Mit einem Gebäuderiegel und Schallschutzfenstern können die Lärmgrenzwerte eingehalten werden. Der Spielbetrieb des VfB wäre so nicht gefährdet.

Stuttgart - Der Spielbetrieb des VfB Stuttgart in der Mercedes-Benz-Arena wäre nicht gefährdet, auch wenn auf dem benachbarten alten Güterbahnhofgelände Wohnungen gebaut würden. Die Werte der Lärmschutzverordnung für Sportanlagen können nämlich eingehalten werden, wenn die heutige Riesenbrache – wie von der Stadtverwaltung und einer Mehrheit von Grünen, SPD und SÖS/Linke ohnehin vorgesehen – als Mischgebiet ausgewiesen wird, Gewerbebauten einen abschirmenden Riegel entlang der Benzstraße bilden und Lärmschutzfenster vorgeschrieben werden. Das bestätigten der Bau- und Umweltbürgermeister Matthias Hahn (SPD) sowie Stefan Heim, VfB-Vorstandsmitglied und Mitgeschäftsführer der Stadiongesellschaft, gegenüber der Stuttgarter Zeitung.

 

Diese Erkenntnisse erbrachte eine vom VfB in Auftrag gegebene und vom Amt für Umweltschutz begleitete Lärmmessung beim Bundesliga-Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg am 25. März. Es war bereits die dritte Erhebung in dieser Sache, allerdings die erste gemeinsame. Eine alleinige Messung des VfB hatte so hohe Pegel (zwischen 53 und 61 Dezibel) ergeben, dass der vom Verein beauftragte Rechtsanwalt Josef-Walter Kirchberg zu der Einschätzung kam, dass „zur Sicherung der Lizenz des VfB Stuttgart“ ein Normenkontrollverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim nicht zu vermeiden sein werde.

Mit der Klage hat der VfB aus der Sorge heraus gedroht, Spiele, die nach 22 Uhr noch andauerten – etwa in der Champions League –, würden von prozesswütigen Neunachbarn verhindert werden. An der Rathausspitze und bei Stadtplanern ist der Vorstoß des Fußball-Bundesligisten allerdings nicht gut angekommen. Dies zumal die Stadt danach deutlich niedrigere Werte ermittelte – was sogar den Verdacht nährte, der VfB habe absichtlich zu hoch gemessen. Bei CDU, Freien Wählern und FDP im Gemeinderat führte der Protest des Vereins immerhin zu der Forderung, auf dem Gelände statt 650 nur 100 Wohnungen zu bauen. Schausteller und Konzertveranstalter nahmen die Aussage des VfB zum Anlass, im Wohnungsbau ebenfalls eine Bedrohung zu sehen.

Auch die Bürger des Veielbrunnengebiets wollen mitreden

Die öffentlich ausgetragene Debatte über tatsächliche oder vermeintliche Grenzwertüberschreitungen hat im Übrigen die Bürger aus dem ebenfalls am Cannstatter Wasen gelegenen Veielbrunnengebiet auf den Plan gerufen. Diese haben mittlerweile den „Feinstaub“-Anwalt Roland Kugler beauftragt, sich um die Sicherung ihres Nachtschlafs während des Volks- und Frühlingsfests zu kümmern. Allerdings haben Stadtverwaltung und eine Mehrheit im Gemeinderat bereits Auflagen zur Lärmreduzierung während des Wasenrummels formuliert.

Unabhängig davon zeigt die gemeinsame Lärmstudie von VfB und Stadt: während des Heimspiels gegen Nürnberg, das der VfB 1:0 gewann, kamen auf dem alten Güterbahnhofgelände 55 bis 56 Dezibel an. Erlaubt sind in solchen Mischgebieten, wo neben Wohnungsbau auch Gewerbe stattfindet, tagsüber bis zu 60 Dezibel (gemessen jeweils an der Außenfassade). In den Ruhezeiten mittags und abends sowie an Sonn- und Feiertagen sind es 55, nach 22 Uhr aber nur noch 45 Dezibel. Dass trotz der Differenz für die Zeit nach 22 Uhr (erlaubt 45, ermittelt 56 Dezibel) Wohnungsbau möglich ist, liegt an den Rahmenbedingungen.

So darf vom gemessenen Lärmwert eine Toleranz von drei Dezibel von vornherein abgezogen werden, der sogenannte Messabschlag. Stadt und VfB sind sich zudem einig, dass die entlang der Benzstraße vorgesehene gewerbliche Riegelbebauung bei mindestens fünf Stockwerken zu einer Minderung um weitere 2,5, bei sechs Etagen sogar um drei Dezibel führe, sagt Stuttgarts Bau- und Umweltbürgermeister Hahn. Demzufolge ergebe sich noch ein nächtlicher Lärmpegel von 50 Dezibel.

Sportlärm mindere die Wohnqualität nicht

Der Nachtgrenzwert von 46 Dezibel wäre damit aber immer noch verfehlt. Um ihn zu unterschreiten, will die Stadt den künftigen Bauherren zusätzlich noch passiven Schallschutz in Form sogenannter „Hafen-City-Fenster“ vorschreiben, die ihre Wirkung besonders im gekippten Zustand erfüllen, der für die Ermittlung der Grenzwerte entscheidend ist. Durch diese Fenster herrschten draußen zwar immer noch 50 Dezibel, am Ohr des Schlafenden kämen aber nur 21 Dezibel an. Das sei ein guter Wert, sagt Hahn, denn bis zu einem Innenraumwert von 30 Dezibel sei gesundes Schlafen möglich. Der Sportlärm mindere die Wohnqualität also nicht.

Der Bau- und Umweltbürgermeister sagt, man solle also „die Kirche im Dorf lassen“. Dieser umfangreiche Lärmschutz sei ohnehin nur für wenige Stunden im Jahr notwendig, eben für die letzten 30 Minuten von seltenen Abendspielen des VfB. Häufiger, nämlich an 39 Tagen im Jahr, würden die Spezialfenster, die in Hamburg attraktives Wohnen am geräuschstarken Hafen ermöglichen, ohnehin benötigt, um den Lärm von Volks- und Frühlingsfest abzuhalten. Aber: das seien auch nur drei Prozent aller Nachtstunden eines Jahres, so Matthias Hahn.

Der Baubürgermeister hält auch deshalb an seinen Plänen für bis zu 650 Wohnungen fest, weil auch in der Nachbarschaft des Güterbahnhofgeländes in den Wohnungsbau investiert werde und die Entwicklung von innerstädtischen Brachflächen die grünen Wiesen am Stadtrand vor Zersiedelung und Versiegelung schütze. Urbanes Wohnen, bedauert Hahn, sei aber in den bürgerlichen Parteien schon deshalb schwer zu vermitteln, weil deren Vertreter häufig in attraktiven Wohngebieten am Rande der Stadt Eigentum besäßen und sich offenbar nur schwer vorstellen könnten, in der City zu leben.

Vorstandsmitglied Stefan Heim sieht für den VfB Stuttgart die Messergebnisse positiv. Indem nun die Rahmenbedingungen für eine Wohnbebauung festgelegt seien, sei man „einen großen Schritt weiter“. Nun sei klar, wie Sorge getragen werden müsse, „dass die Funktionalität des Stadions nicht eingeschränkt wird“. Heim stellt klar, dass es seinem Präsidenten nicht darum gegangen sei, „Kommunalpolitik zu machen“; er habe lediglich eine solide Basis für die Diskussion schaffen wollen und mit eigenem Geld ein Gutachten bezahlt. Mit der gemeinsamen Messung sei, so Heim, auch der Vorwurf der SPD-Fraktionschefin Roswitha Blind widerlegt, der VfB habe seine Messung manipuliert, indem er im Stadion die Lautsprecheranlage höher gedreht hätte: „Es steht fest: wir sind in der Arena nicht zu laut.“