Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf dem Kirchentag in Stuttgart für einen unaufgeregten Umgang mit den Chancen und Risiken im Netz geworben – und die Vorratsdatenspeicherung verteidigt.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf dem Kirchentag beim Thema digitaler Wandel ihren Sinn für die Befindlichkeiten in der Mitte der deutschen Gesellschaft zu demonstrieren versucht. „Ich habe manchmal Angst, dass derjenige, der sich am Smartphone meldet, Vorrang vor demjenigen hat, mit dem man gerade spricht. Das macht einen nervös“, so erzählte sie, sozusagen als Kanzlerin von nebenan, am Anfang ihres Vortrags zum Thema „Digital und klug“ über ihre eigenen Erfahrungen mit der modernen Kommunikationswelt. „Ich staune auch über Museumsbesucher, die gar nicht mehr auf ein Bild schauen, sondern gleich ein Foto davon versenden“, sagte Merkel. Sie hat damit nicht nur den Beifall, sondern auch die Lacher in der mit fast 10 000 Zuschauern gut gefüllten Hanns-Martin-Schleyer-Halle auf ihrer Seite.

 

Für viele im Publikum sind die Potenziale der digitalen Welt immer noch diffus. Die mit viel wohlwollendem Beifall begrüßte Kanzlerin wollte den Eindruck einer Steuerfrau vermitteln, die auch bei diesem Thema zwischen den Extremen balanciert. Konkrete politische Ankündigungen hatte Merkel nicht im Gepäck. Vom Breitbandausbau bis zum Jahr 2018 über den digitalen Binnenmarkt bis hin zur Digitalisierung der Produktion, der sogenannten Industrie 4.0, hakte die Kanzlerin die laufenden Projekte der Bundesregierung routiniert ab.

Das Silicon Valley sei kaum die Quelle allen Übels

Es sind ein paar Zwischentöne, die deutlich machten, wie weit die gelernte Physikerin von denjenigen entfernt ist, welche das Internet zuallererst als Hort der Gefahren betrachten. „Ich bin mir nicht so sicher, ob Silicon Valley die Quelle allen Übels ist“, sagte sie, als im Verlauf der Diskussion das Bild der amerikanischen Datenkraken hochkommt. Und sie warnte vor der Erwartung, dass die Politik die neuesten technischen Entwicklungen vorausempfinden und möglichst schon vorauseilend regulieren solle: „Man hatte doch auch nicht die Straßenverkehrsordnung, bevor das Auto erfunden wurde.“

Wo auch immer es um konkrete, umstrittene Themen ging, ob bei der Vorratsdatenspeicherung, bei der Netzneutralität oder dem zurzeit besonders heiklen Feld der Spionage, schlug sie sich auf die Seite der Pragmatisten. „Ich würde mich sicherer fühlen, wenn wir ein solches Gesetz haben“, sagte die Kanzlerin über die in der großen Koalition umstrittene Vorratsdatenspeicherung von Telefondaten.

Die Kanzlerin verteidigt die Kooperation mit den USA

Wer sich gegen die im aktuellen Gesetzentwurf nur noch auf einen Zeitraum von wenigen Wochen beschränkte Speicherung ausspreche, solle doch einmal darüber nachdenken, welche Daten er sonst so im Internet weitergebe, sagte Merkel: „Es kann doch nicht sein, dass ich Unternehmen alle meine Daten gebe, aber dann, wenn ein Staat auf Informationen zurückgreift, um das Leben von 80 Millionen Menschen zu schützen, einfach sage: Dem gebe ich es nicht.“

Beim Thema NSA-Skandal verteidigte die Bundeskanzlerin die Kooperation mit den Amerikanern uneingeschränkt. Doch als sie auch noch dafür warb, dass die Deutschen bei ihren Hacker- und Spionagekompetenzen selbst deutlich aggressiver werden müssten, ging ein leises Raunen durch den Saal. „Muss ich selber lernen, wie man angreift, um zu wissen, wie man Angriffe besser abwehren kann?“, fragte die Kanzlerin, als sie auf den jüngsten Hackerangriff auf den Bundestag angesprochen wurde. Sie schob die Antwort gleich hinterher: „Wir müssen selber anzugreifen lernen.“ Das fand der eine oder andere im Kirchentagspublikum, der ihr beim Thema wirtschaftliche Chancen durch die Digitalisierung bisher noch freudig applaudiert hat, dann doch ein kleines bisschen verstörend.