Bundeskanzlerin Angela Merkel reist auf ihrem Staatsbesuch in ein Land, in dem die Unterdrückung weiterhin gut funktioniert. Viele Chinesen sehen das allerdings nicht so, sie haben eine andere Auffassung von Demokratie.

Peking - Die deutsche Bundeskanzlerin besucht für zwei Tage China. Es gehört zur guten Tradition dieser Besuche, gegenüber den chinesischen Staatsführern auch die Menschenrechtslage anzusprechen. Doch die Ratschläge der durchreisenden westlichen Politiker perlen heute mehr denn je von den Vertretern der Kommunistischen Partei ab. Sie verweisen gegenüber Gesprächspartnern wie Angela Merkel auf erhebliche Fortschritte: Sie haben den Rechtsstaat gestärkt, und die Todesstrafe eingeschränkt. Vor allem aber wollen sich angesichts der eigenen gestiegenen Bedeutung von anderen Ländern weniger als je hineinreden lassen.  

 

Die Kanzlerin mag wie in früheren Jahren für Einzelfälle eintreten können – aber allgemeine Ratschläge an die Adresse Kommunisten sind heute nur noch schwer zu formulieren. Denn die Lage in China ist komplex. Dort regiert kein verrückter Diktator, der sich jede Kritik verbittet. Die kommunistische Führung geht stattdessen vielschichtig vor und hört durchaus auf die Meinung des Volkes – statt schwarz und weiß gibt es viele Grautöne.  

Die Regierung bekämpft Aktivisten

Menschenrechtsexperten ordnen China dennoch unterm Strich ganz klar auf der Seite der Staaten ein, „die systematisch fundamentale Rechte verletzen“, wie die Organisation Human Rights Watch schreibt. „Die Regierung bekämpft Aktivisten und Menschenrechtler mit außergewöhnlicher Heftigkeit.“ Zuletzt habe sie die Schrauben für die Zivilgesellschaft und die Medien stark angezogen. Das Internet ist lückenlos überwacht. Eine „Gedankenpolizei“ verbannt unerwünschte Schriften und Themen aus den Universitäten.   Der Staat ist so auf Zack wie nie zuvor – online und offline. Die Behörden gehen manchmal enorm subtil vor. Sie nutzen ihre Kontrolle der Medien und Schulen, um Liebe zum Vaterland und Treue zur Führung zu wecken. Statt platter Parolen gibt es beispielsweise derzeit für den aktuellen Fünfjahresplan flippige Propaganda mit Rap und einem psychedelischen Musikvideo.  

Wer davon aber immer noch nicht überzeugt ist, dem droht jedoch handfeste Einschüchterung – bis hin zur Folter oder dem gefürchteten „Verschwinden“, das zuletzt zwanzig Anwälte getroffen hat, die politische Fälle übernommen hatten. „In den drei Jahren, seit Xi Jinping Präsident geworden ist, hat ein alarmierender Verfall der Menschenrechte im ganzen Land stattgefunden“, sagt David Mepham von Human Rights Watch.   Davon bekommt die Öffentlichkeit jedoch kaum etwas mit – und wenn, dann stellen die Staatsmedien beispielsweise die verhafteten Anwälte als „Störenfriede“ dar, die aus Eigennutz das Recht verdrehen wollen, wie die Zeitung „Global Times“ schreibt. Eine erhebliche Zahl von Chinesen ist heute überzeugt, in einem Rechtsstaat zu leben. Schließlich stellt die offizielle Propaganda das Land so dar.   Tatsächlich hat das Rechtssystem zuletzt enorme Fortschritte gemacht. Statt ausgedienten Armeeoffizieren sitzen qualifizierte Jura-Absolventen auf den Richterstühlen. In vielen Bereichen, etwa dem Wirtschaftsrechts, nähert sich China dem internationalen Standard.

Die Bewohner glauben an die Demokratie

Deutsche Unternehmen berichten davon, dass sie ihre Rechte zunehmend durchsetzen können, beispielsweise gegenüber Nachahmern.   Das ist es, was für die meisten Leute zählt: Mietstreit, Verkehrsrecht oder Familienrecht. Korrupte Kader, die vor Ort die Hand aufgehalten haben, werden verhaftet und zur Rechenschaft gezogen. Das kommt bei den Leuten gut an.   Die Unterstützung für die Führung kommt in China denn auch ganz überwiegend freiwillig. Die Bewohner des Landes glauben sogar fest daran, in einer Demokratie zu leben, wie eine Studie des Politologen Lu Jie von der American University in Washington zeigt. „Eine Mehrheit zeigt Enthusiasmus für Demokratie und hohes Vertrauen in das kommunistische Regime gleichzeitig.“ Nur ein Prozent der Bürger geben bei anonymen Umfragen an, nicht in einem demokratischen Staat zu leben. In den Köpfen der Chinesen bedeute „Demokratie“ schlicht etwas anderes als im Westen: Einen mächtigen, wohlmeinenden Staat, der das Volk beschützt und in seinem Sinne handelt, beispielsweise durch gute Wirtschaftspolitik.  

Dazu passt eine neue Hinwendung zum Konfuzianismus, vor allem an den Schulen. Auf den ersten Blick wirkt das wie eine Stärkung von traditionellen Werten. Doch ein genauer Blick auf die Texte, die die Kinder seit neuestem auswendig lernen und rezitieren, zeigt ihren politisch nützlichen Inhalt: „Jüngere Geschwister sollen ihre älteren Geschwister lieben und verehren“, ebenso wie ihren Eltern. Und die Staatsführer. Das Ausbildungssystem werde systematisch genutzt, um die Leute gefügig zu machen, sagt Lu.   Fast allen Chinesen von heute geht es ein Vielfaches besser als noch vor einem oder zwei Jahrzehnten, und den meisten von ihnen fällt keine grundsätzliche Kritik an ihrem politischen System ein. Sie ärgern sich über örtliche Ungerechtigkeiten, hoffen aber eher, dass die Partei sie auch wieder abstellt, statt den Umsturz zu fordern. Die systematischen Menschenrechtsverletzungen durch die Kommunisten sind so gesehen erfolgreich.