Michael Singers stark vernachlässigter „Memorial Garden“ am Wartberg in Stuttgart bedarf der Pflege
Stuttgart - Zwei Granitstelen markieren den Eingang. Wilder Wein klettert an den Holzgittern empor und hat sich im Zwischenraum ausgebreitet, wo einzelne dünne Weidenstämmchen stehen. Eine innere Umfriedung aus kräftigen Holzplanken umschließt ein rechteckiges Gartenkunstwerk. Hier bietet sich ein lebendiges Bild: Über unzählige, annähernd rechteckige Platten, Balken, Schwellen und Becken aus Granit, Schiefer, Beton und Bronze, teils verwittert, teils von Menschenhand überformt, sucht sich das Wasser dreier Bachläufe seinen Weg. Pfennigkraut und Zimbelkraut bilden dichte Kissen, der obere Bereich ist von Gräsern überwuchert. Wer der Einladung folgt, sich von der Betriebsamkeit draußen ein wenig zurückzuziehen, um die Anlage auf sich wirken zu lassen, wird belohnt mit einem anregenden Schauspiel von Reflexionen im Wasser, leisem Glucksen und Plätschern, künstlerischen Arbeitsspuren und belebter Natur.
So lässt sich der Memorial Garden von Michael Singer im Wartberg, entstanden im Zuge der IGA 93, auch heute noch beschreiben. Auch wenn Vieles nicht mehr so ist, wie es einmal war und sein sollte. Die seinerzeit in die Umfriedung gesetzten Clematis und blühenden Stauden sind nicht mehr vorhanden. Stattdessen war lange Zeit alles von Efeu überwuchert. Die nun freigelegten, von Graffiti befreiten Bohlen sind an der Oberfläche vermodert, einige Steine beschädigt, weil Mountainbiker durch die Anlage gebrettert sind. Kaum freigelegt, schon wieder verschlammt ist eine Inschrift am oberen Ausgang: „Die Welt in ihrer Gesamtheit ist eine sehr schmale Brücke. Das Wichtigste ist, keine Angst zu haben.“ Der Text, um 1800 geschrieben von Rabbi Nachman aus Brazlaw (Ukraine), fand sich an einer Wand des Warschauer Gettos.
Meditativ nach japanischem Vorbild
Bereits 2002 hatte Hans Luz, der Vater der Gartenschau, angemahnt, dass das Kunstwerk der Pflege bedürfe. Nun hat sich die Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur (DGGL) der Sache angenommen. Zehn Kunststationen gehörten seinerzeit zum IGA-Konzept, nicht alle sind mehr vorhanden. Aber Singers Memorial Garden war ohne Zweifel das herausragende Werk. Der US-Amerikaner mit Büros in Vermont und Florida, ein Pionier der Environmental Art und bereits 1977 auf der Documenta vertreten, arbeitet mit interdisziplinären Teams an großen Projekten wie der Gestaltung von Seeufern, Kraftwerken oder Müllverbrennungsanlagen. Seine Stuttgarter Arbeit, die erste von nur dreien in Europa, verdankt ihre Entstehung unter anderem dem Besuch eines japanischen Shinto-Schreins. Und dem Umstand, dass Teile des angrenzenden Hügels aus Kriegstrümmern bestehen. Das Plätschern des Wassers, der Blick in die überwucherten, verschlammten Becken liefert ein abstraktes Bild der Erinnerung, zu der nur meditative Kontemplation einen Zugang eröffnet: ein einzigartiges Werk zwischen Mahnmal und Gartenkunst, das unbedingt mehr Beachtung verdient und über die Instandsetzung hinaus regelmäßiger Pflege bedarf.