Mehrparteienhaus in Marbach „Bestialischer Gestank“ – Bewohner sind verzweifelt über Messie-Nachbarin

Menschen mit dem Messie-Syndrom häufen Dinge an und können sich nur schwer davon trennen. (Symbolfoto) Foto: Imago/Geisser

Bewohner eines Mehrfamilien-Hauses in Marbach sind verzweifelt. Aus der Wohnung ihrer Nachbarin zieht ein Gestank bis in den Hausflur. Von der Stadt und dem Gesundheitsamt fühlen sie sich allein gelassen. Die äußern sich zu dem Problem.

Ludwigsburg : Anna-Sophie Kächele (ask)

Der Geruch wird beißender, je höher man steigt. Er zieht aus der ersten Wohnung, wenn man zur Haustüre hereinkommt, aber auch drei Stockwerke weiter oben liegt er noch in der Luft. Sieben Wohnungen gibt es in dem Haus in Marbach – und eine habe sich Erzählungen und Fotos nach in den vergangenen Jahren zu einer lebendigen Müllhalde entwickelt. Ihre Bewohnerin horte teilweise hüfthoch alle möglichen Dinge: Zeitschriften, Päckchen für Fertigsuppe, Elektrogeräte . Die Wohnungstüre hängt nur noch modrig in den Angeln, auch das Provisorium davor lässt sich nicht mehr ganz schließen.

 

„Das Problem ist wirklich der bestialische Gestank im Hausflur – das ist in meinen Augen gesundheitsgefährdend“, sagt der Hausverwalter Dietmar Krems. Alle Namen wurden zum Schutz der Betroffenen anonymisiert, sind der Zeitung jedoch bekannt. Bewohner erzählen, sie hätten in den letzten 15  Jahren alle Möglichkeiten ausgeschöpft: Stadt, Gesundheitsamt, selbst die Polizei sei aus verschiedenen Gründen mehrfach in der Wohnung gewesen. Die Antwort blieb immer die Gleiche: Wir können da nichts machen. Eigentum schützt, doch welche Möglichkeiten bleiben, wenn das zwanghafte Horten längst nicht mehr nur eine Person betrifft?

Zwei bis sechs Prozent leiden unter Messie-Syndrom

Laut der Deutschen Gesellschaft für Zwangserkrankungen leben in Deutschland etwa zwei bis sechs Prozent der Bevölkerung mit einem Messie-Syndrom. Im Landkreis Ludwigsburg leiden ungefähr zehn Prozent der ambulanten Klienten darunter. „Pathologisches Horten“, so heißt der korrekte medizinische Begriff, wird in Deutschland von den Krankenkassen nicht als psychische Erkrankung anerkannt, von der Weltgesundheitsorganisation jedoch als Diagnose aufgeführt. Für die Nachbarinnen in Marbach ist klar, dass die Bewohnerin Hilfe braucht. Die hätten sie ihr immer wieder angeboten, die Frau habe sie aber nicht angenommen.

„Es ist, als ob man blockiert und gelähmt auf einem Stuhl inmitten des Chaos sitzt und einfach nichts tun kann“, sagt Marianne Bönigk-Schulz vom Förderverein zur Erforschung des Messie-Syndroms in einem Artikel des deutschen Ärzteblatts. Dabei wende sich quasi das innere Chaos nach außen.

Betroffene isolieren sich

Betroffene ziehen sich oftmals aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Das zwanghafte Sammeln, das teilweise bis zur völligen Vermüllung führt, ist für andere Menschen häufig so unverständlich, dass sich selbst Verwandte und Freunde distanzieren. Unter dem Chaos leiden in erster Linie die Betroffenen selbst, aber auch Angehörige – und in diesem Fall die Nachbarn.

„Meine Enkelkinder sagen immer, Oma bei dir stinkt’s“, erzählt Maria Arndt. Auch Hannelore Gräser berichtet, dass der Mann ihrer Freundin lieber im Auto sitzen bleibe, wenn seine Frau kurz bei ihr vorbeikomme. Dabei ist es nicht nur der Geruch, der stört. Es sind auch die kleinen schwarzen Käfer und Fliegen, die sich Erzählungen nach vor allem bei hohen Temperaturen im Flur tummeln. Es sei die Sorge, dass die Feuchtigkeit in das Gemäuer ziehe, die Sorge davor, was passiert, wenn es in der Wohnung einmal brennen sollte. Rauchmelder gebe es darin keine und die „Brandlast in der Wohnung ist sehr hoch“, sagt der Hausverwalter.

Wegziehen ist für Hannelore Gräser trotzdem keine Option. „Ich finde in meinem Alter doch keine Wohnung mehr“, sagt die 80-Jährige. Auch Maria Arndt wohnt seit Jahrzehnten im Dachgeschoss und selbst wenn sie verkaufen wollen würde, befürchtet sie durch den Geruch hohe Preisabschläge.

Hannelore Gräser erzählt, sie habe sogar schon eine Schabe beim Gesundheitsamt eingeschickt – die eine, die sie im Flur gefunden habe. Man habe ihr mitgeteilt, solang es keine Ratten oder massenhaft Schaben gebe, bestehe kein gesundheitliches Risiko. Die Bewohnerinnen fühlen sich allein gelassen.

Öffentliche Stellen haben keine Handhabe

Auf Nachfrage unserer Zeitung beschreibt das Gesundheitsamt Ludwigsburg das Problem: Bei öffentlichen Gebäuden könne das Amt den Betreiber auf Mängel mit gesundheitsschädigenden Auswirkungen hinweisen und auf die Beseitigungen hinwirken, „bei privatem Wohnraum – wie im vorliegenden Fall – hat das Gesundheitsamt leider keine Handhabe“. Es könne sich keinen Zugang zu den Räumlichkeiten verschaffen, auch nicht, wenn es sich um eine vermüllte Wohnung handele. Der Wohnungseigentümergemeinschaft bleibe zumindest die Möglichkeit, einen Schädlingsbekämpfer für die Gemeinschaftsräume zu beauftragen.

„Ist die betreffende Person aus der Wohnung hilfebedürftig, kann die Unterstützung durch den Sozialmedizinischen Dienst in Anspruch genommen werden. Dies erfolgt aber auf freiwilliger Basis“, erklärt eine Sprecherin weiter. Lediglich bei Fremd- oder Eigengefährdung könne eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik nötig werden. „Wir verstehen, dass es für die betroffenen Nachbarn schwierig ist, das nachzuvollziehen, aber wir benötigen die gesetzliche Grundlage, um einschreiten zu können“, teilt die Sprecherin des Landratsamts mit.

Die Antwort der Stadt fällt ähnlich aus: Die Angelegenheit sei privatrechtlich zu klären, sagt die erste Beigeordnete der Stadt Marbach Franziska Wunschik und verweist ebenfalls auf den Sozialmedizinischen Dienst. An der Situation der Bewohner lässt sich ohne das Einwilligen der Bewohnerin, Hilfe anzunehmen, also nichts ändern. Die Betroffene selbst hat nicht auf Anfragen unserer Zeitung reagiert.

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