Für Mercedes beginnt in Kürze ein neues Rennsport-Abenteuer. Wer auf wummernden Sound steht, wird dabei aber enttäuscht.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Affalterbach - Als sich über Affalterbach endlich die Sonne ihren Weg durch den Nebel bahnt, ist es vollbracht: Ulrich Fritz ergreift in der Werksfabrik des Mercedes-Tuners HWA das Wort mit einem zackigen „Guten Morgen“. Und er zeigt auf drei matt-schwarze Boliden, zwei sind noch aufgebockt, nur einer steht bei der Rennwagenpräsentation schon auf Rädern. Mit diesen Flundern, die schicke türkisfarbene Elemente zieren, startet Mercedes im kommenden Jahr in ein neues automobiles Zeitalter: Jetzt fahren sie auch Rennen mit Strom.

 

Formel E heißt das Zauberwort, das die deutschen Hersteller elektrisiert. Dem Zeitgeist entsprechend werden Audi, BMW, Porsche und eben auch Mercedes der Elektro-Serie beitreten. HWA macht in der am 15. Dezember in Riad beginnenden Saison den Probelauf für Mercedes. Im darauffolgenden Jahr, also ab Dezember 2019, kommt dann der HWA-Aufkleber wieder weg. Dann wird das Mercedes-Emblem drauf gepappt – und der Antriebsstrang kommt aus dem Hause Daimler.

2019 ist ein Lernjahr

Das Auto, das demnächst in Valencia getestet wird, liefert der monegassische Formel-E-Hersteller Venturi an. „Wir bekommen die Einzelteile und bauen sie zusammen“, sagt Fritz, der das Projekt leitet und bis zum kommenden Wochenende DTM-Chef der Sternmarke ist. Nach diesen letzten zwei Rennen in Hockenheim ziehen die Stuttgarter den Stecker aus der DTM-Buchse – und stöpseln ihn ein in die Formel E. Ulrich Fritz macht den Wechsel als Teamchef mit. Das neue, alte Team besteht aus fast 50 Mitarbeitern, nur fünf von ihnen sind dazugekommen – der große Rest besteht aus etablierten DTM-Kräften der Marke. „Da sind auch viele IT-Nerds dabei“, sagt Fritz, denn die gab es auch schon in der DTM.

So sieht Auto-Experte Willi Diez die Rolle der Konzerne in der Formel E

Statt wummernder Achtzylinder, die das HWA-Werk in Affalterbach immer ausmachten, zischen jetzt die Stromautos über die Pisten. Verliert der Tuner da nicht seine Seele? Darüber macht sich Fritz keine Gedanken. Man geht mit der Zeit, hat Angst, in einer zunehmend elektrisch geprägten Fortbewegungswelt den Anschluss zu verpassen. Und teuer ist die Formel E ohnehin nicht, wo doch in der Formel 1 stramme 1400 Mitarbeiter, überwiegend im Schichtbetrieb, dafür zuständig sind, dass Lewis Hamilton und Valtteri Bottas ihren Spaß haben. „Der Formel-E-Etat ist weit entfernt von dem, was in der DTM oder der Formel 1 aufgerufen wird“, betont Fritz. Überdies fielen die Entwicklungskosten für das Auto ja schon weg, weil der Baukasten aus Monaco komme. „Unsere Aufgabe ist es, dieses Material zu verstehen.“

Ein Partner für Paffett wird noch gesucht

Zwei Autos wird das Team HWA Racelab einsetzen. Einer der Fahrer ist Gary Paffett, der am Wochenende noch DTM-Champion werden kann – bei nur vier Punkten Rückstand auf seinen Markenkollegen Paul di Resta. „Gary kann ein Auto gut entwickelt und er zeigt in diesem Jahr, was er kann“, sagt Fritz über die Fahrerwahl und lobt den Routinier in höchsten Tönen: „Er hört nicht auf zu denken und ist nie mit dem Status quo zufrieden.“

Er selbst, so Paffett, gehe als Rookie in das neue Abenteuer, was bei seinen stolzen 37 Jahren klingt wie ein guter Witz. In der Tat aber beschränken sich seine Formel-E-Erfahrungen bislang auf ein paar Testtage in Marrakesch. „Es gibt da noch eine Menge zu lernen für mich“, gesteht der Brite, dessen Teampartner erst nach dem DTM-Finale bekanntgeben wird. Im Gespräch ist unter anderem der formel-E-erfahrene Rennfahrer Maro Engel.

Auf alle Fälle muss der zweite Mann ein intelligenter Bursche sein – so wie Paffett. „In der Formel E darf man nicht unnötig Energie in den Zweikämpfen verlieren“, sagt Fritz. Strom sparen – darum geht es. Und es geht darum, dass die Serie vom Publikum auch angenommen wird. Noch ist das zumindest bei Rennsportpuristen, die auf den Höllensound eines Achtzylinders abfahren, nicht der Fall. Vielleicht machen die vier großen deutschen Hersteller den geräuschlosen Motorsport ja populär. Klappt es nicht, haben sie immerhin ihre Elektroantriebe entwickelt und für die Serienproduktion wichtige Erkenntnisse gewonnen.

Für Ulrich Fritz, den Racer, ist das alles sekundär. „Wir wollen spannende Rennen liefern und schon im ersten Jahr konkurrenzfähig sein“, sagt er mit fester Stimme – und beendet die Präsentation mit einem zackigen „Ade“.