Vielen Autofahrern ist nicht bewusst, dass sie beim Überholen von Fahrrädern innerorts mindestens anderthalb Meter Abstand halten müssen. Die Stadtverwaltung will das ändern – mit Werbebannern, Infozetteln und sogar Videoaufnahmen in Kaltental.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Kaltental - Wer bei der Stadt Stuttgart anruft und in der Warteschleife landet, bekommt unter Umständen ein lautes Motorengeräusch zu hören und wird dann von einer freundlichen Stimme darauf hingewiesen, dass beim Überholen von Fahrrädern innerorts ein Mindestabstand von 1,50 Meter einzuhalten sei. Diese Information steht seit Kurzem auch auf zwei großen Bannern an der Fußgängerbrücke über der Böblinger Straße in Kaltental. Und unter den Scheibenwischern der am Straßenrand geparkten Autos klemmen entsprechende Infozettel im Postkartenformat. Am 4. Mai waren auf der Kaltentaler Brücke gar Kameras installiert, welche das Geschehen auf der Fahrbahn dokumentierten. Sie befanden sich in Holzkästen, sodass sie vor Wind und Wetter und gegebenenfalls auch vor Passanten geschützt waren.

 

Der Mindestabstand von 1,50 Meter beim Überholen von Radfahrern ist noch nicht lange in der Straßenverkehrsordnung festgeschrieben. Früher hieß es dort lediglich, dass „ausreichend“ Abstand gehalten werden müsse. Nun gehe es darum, den Autofahrern die neue Regel nahezubringen, sagt Susanne Scherz, die Leiterin der Abteilung Straßenverkehr beim Amt für öffentliche Ordnung. Darum hat die Stadt Stuttgart die Kampagne „Miteinander läufts besser“ gestartet.

Wie kann der Abstand beim Überholen gemessen werden?

Doch Regeln müssen auch kontrollierbar sein, und dazu müssen die Überholabstände gemessen werden. Verschiedene Initiativen haben dazu bereits Geräte entwickelt und erproben diese derzeit – so zum Beispiel den Open Bike Sensor, entwickelt von einer Gruppe Alltagsradlern, oder die Kesselbox der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW).

Im Rahmen der Vorbereitungen für die neue Kampagne beschäftigte sich auch die Verkehrsbehörde mit verschiedenen Möglichkeiten, den Überholabstand zu messen. Es gehe darum, Straßenabschnitte zu identifizieren, an denen es objektiv ein Gefährdungspotenzial gebe, weil oft überholt werde, ohne den vorgeschriebenen Abstand einzuhalten. Für die Stadtverwaltung gibt es dabei freilich viele Fragen zu klären. So braucht sie geeichte Geräte, und der Schutz der Persönlichkeitsrechte muss gewährleistet sein.

Eine Schwerpunktaktion der Polizei beweist: Viele Autofahrer wissen nicht Bescheid

Darum suchte die Stadtverwaltung den fachlichen Austausch mit Professor Eckart von der Hochschule Karlsruhe. Die Messungen am 4. Mai an der Böblinger Straße in Kaltental waren ein erster Testlauf. Mit den Videoaufnahmen von der Brücke herunter sollten die Abstände valide erfasst werden. Die Aufnahmen erfolgten jeweils in Fahrtrichtung, also von hinten, und in einer Auflösung, die keine Erfassung personifizierter Daten zulässt. „Wir haben einen ersten Datensatz erhoben“, sagt Scherz. Dieser Datensatz müsse nun noch ausgewertet werden. Danach werde man als Straßenverkehrsbehörde gemeinsam mit dem Amt für Stadtplanung das weitere Vorgehen besprechen. Susanne Scherz ist der fachliche Austausch wichtig, auch mit anderen Städten innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen.

Wie wichtig die Kampagne der Stadt ist, zeigt unter anderem auch eine Schwerpunktaktion der Polizei Ende März. Sie hatte an der Böblinger Straße Autofahrer angehalten, die verbotenerweise einen Radfahrer überholt hatten – also an Stellen, an denen die erforderlichen 1,50 Meter Abstand nicht eingehalten werden können. Binnen zwei Stunden stoppten die Beamten 23 Autofahrer. Gegen sie wurden Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet, zudem führten die Beamten aufklärende Gespräche, denn den Autofahrern war zumeist nicht bekannt, dass sie nicht hätten überholen dürfen.