Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

„Wissen auf neue Art verknüpfen können nur wenige“

Sobald es solche Regeln gäbe, könnte man versuchen, sie in Form von Algorithmen auf eine intelligente Maschinezu übertragen.
Man könnte einem Computer befehlen: verknüpfe wahllos. Es käme aber nichts Sinnvolles dabei raus. Kreativität ist nicht wahlloses Verknüpfen wie bei einem Zufallsgenerator, sondern eine höhere Art von Zielsetzung. Wie der Mensch das macht, kommt sehr stark auf seine Persönlichkeit an. Es gibt kreative Persönlichkeiten, also Menschen, die dazu neigen, Wissen auf neue Art zu verknüpfen. Aber das können nur wenige.
Was läuft dabei im Gehirn ab?
Dopamin spielt hierbei eine wichtige Rolle. Dabei handelt es sich um einen Neuromodulator – eine chemische Substanz, welche die Arbeitsweise des Nervensystems beeinflusst und mit Lernen, Begeisterung und Kreativität zusammenhängt. All das findet in unserem Stirnhirn im präfrontalen Kortex statt, einem Teil des Frontallappens der Großhirnrinde.
Kreativität hängt demnach wie die menschliche Psyche mit biochemischen Prozessen zusammen?
Genau. Bei einer Depression etwa gibt es einen Mangel an dem Botenstoff Serotonin und eine Überproduktion des Stresshormons Cortisol. In der sogenannten produktiven Phase von Schizophrenien haben wir es mit einer Überproduktion von Dopamin zu tun. Die Betroffenen werden sozusagen superkreativ. Es fällt ihnen alles Mögliche Absurde und Bizarre ein. Solche Schübe bei Kreativen und Schizophrenen haben durchaus etwas miteinander zu tun.

„Der Mensch muss einordnen, bewerten und Schlüsse ziehen“

Heißt das: Kreativität und Intelligenz beruhen auf unterschiedlichen biochemischen Prozessen?
Das ist die derzeitige Anschauung der Hirnforschung. Es werden zumindest teilweise unterschiedliche neuronale Prozesse in Gang gesetzt.
Welche Rolle werden Kreativität und Innovationsgeist in der Zukunft spielen, beispielsweise in der Arbeitswelt?
Computer übernehmen dort immer mehr Aufgaben und immer mehr Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz, sofern sie nicht intelligent und kreativ genug sind.
Wird der Mensch durch die zunehmende Automatisierung, Digitalisierung und Vernetzung irgendwann überflüssig?
Das ist nicht zu befürchten. Das Problem liegt anderswo: Je mehr Aufgaben Computer übernehmen, desto weniger verstehen wir die dabei auftretenden Zusammenhänge und Gründe. Egal wie viel geistige Arbeit intelligente Maschinen dem Menschen auch abnehmen, der Mensch muss sie nämlich immer noch einordnen, bewerten und Schlüsse daraus ziehen.

„Eine Computer-Diktatur kann niemand wirklich wollen“

Welche Funktion sollen Computer spielen? Sind sie Ergänzung oder Ersatz für menschliche Kreativität?
Eine Computer-Diktatur kann niemand wirklich wollen, weil der Mensch dann keine Entscheidungsfreiheit mehr hätte. Das wäre ihm sehr unangenehm.
Könnte man die Fähigkeiten beider vernetzen im Sinne einer Mensch-Maschine-Interaktion?
Eine solche Idee wurde nicht nur angedacht, sondern auch versucht. Aus technischen Gründen ist sie aber fehlgeschlagen. Bisher ist es nicht gelungen in größerem Umfang Teile der Großhirnrinde zu ersetzen, weil es keine funktionsfähigen künstlichen Nervenzellen gibt. Auch wenn es sie gäbe, könnten wir sie zur Zeit nicht implantieren, weil sie im Gehirn nicht einwachsen.

„Die Menschen müssen viel früher, intensiver und systematischer ausgebildet werden“

Wenn die technologische Entwicklung so weitergeht, wird die Arbeitslosigkeit unaufhaltsam ansteigen, weil Computer den Menschen ersetzen. Ist das erstrebenswert?
Denken Sie an den Kohle-Schaufler auf den ersten Elektroloks. Eigentlich brauchte man ihn nicht mehr. Man ließ ihn aber mitfahren, damit er nicht arbeitslos wurde. Vieles, was heute Rechner erledigen könnten, wird weiter von Menschen gemacht, weil man sie nicht einfach auf die Straße setzen will. Und dieses Dilemma wird sich noch vergrößern. Es sei denn, man investiert in mehr und bessere Bildung. Die Menschen müssen viel früher, intensiver und systematischer ausgebildet werden.
Ein Plädoyer für eine ganz neue Bildungs- und Wissensgesellschaft?
Ganz genau. Aber davon sind wir weit entfernt. Es ist ein sehr fernes und teures Ziel.

Zur Person: Gerhard Roth

1942 in Marburg geboren 1963-1969 Studium der Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Münster, Rom, Promotion in Philosophie 1969-1974 Studium der Biologie, Promotion in Zoologie an der Universität MünsterSeit 1976 Professor für Verhaltensphysiologie an der Universität BremenSeit 1989 Direktor des Instituts für Hirnforschung bzw. Zentrum für Kognitionswissenschaften 2003-2011 Präsident der Studienstiftung des deutschen Volkes 2008 Gründung der Beratungsfirma Roth GmbH in Bremen