Experten haben in den vergangenen Jahren einen Anstieg der Rattenpopulation bemerkt. In einigen Stadtgebieten findet man sie öfter als anderswo. Wie die Stadt die intelligenten Nager bekämpfen will.

Baden-Württemberg: Erdem Gökalp (erg)

Ein Rascheln im Gebüsch, ein geschuppter Schwanz, der im Gras verschwindet, und schon ist die Begegnung vorbei. Der Obere Schlossgarten ist bei Nacht ein Ort, an dem die Stuttgarter Ratte sich dem Menschen auch mal bis auf wenige Meter nähert. Spaziergängern wird die hohe Zahl an Nagern in der Stadt dort besonders deutlich. Gerade wenn es sich bei Nacht an der reichen Auswahl an Müll- und Essensresten bedient, die von den Besuchern des Parks hinterlassen wurden, wird das Tier gerne übermütig und legt die natürliche Scheu ein wenig ab.

 

Nur auf dem Wolfgang-Windgassen-Weg, der schmalen Verbindung am Eckensee zwischen Schlossplatz und Oper, könnte der Hunger dem Tier zum Verhängnis werden. Denn dort befindet sich in der Kanalisation Stuttgarts hochmoderne Antwort auf die Rattenfrage in den Innenstadtbezirken: das Tox-Protect 1402 Ex – eine mit Infrarot ausgestattete grüne Köderbox aus Kunststoff und die technisch ausgestattete Möglichkeit, diesem intelligenten Tier in der Kanalisation den Garaus zu machen.

Fast 60 000 Rattenbesuche in zwei Jahren

Wenn Jürgen Sprich auf seinen Bildschirm schaut, sieht er eine etwas andere Perspektive der Stadt. 250 Köderboxen liegen in Stuttgart aus. Sie sind mit Giftködern ausgestattet, die beim Verzehr durch eine Ratte nach einiger Zeit zum Tod führen. Jedes Mal, wenn eine Ratte in eine Box eindringt, macht sich das früher oder später auf seiner Stadtkarte und Statistik bemerkbar. Die Ansicht zeigt einen Totenkopf sowie gelbe und grüne Punkte mit Zahlen darauf, die in der Stadt verteilt sind. 56 082 Besuche wurden bis Mitte Januar 2023 über einen Zeitraum von zwei Jahren gezählt. Wobei manche Ratten sicherlich auch mehrmals in eine Box eingedrungen sind. Demnach finden die meisten Begegnungen zwischen Ratten und den Köderboxen in den Innenstadtbezirken, in West, Ost, Mitte und in Bad Cannstatt statt.

Der Ingenieur Sprich ist im Tiefbauamt für den reibungslosen Abfluss in der Kanalisation zuständig. Er ist damit täglich für 1700 Kilometer unterirdischer Rohre zuständig. Seit zwei Jahren werden die modernen Köderboxen eingesetzt, um der zunehmenden Rattenpopulation zumindest unterirdisch Herr zu werden. Die Boxen werden von der Firma Rockstroh aus Bad Rappenau verwaltet. Sie werben damit, mit den gewonnen Daten über die Boxen zusätzlich eine gezielte Bekämpfung der Ratten vornehmen zu können. Wie viele Ratten tatsächlich in der Stadt sind, kann niemand genau sagen. Jedoch wird von vielen Seiten ein Anstieg der Population festgestellt. Auch für Schädlingsbekämpfer gab es daher in der Stadt in den vergangenen Jahren viel zu tun.

Die Mitarbeiterin einer lokal ansässigen Firma spricht davon, dass es aktuell einen regelrechten Ausbruch bei der Rattenzahl gebe. „Das passiert alle fünf oder zehn Jahre, dass es plötzlich so viele von ihnen gibt“, sagt sie. Das könne beispielsweise mit den warmen Temperaturen im vergangenen Jahr zu tun haben, die den Nagetieren das Leben vereinfachen. Auch eine Zunahme des Nahrungsangebots habe eine Auswirkung. Daher solle man vermeiden, Essensreste in die Kanalisation gelangen zu lassen, sie also nicht über den Abfluss zu entsorgen.

Stadt greift nur im öffentlichen Raum ein

Laut dem 55-jährigen Sprich habe die Coronapandemie ebenfalls eine Auswirkung auf die Rattenpopulation gehabt. „Da die Tiere weniger Essensreste von den Gastronomien hatten, als diese geschlossen hatten, mussten sie sich anders aushelfen“, sagt er. Das sei ihnen erstaunlich gut gelungen. Daher habe man sich im Tiefbauamt dafür entschieden, die neuen Boxen anzuschaffen. Wer als Privatperson Schädlinge auf dem eigenen Grundstück bekämpfen will, muss sich in der Regel selbst kümmern und einen Kammerjäger anheuern. Wenn jedoch beispielsweise ein Rattennest im öffentlichen Raum der Kanalisation ausfindig gemacht wird, dann kann man das über ein offizielles Portal der Stadt melden. Zudem könne man einen Rattenbefall grundlegend dadurch verhindern, dass man ihnen kein Nahrungsangebot mache. „Man sollte daher Gelbe Säcke nicht zu lange offen liegen lassen“, sagt Jürgen Sprich.

Während zwar im Oberen Schlossgarten der Landtag und der Württembergische Kunstverein die gestiegene Rattenpopulation vor ihrer Haustür bemerken, jedoch angeben, im Gebäude keine Einschränkung zu spüren, wirkt sich der Standort in anderen Orten der Stadt wiederum auf die Rattenbekämpfung aus. Laut Jürgen Sprich vom Tiefbauamt gebe es beispielsweise eine Box in der Bebelstraße im Stuttgarter Westen, deren Infrarotsensor kaum Rattenbesuch vermelde, obwohl dort viele Nager gesehen wurden. „Das liegt daran, dass sich in der Nähe eine Bäckerei befindet und die Tiere dort genug Nahrung finden, um unsere Giftköder zu ignorieren“, sagt er. Das erschwere auch an anderen Orten seine Arbeit.

Ob sich die Arbeit mit den Giftboxen wirklich auszahlt, wird sich erst noch zeigen. Ratten sind intelligente Tiere, und sie lassen sich nie besonders lange mit derselben Methode überlisten. Spätestens wenn sie die Gefahr der kleinen grünen Boxen erkannt haben, fängt das Katz-und-Maus-Spiel auch für Sprich von vorne an.

Moderne Technologie bei der Rattenbekämpfung

Ball-B
 Die Firma Ball-B aus Nürnberg wirbt damit, dass die Technologie, die sie für ihre Rattenfallen einsetzen, weltweit das erste System sei, mit denen man eine cloudbasierte Rattenbekämpfung ermögliche. Das Gift im Köder führt nicht sofort zum Tod, sondern erst nach einiger Zeit, da die Ratten sonst die Gefahr erkennen würden.

Abwasser
 Die Idee ist es, die Giftköder in der Box verschlossen zu halten und durch die Vorrichtung zu verhindern, dass Giftstoffe in das Abwasser gelangen. Die Boxen können über spezielle Halteschienen in der Kanalisation befestigt werden. Eine Box wiegt circa vier Kilo.

Teleskopstange
 Laut Angaben der Stadt Stuttgart befinden sich aktuell 250 Boxen des Modells ToxProtect 1402Ex in der Kanalisation und werden dort für die Rattenbekämpfung eingesetzt. Der Köder kann mit einer langen Teleskopstange gewechselt werden, und bei Wasseranstieg soll der Köder trocken bleiben. Die Technologie ist in der Landeshauptstadt seit zwei Jahren im Einsatz.

Daten
 Die von der Box gewonnenen Daten werden über eine Cloud gesammelt, und man kann dann damit Statistiken und Grafiken erstellen.