vertragen“.

Parteiübergreifendes Bündnis

Dafür wollen die Unterzeichnerinnen des Appells sorgen. Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) wirft sich heute ebenso für eine verbindliche Regelung im Kommunalwahlrecht in die Bresche wie Angelika Klinger, die Vorsitzende des Landesfrauenrats. Annette Widmann-Mauz, die CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Frauen-Union erklärt ihrer zurückhaltenden Partei: „Mehr als die Hälfte der Baden-Württemberger sind Frauen. Diese Hälfte kommt in der Kommunalpolitik im Land noch immer und zu oft zu kurz. Wenn Frauen – egal welcher Couleur – gemeinsam an einem Strang ziehen, haben wir die Kraft, daran etwas zu ändern.“

Politikerinnen aller Parteien dominieren die Liste der Unterstützerinnen. Für eine gesetzlich geregelte Frauenquote nach dem Vorbild des französischen Paritegesetzes machen sich aber neben dem Landesfrauenrat auch Vertreterinnen von Gewerkschaften und der Kirchen stark.

„Keine Zeit verschenken“

Sie wollen die Regelung jetzt, rechtzeitig vor den Kommunalwahlen, die in Baden-Württemberg 2014 anstehen. „Wenn wir bis 2014 nichts machen, wäre die Zeit verschenkt“, sagt Breymaier. Und sie beugt etwaigen Bedenken vor: „Wir brauchen Frauen in den Parlamenten nicht wegen der Frauenpolitik, sondern weil sie das Frauenleben und den Frauenalltag ins Parlament bringen.“ Und Thekla Walker will unternehmerische Erfahrungen im Politikbetrieb nutzen: „Die Erfahrung zeigt, dass gemischte Teams besser arbeiten. Das muss auch für die Politik gelten.“

Verfassungsmäßig oder nicht?

Die Verfechterinnen einer gesetzlichen Lösung für die Frauenquote setzen auf Artikel drei des Grundgesetzes. Der besagt in Absatz zwei: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Gegner einer gesetzlichen Lösung warnen davor, den Parteien vorzuschreiben, wen sie aufstellen sollen. Das verstoße gegen Artikel 21 des Grundgesetzes. Dieser Artikel gewährleiste das Recht der Parteien, Bewerber nach ihren Vorstellungen aufzustellen.

Die Grünen wollen bis zum Jahresende einen Entwurf zur Änderung des Kommunalwahlrechts vorlegen. Das Gesetz soll bereits bei der Wahl 2014 gelten.