Haben die Versuche an der Uniklinik Aachen wirklich nichts mit Autoabgasen zu tun? Der Lobbyverein EUGT stellte diesen Zusammenhang her – offenbar ohne Wissen und Zustimmung der Forscher.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Pressemitteilung der Uniklinik Aachen las sich so, als wäre die ganze Aufregung über die „Menschenversuche“ – bis hinauf zur Kanzlerin – überflüssig gewesen. Die vom Autolobbyverein EUGT geförderte Studie, für die junge Probanden unterschiedlichen Konzentrationen von Stickstoffdioxid (NO2) ausgesetzt wurden, habe mit dem Dieselskandal nichts zu tun; auch zum „Affenversuch“ in den USA gebe es keinerlei Bezug. Es sei alleine um die Folgen der NO2 -Belastung am Arbeitsplatz gegangen, über die es bisher zuvor wenig Erkenntnisse gegeben habe. Die Ethikkommission des Klinikums habe das Experiment abgesegnet, es sei „kein Mensch zu Schaden“ gekommen. Ganz ähnlich verbreitete es zeitgleich die Pressestelle von VW – verbunden mit dem Hinweis, man äußere sich nicht zu den von unabhängigen Wissenschaftlern verfassten Studien.

 

Viel Lärm um nichts also? Ein ganz anderes Thema? Von wegen: Affen- und Menschenversuche hatte die von VW, Daimler und BMW getragene „Europäische Vereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor“ in einen Zusammenhang gebracht. Beide Experimente wurden im EUGT-Report für die Jahre 2012 bis 2015 aufgeführt – das Aachener ohne Nennung des Instituts unter den abgeschlossenen, das amerikanische unter den laufenden Projekten. Auch in der Beschreibung der Menschen-Studie wurde dort klar auf den Straßenverkehr Bezug genommen. In Ballungsgebieten sei dieser „die bedeutendste NO2-Quelle“, zudem gelte das Reizgas als „wesentliche Messgröße für den Einfluss des Verkehrs auf die Luftqualität“. Einige Seiten weiter hinten war dann von den „mehrstündigen Inhalationsversuchen mit Affen die Rede“.

EUGT-Report war Forschern nicht bekannt

Eigentlich hätte sich der zuständige Institutsleiter Thomas Kraus da nicht wundern dürfen, dass die Aufregung über die Affenversuche auch auf seine Studie übergriff. Doch die Darstellung im EUGT-Report, sagt er, sei „nicht mit dem Uniklinikum Aachen abgestimmt“ und „uns nicht bekannt“ gewesen. Schon vor dem Wirbel um die Versuche hatte Kraus von einer „Instrumentalisierung“ seiner Ergebnisse gesprochen, dass sich praktisch keine Effekte der jeweils mehrstündigen Exposition feststellen ließen. Dabei taugten diese mitnichten dazu, Stickstoffdioxid „reinzuwaschen“ oder gar Entwarnung beim Kampf für saubere Luft zu geben. „Es ist nur begrenzt möglich, sich gegen eine Instrumentalisierung zu wehren“, teilte er nun mit; dies zeige auch die „derzeitige Debatte in den Medien“. Seine Sicht der Dinge erläutert der Umweltmediziner in einem Video der Uniklinik.

Auch der Vorsitzende des Forschungsbeirats der EUGT, Helmut Greim, hatte im Kontext der Dieselaffäre auf die Aachener Befunde Bezug genommen. Als Sachverständiger im Untersuchungsausschuss des Bundestages hatte er die geltenden Grenzwerte als ausreichend verteidigt. Er könne nicht nachvollziehen, warum eine andere Expertin noch tiefere wolle. Zur Begründung verwies der Toxikologe in seiner schriftlichen Stellungnahme auf Langzeit-Tierversuche und eine „kurze, mehrere Stunden dauernde Exposition von Probanden“ – offensichtlich Kraus‘ Versuch. Bei den Tieren ging es aber wohl nicht um die inzwischen berühmt gewordenen Affen, laut Protokoll verwies Greim vielmehr auf eine „riesengroß angelegte Studie bei Ratten“. Das sei auch der Grund, warum niemand hellhörig geworden sei, hieß es aus Kreisen des Gremiums.

Forscher treten aus Protest zurück

Gleich zweimal wurde somit, direkt oder indirekt, der Bezug zu Autoabgasen hergestellt. Doch Kraus‘ Kritik an der „Instrumentalisierung“ bezieht Greim offensichtlich nicht auf die EUGT. „Dass seine Studie instrumentalisiert wird, dem kann ich nur zustimmen“, teilte er mit. Mit Dieselabgasen habe das Aachener Projekt nur so viel zu tun, als diese NO2 enthielten und am Arbeitsplatz der Grenzwert dafür nicht überschritten werden dürfe. Doch die Studie war dem eigentlich auf den Verkehr fokussierten Lobbyverein so wichtig, dass er sie mit gut 75 000 Euro förderte.

Benutzt fühlten sich auch Mitglieder des „Forschungsbeirates“ der EUGT, den Greim leitete. Einer der sieben Wissenschaftler, Professor Ulrich Keil aus Münster, war laut „Süddeutscher Zeitung“ nach dem Auffliegen der VW-Manipulationen empört zurückgetreten. Laut dem Blatt beklagte er, dass „wir betrogen worden sind“. „Es war beschämend, dass Wissenschaftler so vorgeführt wurden“, wird er zitiert. Er habe in der EUGT über Tempolimits reden wollen, weil sich die Motoremissionen dadurch deutlich reduzieren ließen, doch das sei nicht erwünscht gewesen.

Ein Fall für den Liquidator

Keil, der am Dienstag nicht erreichbar war, sei tatsächlich aus Verärgerung zurückgetreten, bestätigte Greim. Zwei Kollegen seien ihm später gefolgt, einer davon aus zeitlichen Gründen. Er selbst habe keinen Grund für einen Rückzug gesehen, sagt der 82-Jährige unserer Zeitung. Begründung: „Meine Position ist, dass der wissenschaftliche Beirat durch seine Unabhängigkeit von den Manipulationen nicht direkt betroffen war.“ Zudem sei abzusehen gewesen, dass die Arbeit der EUGT beendet werde; da habe er dafür sorgen wollen, „dass die noch laufenden Projekte ordnungsgemäß abgeschlossen werden können“.

Inzwischen befindet sich die EUGT ohnehin in Auflösung. Liquidator ist nach einem Eintrag des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg, das den Fall unter dem Aktenzeichen VR 26846 B führt, ein Berliner Rechtsanwalt. „Gläubiger des Vereins“, heißt es darin, „werden aufgerufen, ihre Ansprüche anzumelden.“