Ein Unfall, der das Vorstellungsvermögen übersteigt – so und ähnlich lautet die Reaktion vieler Gerlinger angesichts der rätselhaften Irrfahrt eines 86-Jährigen am Montag über ihren Stadtfriedhof. Ein Stimmungsbild vom Abend.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

In Gerlingen, der knapp 20.000 Einwohner großen Stadt am Fuße von Schloss Solitude gibt es seit Montagnachmittag nur ein Thema: die unvorstellbare Irrfahrt eines 86-Jährigen, der am Spätvormittag mit seiner schwarzen S-Klasse in den zentral gelegenen städtischen Friedhof gerast war, dort mehr als 100 Meter auf einem asphaltierten Weg zurückgelegt hatte, um am Ende des Friedhofsgeländes mehrere Urnengräber niederzuwalzen, einen Zaun zu durchbrechen und über einen Durchgangsweg hinweg in den alten Teil des Friedhofs zu brettern, wo das Fahrzeug weitere Grabsteine umriss und dann in einer Rauchwolke zum Stehen kam.

 
Das Fahrzeug fing nach dem Brand Feuer. Foto: KS-Images.de/Karsten Schmalz

Am Montagabend strömen viele Gerlinger zum Ort des spektakulären Geschehens, das sich kein Actionfilmer irrwitziger hätte ausdenken können. „Das stellt jeden Film-Stunt in den Schatten“, murmelte einer der Zaungäste. „Wie ist so etwas möglich?“ Ringsum kopfschüttelnde Gesichter. Alle haben große Fragezeichen in den Augen, diskutieren, rätseln: „Hat der Fahrer Gas und Bremse verwechselt?“ „Lag ein gesundheitlicher Notfall vor?“ Die Erklärungsversuche klingen hilflos. Man hofft, die Ermittlungen werden Klarheit schaffen.

Der Fahrer – soviel weiß man – war ein 86-jähriger Mann, der bei dem Unfall schwere Verletzungen erlitt und von Passanten aus dem Unglücksfahrzeug geborgen wurde. Ein Paar, das wenige Meter vom Friedhof entfernt wohnt, erzählt von einem gewaltigen Knall zum Unfallzeitpunkt gegen 11.20 Uhr: „Es hat sich angehört wie eine Explosion“. Bald darauf sei die Feuerwehr da gewesen.

In beiden Teilen des Friedhofs wurden Grabsteine zerstört

Ratlos, teils auch erschüttert, blicken die Menschen auf die rund ein Dutzend umgestürzten und teils zermalten Grabsteine in beiden Teilen des Friedhofs. Sie bemühen sich, dem Ort angemessen, um Pietät. Der Boulevard geht in die Vollen. Er titelt am Abend bundesweit: „Mercedes-Fahrer wälzt 15 Gräber platt – Betroffene Witwen sind entsetzt.“ Gerlingen ist in den Schlagzeilen.

Einige der Friedhofsbesucher bewegt die Frage, ob auch Gräber ihrer Angehörigen in Mitleidenschaft gezogen wurden, und sind beruhigt, wenn dem nicht so ist. Vor allem aber drücken viele ihrer Erleichterung darüber aus, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Der Friedhofweg, den der 86-Jährige auf kreuzte, ist üblicherweise gut frequentiert, wie auch der Friedhof selbst. Jemand sagt: „Es ist ein Wunder, das sonst niemand zu Schaden kam.“