Die Lebenshilfe-Vereine betreiben im Land viele Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Im Zollernalbkreis wird beispielhaft in die Zukunft gedacht.

Albstadt - Es klingt so einfach. „Jede Behinderung lässt einem auf der anderen Seite Stärken angedeihen.“ Das hat Holger Klein beobachtet. Wenn Menschen mit Behinderungen ihre Begabungen richtig einsetzen und entwickeln können, könnten sie auch Besonderes leisten. Davon ist der Geschäftsführer der Lebenshilfe für Behinderte Zollernalb überzeugt, deshalb schafft er Chancen für Betroffene.

 

Die Lebenshilfe Zollernalb hat vor fünf Jahren an einem ihrer vier Standorte, im Albstädter Ortsteil Lautlingen, die AIZ Arbeitsidee Zollernalb gegründet. Das ist eine gemeinnützige GmbH, in der Menschen mit und ohne Behinderungen arbeiten. Dabei sollen sozialversicherungspflichtige Jobs entstehen, die nicht aus dem Sozialetat des Landkreises bezuschusst werden. Menschen mit Behinderungen sollen beruflich qualifiziert und in den allgemeinen Arbeitsmarkt eingegliedert werden. Die AIZ beschäftigt 37 Menschen, darunter sind 17 mit einer schweren Behinderung.

Der Druck wächst, eigene Geldquellen aufzutun

Klein ist schon seit vielen Jahren an verschiedenen Stellen in der Behindertenhilfe tätig. In dieser Zeit ist für ihn klar geworden, „dass wir immer mehr ins Unternehmertum reinkommen“. Die Werkstätten sind meist an einen Landkreis angebunden und verpflichtet, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen. Sie erhalten dafür entsprechende Vergütungssätze aus dem Kreisetat. Doch schon seit Jahren klagen die Landkreise, dass die Hilfe für die Eingliederung von behinderten Menschen ihre finanziellen Spielräume immer mehr einenge. Auf allen staatlichen Ebenen wird gespart und gekürzt, um die Etats in Ordnung zu bringen. Das spüren auch gemeinnützige Einrichtungen. Und so wächst auf sie der Druck, eigene Geldquellen aufzutun.

Das funktioniert – derzeit. 2011 hat die Lebenshilfe Zollernalb Klein zufolge mit Firmenkunden sogar etwas mehr Erlöse erzielt als nach dem Sozialgesetzbuch, 5,9 gegenüber 5,8 Millionen Euro. Freilich läuft die Konjunktur derzeit auch ordentlich. Das war nicht immer so. In der Finanzkrise im Frühjahr 2009 sind bei vielen Werkstätten die Aufträge von Automobilherstellern oder Maschinenbauern zwischen 20 und 60 Prozent eingebrochen.

Arbeitsmöglichkeiten der Zukunft

Werkstätten für behinderte Menschen sind nicht von den Effekten der Globalisierung ausgenommen. „Vor 20 Jahren kamen hundert Prozent der Arbeit aus der Nachbarschaft“, sagt Klein. Das ist vorbei. Dass man aufgrund öffentlicher Zuwendungen billig anbieten konnte, verfängt nicht mehr. Lieferanten aus Asien oder Südosteuropa sind mindestens so günstig. „Für die Werkstattkunden muss ein Mehrwert herausgearbeitet werden, der nicht nur in einem günstigen Preis besteht“, sagt Klein.

Das hört auch nie auf. „Wir sind immer dran zu denken, wo die Arbeitsmöglichkeiten der Zukunft liegen könnten.“ Klein geht davon aus, dass „die Hälfte unserer Arbeitsplätze innerhalb von fünf Jahren ersetzt werden muss“. Produktzyklen enden, Aufträge werden verlagert, Arbeitsgänge bei den Kunden automatisiert. Das bedeutet konkret, dass bei insgesamt 600 Arbeitsplätzen im Schnitt jedes Jahr für 60 Positionen neue Aufträge gewonnen werden müssen, in Krisenzeiten noch mehr.

Dabei gilt schon jetzt, dass mit Aufträgen aus dem Standortlandkreis nicht einmal mehr die Hälfte des Umsatzes erzielt wird. „Bis 2015 wird der Anteil auf unter 30 Prozent weiter zurückgehen.“

Weitblick ist gefragt

Was also tun? Da wird Klein zum Unternehmer, aber keiner nach gängigem Muster. Er bemängelt die vorherrschende Kurzsicht in der Managerklasse, wo doch mehr denn je Weitblick nötig sei. Ein Beispiel: Unternehmen wie Bosch und Daimler seien „satt an Zulieferern“, glaubt er und sieht für seine Werkstatt dort keine reelle Geschäftschance. „Wir gehen in Kontakt zu Start-up-Unternehmen“, also neu gegründeten jungen Betrieben. Denen stellt man seine Kompetenzen vor. Wenn’s gut läuft, ist das der Beginn einer längeren Partnerschaft – und es wachsen beide.

So hat Klein, wie er sagt, mit dem Zirkel auf der Landkarte rund um Albstadt einen Hundert-Kilometer-Kreis gezogen und festgestellt, dass auffallend viele Medizintechnikbetriebe in diesem Radius tätig sind. Inzwischen hat die Lebenshilfe-Werkstatt in Bisingen einen Reinraum mit 140 Quadratmeter Fläche. Dort montieren 24 Menschen Bauteile für endoskopische Instrumente oder kleben Gießschläuche für die Medizintechnik.

Partnerschaft gesucht

Der Hechinger Hersteller von Dialysegeräten, Gambro Dialysatoren GmbH, arbeitet seit Jahren mit der Lebenshilfe zusammen. Gambro-Auszubildende leben und arbeiten eine Woche lang mit den Menschen mit Behinderungen in den Werkstätten. Im Frühjahr hat sich Gambro jetzt für regelmäßige Wartungsarbeiten an den Produktionsanlagen personelle Unterstützung von außen geholt: von der Lebenshilfe, denn die verfüge „über erfahrenes Personal im Reinraum“. Partnerschaften wie diese strebt Klein an.

Ein anderes Beispiel ist die Kaffeerösterei, die in Lautlingen seit drei Jahren betrieben wird. Zwei bis drei Tonnen ökologisch angebauter und fair gehandelter Kaffee wird dort pro Monat verarbeitet und an Händler, Kantinen oder Cafés weit außerhalb des Zollernalbkreises vertrieben.

Vielfalt geschickt verknüpft

Klein will „in Partnerschaften mit Kunden und Lieferanten denken“. Die Lebenshilfe lädt zum Beispiel ihre Auftraggeber zu Kundentagen ein, um zu zeigen, welche Ideen man gerade wälzt. Sie ist auf Messen präsent oder macht Mailingaktionen. Klein geht auch mal raus. Bei Dallmayr in München hat er sich einen Tag lang umgesehen, aber auch bei Würth in Künzelsau. „Wenn man sich außerhalb der Branche orientiert, kommt einem auch mal was Neues.“

In den Lebenshilfe-Werkstätten werden Metalle und Kunststoffe bearbeitet, Bleche gestanzt, Kabel konfektioniert, Leiterplatten bestückt, Verpackungen aus Karton oder Holz gefertigt, Wasserzähler geeicht, Treppengeländer oder Terrassenüberdachungen gebaut; es gibt eine Schlosserei, eine Schreinerei, eine Druckerei. Diese Vielfalt geschickt zu verknüpfen sollte Aufträge bringenden Mehrwert für die Kunden schaffen, sagt Klein. Man muss seine Fertigkeiten eben nur richtig einsetzen.