Am 10. April 2000 ist Angela Merkel an die Spitze der CDU aufgestiegen. Inzwischen hat sie die einstige Altherrenpartei gründlich entrümpelt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Für die CDU gab es am 10. April 2000 eine zweite Stunde null. 55 Jahre nach ihrer Gründung stand die konservative Volkspartei kurz vor dem Bankrott: Wahl verloren, Spendenskandal, der Langzeitvorsitzende Kohl wegen ominöser Sponsoren in Misskredit, sein Nachfolger Schäuble ebenfalls in der Bredouille. Die Rettung kam in Gestalt einer bis dahin nur mäßig bekannten Dame mit Kochtopffrisur: Angela Merkel wurde an jenem Montag mit knapp 96 Prozent der Stimmen zur Parteichefin gewählt. Für die CDU wurde die Verlegenheitslösung zu einer Erfolgsgeschichte. Darauf hätte damals aber keiner eine Wette abgeschlossen.

 

Wenn es nach den mächtigen Männern in der Union gegangen wäre, hätte Merkel in ihrer Partei nie das Regiment übernehmen dürfen. Sie dachten sich viele Alternativen aus in ihren Hinterzimmern, um die ostdeutsche Frau als Vorsitzende zu verhindern. Der Veteran Bernhard Vogel kam ins Gespräch sowie die ehemaligen Kohl-Minister Volker Rühe und Jürgen Rüttgers. Aber die Basis ließ auf Regionalkonferenzen keinen Zweifel daran, wen sie sich als neue Nummer eins wünschte: „Angie, Angie“. Sie war die Einzige, von der ein Neuanfang zu erhoffen war.

Putschgefahr abgewendet

Die Herrenriege hielt Merkel allenfalls für eine Übergangslösung. Doch die Trümmerfrau der CDU machte sich daran, ihre Partei gründlich umzukrempeln. Sie machte sich ohne Umschweife an die Aufräumarbeiten. Merkel hatte sich vorgenommen, als Reformerin in die Annalen der Union einzugehen. Ende des Jahres 2000 verkündete sie eine „neue soziale Marktwirtschaft“ als Parteiziel. Nach Kohls sozialkonservativem Kurs war das nichts anderes als eine neoliberale Wende. Merkels Reform-Elan gipfelte auf dem Leipziger Parteitag 2003, als sich die CDU zu pauschalen Steuersätzen und Sozialbeiträgen bekannte. Die forsche Reformpolitik hat das Wahlvolk freilich eher verunsichert – und Merkel auf dem Weg ins Kanzleramt beinahe stolpern lassen.

Den Aufstieg an die Macht im Staat schaffte sie ohnehin erst im zweiten Anlauf. 2002 versagten ihr die CDU-Granden die Gefolgschaft, als es darum ging, einen Kanzlerkandidaten der Union zu küren. Obwohl Merkel Interesse an dem Posten erkennen ließ, wussten die Ministerpräsidenten das zu verhindern. Ihr drohte ein regelrechter Putsch, weshalb sie sich gezwungen sah, dem CSU-Chef Stoiber das Feld zu überlassen – was sich keineswegs als Segen für das schwarze Lager erwies.

Alle männlichen Rivalen politisch überlebt

Mit Merkel an der Spitze war die Union zunächst indes noch weniger attraktiv für die Wähler. Als der SPD-Kanzler Schröder mit seiner rot-grünen Regierung 2005 abgewirtschaftet hatte, schaffte sie es nur mit Ach und Krach, die Union wieder an die Macht zu bringen. Vielleicht hat Schröder mit seinem Macho-Gehabe nach der knappen Wahlniederlage ihr letzten Endes die Kanzlerschaft gesichert. Unter den eigenen Leuten gab es es manche, die sie damals wegen unzureichender Fortune am liebsten abserviert hätten.

Inzwischen hat die erste Kanzlerin der deutschen Geschichte ihre männlichen Rivalen allesamt politisch überlebt. Der konservative Gegenspieler Roland Koch scheiterte nach seinem Abgang als hessischer Ministerpräsident in der freien Wirtschaft. Der smarte Christian Wulff blamierte sich im Präsidentenamt. Schäuble ließ Merkel gar nicht erst so weit kommen. Konkurrenz aus den eigenen Reihen muss die Primadonna der CDU längst nicht mehr befürchten.

Konservative mit dem 21, Jahrhundert versöhnt

Sie hat ihre Partei inzwischen auf ganz andere Weise reformiert. Mit Merkel sind die Konservativen im 21. Jahrhundert angekommen. Sie mussten lernen, dass Deutschland doch ein Einwanderungsland ist, die Wehrpflicht verzichtbar, Atomenergie ebenfalls – und Homosexualität nicht etwa des Teufels. Merkel hat die Gesellschaftspolitik und das Familienbild der Christdemokraten gründlich entstaubt. Der einstige Alterherrenverein CDU wird inzwischen vornehmlich von Frauen repräsentiert: neben der Kanzlerin sind das die ehrgeizige Ministerin Ursula von der Leyen und zwei Provinzfürstinnen aus dem Südwesten, Anette Kramp-Karrenbauer (Saarland) und Julia Klöckner (Rheinland-Pfalz). Wenn von der Ära nach Merkel die Rede ist, fallen vorzugsweise diese Namen. Männliche Kandidaten, die für die Nachfolge taugen könnten, sind dagegen rar.

Den größten Dienst, den Merkel ihrer Partei noch erweisen kann, ist: 2017 noch einmal anzutreten. Dank ihrer Popularität ist die CDU der Konkurrenz weit enteilt. Die vermeintliche Stärke, die bundesweite Umfragen vorspiegeln, täuscht jedoch. In der Fläche haben die Christdemokraten viel von ihrer einstigen Macht eingebüßt. Als Merkel Kanzlerin wurde, stellte die CDU in zehn von 16 Ländern den Ministerpräsidenten. Inzwischen hat sie eines nach dem anderen verloren – auch einstige Bastionen wie Baden-Württemberg. Wenn Merkel ihre Führungsriege im Adenauerhaus versammelt, sitzen gerade noch vier Regierungschefs aus den Ländern mit am Tisch. In solchen Runden ist niemand ersichtlich, der die Nummer eins der CDU rasch ersetzen könnte. Aber zu der Kategorie zählte vor 15 Jahren auch Merkel selbst.