Die Menschen 2010 sind wie protestantische Katholiken und essen gerne Mettbrötchen ohne Gurken. Von Sarrazin bis zur Vettelwirtschaft.

Stuttgart - Thilo Sarrazin erwähnen wir hier nur deshalb, weil ein guter Vorspann Reizworte braucht. Dabei finden wir die Freifrau von und zu Guttenberg viel reizender. Und überhaupt: was wäre das Jahr ohne die Menschen des Jahres? Reizlos!

Heiner Geißler


Vielleicht macht ein Zitat von Heiner Geißler besonders deutlich, weshalb er als Schlichter im Streit um einen Sackbahnhof so geeignet war. Vermittler müssen zwischen den Bahnsteigen liegen, auf Nichtbahnhofsdeutsch: zwischen den Stühlen sitzen. Heiner nichtwahr Geißler hat das früh erkannt. "Jeder intelligente Katholik ist im Inneren irgendwie auch Protestant", erläuterte er der "Zeit" einst seinen Lebensfahrplan. Was nachvollziehbar macht, weshalb der Mann, der einst als "Heuchel-Heiner" durchs Land generalsekretärte, und den Willy Brandt 1985 als "schlimmsten Hetzer seit Goebbels" bezeichnet hatte, jetzt fast als grüner Heiner durchginge. Wenn der Grüne Heiner nicht ein Bauschuttberg westlich von Korntal wäre, auf dem ein Windrad steht mit "Dreiblattrotor aus GFK mit aktiver Blattverstellung; aktiver Windnachführung über Azimutantrieb; Ringgenerator ohne Getriebe" und vor allem mit: "Netzparallelbetrieb". Wir erwähnen das, weil der Netzparallelbetrieb Geißlers großer Vorzug ist. Ein protestantischer Katholik, bis auf die schwarze Wolle grün eingefärbt, ein Mann aus tiefster Vergangenheit, der die Bahn für die Zukunft schienen sollte: Geißler hat keine Grenzen. Und wer ihm welche unterstellt, den schießt er verbal scharf an. Kein Wunder, er wurde vor achtzig Jahren in Oberndorf geboren; jenem Oberndorf, aus dem die Waffenhersteller Mauser sowie Heckler&Koch stammen. Dort sind Querschläger bekannt. Vielleicht wird der Querschläger Geißler deshalb als Querdenker bezeichnet. Aber Hauptsache, ein Politiker denkt überhaupt. Und wenn's querbeet ist.

Stefan Mappus


Auf der Internetseite des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus wird man erst mal facebookmäßig hergeduzt ("melde dich an"), um dann zu erfahren, dass der MP jüngst in einer Meckenbeurer Wohnanlage "eine kurze Runde Tischkicker" gespielt und vor Wochen eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach des vietnamesischen Handelsministeriums in Hanoi eingeweiht hat. "Hanoi", hört man sich da sagen, "was onsr Minischderbräsident net älles do muss!" Und "hanoi" war bestimmt auch das erste Wort des in Mühlacker-Enzberg aufgewachsenen Mappus, als der SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Knapp über seinen Exkollegen aus dem Gemeinderat sagte: "Wäre die Erde eine Scheibe, würde Mappus über den Rand fallen, so weit rechts außen steht er." Das stimmt natürlich nicht! Hobbyfußballer Mappus spielt am liebsten Mittelstürmer, nicht Rechtsaußen! Und Mappus, 44, ist als Politiker von jeher auf der Überholspur, also auf der linken Straßenseite! Was Geißler dazu sagen würde? Jeder linke Rechte ist im Inneren auch ein rechter Linker! Hanoi? Ha, doch! Und wenn an Mappus sonst nichts bestrickend wäre (nicht mal Guttenbergs Gedächtnisgelfrisur) - eines muss man ihm hoch anrechnen: Er hat das Beste an Mühlacker genutzt - die B10 nach Stuttgart.

Stefan Raab


Wer die B 10 in der Gegenrichtung befährt, landet - das Hotel Scharfes Eck rechts, den Geburtsort von Stefan Mappus (Pforzheim) links (!) liegen lassend - in Karlsruhe. Dort wohnt die Exboxerin Regina Halmich, die uns direkt zu Stefan Raab führt. Halmich war die letzte, die Raab das große Gebiss poliert hat und hinterher sagte: "Er hat Eier gezeigt." Das macht einem die Halmich nicht sympathisch, es macht einem Raab aber auch nicht unsympathischer. Der Metzgerssohn, der nicht nur alle TV-Formate seit Einführung des Zeilensprungverfahrens erfunden hat und seinen Grundwehrdienst berufsvorbereitend am Truppenstandort Köln-Wahn ableistete, ist wahrlich kein Mann, in den sich ein ganzes Land Schweinehals über Kalbskopf verliebte. Dafür hat er sich, verdammte Axt, das Fräulein Meyer-Landrut erfunden, frei nach einem seiner Songs "Hier kommt die Maus". So wird er nun fremdgeliebt, umso mehr, als er in einer Gegendarstellung im "Focus" schrieb, was er alles nicht hat, tut, isst - trotz der Berichte des Magazins. Dass er nie Mettbrötchen mit Gurkenscheiben esse, keinen Hubschrauber habe, keine Harley-Davidson, keine Hecke um sein Grundstück. Dass er den European Song Contest gewonnen hat, bestreitet er nicht. Darauf ein Mettbrötchen, aber mit Gurke.

Stephanie zu Guttenberg


Die Flughöhe derer zu Guttenbergs ist so beträchtlich, dass man schon von einem Höhenflug sprechen darf. In unseren finsteren Gedanken allerdings, jenen, die von Neid und Missgunst geprägt sind, da kommen Untitulierte wie wir darauf, selbst diesen Höhenflug der beiden Hochwohlgeborenen, er 38, sie 34, als Theaterstück missverstehen zu wollen. Als Showspiel (Titel: "Der eingebildete Franke"), das auf die Absonderung von Effekten aus ist. Ist schon so: Adel verdichtet! Das Geheimnis Ihro Freifrau von und zu Guttenberg, der Ururenkelin Bismarcks, und ihres verteidigungsministeriellen Freiherrn ist aber nicht, dass KT aussieht wie Lothar Matthäus als Blaublüter. Das echte Geheimnis hat Roger Willemsen im "Zeit-Magazin" jüngst so beschrieben: "Sie machen hinter einer appetitlichen Schauseite einfach dem ungesunden Volksempfinden Offerten, die es nicht ablehnen kann."

Und da gibt es dann keine Grenzen mehr zwischen Leutkirch (Eintrag ins Goldene Buch) und Afghanistan (Eintrag ins Geschichtsbuch der Inszenierungskunst), zwischen Aussetzung der Wehrpflicht und Aussetzung der Ugg-Boots im afghanischen Sand. Truppenbild mit Dame. Dass sie noch Zeit hat, Kinderschänder auf RTL2 zu jagen, ohne mit der Schminkwimper zu zucken? Ist Teil der Inszenierungslösung. Oder schon Teil des Inszenierungsproblems - weil es ihren eindrucksvollen Einsatz gegen Kindesmissbrauch aufs Abstellgleis des Boulevards verführt.