Die freie Journalistin Meike Winnemuth hat bei Günther Jauchs „Wer wird Millionär?“ 500 000 Euro abgeräumt, Koffer gepackt und ein Jahr lang die Welt bereist. Im Interview erzählt sie, warum sie seither spontaner lebt - und wie sie zu einem Metzgerkurs kam.
Stuttgart – Fünfhunderttausend Euro – so viel hat Meike Winnemuth in Günther Jauchs Quizshow gewonnen. Sie hat sich damit keinen Ferrari gekauft, sondern Freiheit. Zwölf Monate lang lebte sie in zwölf Städten wie Sydney, Buenos Aires, London, Tel Aviv und Shanghai. Im Interview sagt die 52-jährige Hamburgerin, wie das Experiment Weltreise ihr Leben verändert hat und ob Glück vom Geld abhängt.
Frau Winnemuth, macht Geld mutig?
Mutiger. Mut sollte man unabhängig von Geld haben. Aber Geld ist wie ein Sicherheitsnetz. In meinen Fall war es wie eine Art Trampolin. Ohne den Gewinn hätte ich die Reise nicht angetreten. Das Geld hat mir die Genehmigung erteilt, ein Jahr aussteigen zu dürfen.
Braucht es nicht Mut, sich einen Monat ganz allein auf relativ unbequeme Städte wie Addis Abeba oder Mumbai einzulassen?
Mehr Neugier als Mut, glaube ich. Die Städte haben mich wirklich interessiert. Ich konnte mir vorher gar nicht vorstellen, wie es da ist. Von Äthiopien hatte ich nur eine Art „Tagesschau“-Wissen, verbunden mit der Ahnung, dass das nicht alles sein kann.
Mit welchen Erwartungen sind Sie abgereist?
Mit wenigen. Fast das größte Glück dieses Jahres war die Planlosigkeit. Ich habe diese zwölf Städte aus dem Bauch heraus auf einen Post-it-Zettel geschrieben. Und bin gefahren, ohne zu überlegen, was ich dort eigentlich will. Das war das Tollste: nichts zu planen, keine To-do-Liste abzuhaken, keiner Reiseführeranweisung, sondern nur der Nase zu folgen.
Meike Winnemuths Route: Zwölf Städte in zwölf Monaten. Grafik: StZ
Und so haben Sie verrückte Sachen gemacht.
Ja? Was denn?
Na, zum Beispiel einen Metzgerkurs.
Reiner Zufall. Ich hab in meinem Reiseblog geschrieben, dass ich mir ein Känguruschnitzel gebraten habe. Es gab einen Aufschrei. Also habe ich versucht zu erklären, warum ich Känguru für eine großartige Alternative halte. Dann sagte ein Blog-Leser: „Kennen Sie eigentlich diese tolle Schlachterei Victor Churchill? Da müssen Sie hin!“ Hab ich gemacht. Eine Boutique, ein Palast des Fleisches! Und dort entdeckte ich den Fleischerkurs. Das ist das Schöne an der Planlosigkeit: Man kann sich von sich selbst überraschen lassen, von den Interessen, die sich plötzlich auftun. Normalerweise, zu Hause, würde man sagen: Ja, macht bestimmt Spaß, aber ich hab keine Zeit, wie soll ich das denn noch schaffen? Hier hatte ich keine Ausrede. Es war also nicht verrückt, sondern naheliegend.
War das Reisen manchmal hart?
Ja, oft. Am härtesten war es in Mumbai, diese Stadt hat mich überfordert. Ich bin überhaupt nicht klargekommen mit dem unerträglichen Clash von bitterster Armut und obszönstem Reichtum. Aber es war trotzdem richtig, sich einer solchen Erfahrung auszusetzen. Man muss vieles einfach selbst gesehen haben. Vermutlich haben gerade diese härteren Städte am meisten Spuren in mir hinterlassen.
Als Frau allein auf Reisen
In Ihrem Buch über die Reise schwärmen Sie sehr von Äthiopien. War Addis Abeba das Beste, was Sie erlebt haben?
Es ist schwer zu sagen, welcher Ort der schönste oder wichtigste war. Am meisten überrascht hat mich tatsächlich Äthiopien, das hat mich umgehauen. Ich hab mich sehr geschämt, dass ich vorher so wenig davon wusste. Äthiopien hat mich bewegt, berührt, bereichert wie kaum ein anderes Land. Aber jede der zwölf Städte hatte ihre Berechtigung. Eine von außen betrachtet ruhige und langweilige Stadt wie Kopenhagen hat mir die Möglichkeit gegeben zu verschnaufen. Denn man kann sich ja nicht nur Sensationen zumuten.
Hätten Sie das Jahr anders erlebt, wenn Sie ein Mann gewesen wären?
Als Frau allein zu reisen hat mir eher genützt als geschadet. Frauen wirken erst mal weniger bedrohlich, das erleichtert die Kontaktaufnahme. Ich glaube, einer Frau wird viel mehr Unterstützung zuteil. Ich kenne viele Frauen, die sich so eine Form des Reisens nicht zutrauen würden, weil sie denken, es sei zu gefährlich. Mein Eindruck ist: ganz und gar nicht, eher im Gegenteil.
Es ist also nie etwas passiert?
Nein. Ich muss dazu sagen: Ich bin 1,83 groß und strohblond. Ich sehe aus wie Olivia Jones ohne Make-up – ein Leuchtturm, der durch die Menge geht, gerade in Mumbai oder Shanghai. Ich hatte nie den Eindruck, mir könnte was passieren.
Sie haben viel gelernt in diesem Jahr. Auch übers Reisen, das Sie oft reflektiert haben. Kann man Ihr Buch als kleine Anleitung zum erfolgreichen Reisen verstehen?
Das Buch soll eine Ermunterung sein. Ich freue mich, wenn die Leute sagen würden: Was die kann, kann ich auch. Man kann großartige Dinge erleben, wenn man sich nur darauf einlässt. Mein Buch ist ein Vorschlag: Macht so was auch mal!
Was haben Sie fürs Leben gelernt?
Dass es immer mehrere Optionen gibt. Das Reisen ist die beste Gelegenheit, im eigenen Leben Inventur zu machen, zu schauen: Was will ich wirklich? Und nicht: Was soll ich wollen? Es geht immer mehr, als man denkt. Frauen werden ja beispielsweise auf die Frage reduziert: Kinder oder Karriere. Was ist, wenn man sagt: Weder noch! Ich hab mich gegen Kinder entschieden. Ich habe zwar Karriere gemacht, aber eines der Ergebnisse des Reisens war auch der Entschluss: Ich will nicht mehr funktionieren müssen und mich als Rädchen in diese Maschine einfügen. Das Nachdenken über sich selbst geht im Alltag viel zu oft unter. Sich dafür den Raum zu gönnen ist unbezahlbar.
Wer reist lernt fürs Leben
Was noch?
Ich habe gelernt, Ja zu sagen. Als eine Freundin mich fragte, ob ich einen Monat auf ihr Haus an der Ostsee aufpassen würde, ich müsste nur den Rasen mähen, habe ich zugesagt – und das allererste Mal Rasen gemäht. Also: nicht immer sagen: „Nö, ich glaub nicht.“ Oder: „Ja, irgendwann mal.“ Nein, jetzt! Hier! Jasagen – ich hoffe, das verlerne ich nie mehr.
Sie sind seit 14 Monaten wieder zurück. Haben Sie all Ihre Vorsätze eingehalten?
Tatsächlich ist der Samstag jetzt mein Nichts-tu-Tag. Da checke ich auch keine Mails. Am Anfang war ich wie auf Entzug, aber jetzt merke ich, dass das sehr guttut: innehalten, rumtrödeln, streunen.
Kamen Sie als anderer Mensch zurück?
Ich habe mich sehr fremd gefühlt. Mein altes Leben war zu groß und zu weit geworden. In meiner riesigen Wohnung dachte ich: Wem gehört dieser ganze Krempel eigentlich? Ich hatte ein Jahr lang glücklich aus einem 22-Kilo-Koffer gelebt, und auf einmal hat mich alles überfordert. Also habe ich eine 40-Quadratmeter-Wohnung gekauft. Sie passt mir perfekt. Es fühlt sich jetzt leicht an. Besitz verpflichtet und beschwert ja auch. Das wollte ich nicht mehr. Das hat auch für meine Garderobe Folgen. Ich trage ausschließlich Dunkelblau. Meine Kleiderstange ist quasi 50 Shades of Blau. Das hat sich bewährt: Alles passt zu allem.
Sie beschreiben im Buch sehr oft das Glück, das Sie gerade empfinden. Wie ist Glück?
Glück ist, etwas verändern zu dürfen. Was bis gestern mein Glück war, nämlich eine große Wohnung, ist es heute nicht mehr. Und Glück ist Freiheit. Entscheiden dürfen über den eigenen Tag. Was nicht heißt, dann nur in der Hängematte zu liegen. Ich habe oft entschieden, aus Lust zu arbeiten.
Macht Geld glücklich?
Nein. Aber es hat mir glückliche Situationen ermöglicht. Es war das Sprungbrett ins Glück. Es wäre aber auch ohne gegangen. Das war auch so ein Glücksmoment, als ich kapiert habe, dass ich das Geld von Günther Jauch gar nicht gebraucht hätte.
Sie haben Ihr Glück geteilt, Ihre Joker beschenkt, ein Filmprojekt gefördert . . .
Glück zu teilen macht noch glücklicher. Das Wort Knete für Geld fand ich immer einen schönen Ausdruck. Man kann daraus was Neues formen. Geld darf man nicht festhalten, das muss raus in die Welt.
Trotzdem haben Sie noch viel vom Gewinn. Steigen Sie noch mal aus?
Ja, nächstes Jahr mache ich das Gleiche noch mal: zwölf Monate in zwölf kleinen deutschen Städten. Erfurt, Regensburg, Konstanz . . . Ich glaube, das wird noch exotischer. Als ich heimkam, habe ich festgestellt, dass ich viel von der Welt, aber wenig von Deutschland weiß, weniger als jeder japanische Tourist. Jetzt wird’s höchste Zeit.
Eine Frau und ihre Experimente
Meike Winnemuth, 1960 in Schleswig-Holstein geboren, lebt als freie Journalistin in Hamburg und München. Sie hat für den „Stern“ „Amica“ und „Park Avenue“ geschrieben. Nach wie vor arbeitet sie für das „SZ Magazin“. Als sie im Oktober 2010 bei Günther Jauch saß, trug sie ein blaues Kleid – wie auch an weiteren 364 Tagen. Über das Projekt „1 Jahr 1 Kleid = 1 Experiment“ hat sie unter daskleineblaue.de gebloggt.
Auch auf ihrer Tour um die Welt hat Meike Winnemuth Tagebuch geschrieben. Mehr als 200 000 Leser begleiteten sie auf dem Blog vormirdiewelt.de, das 2012 für den Grimme Online-Award nominiert wurde. Ihr Buch „Das große Los. Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr“ ist gerade beim Knaus Verlag erschienen (336 Seiten, 19,99 Euro). Am 25. April liest Meike Winnemuth im Buchhaus Wittwer in Stuttgart, Königstraße 30.