Kanzlerin Angela Merkel und EU-Ratspräsident Donald Tusk haben Ankara eine vorbildliche Flüchtlingspolitik bescheinigt. Im Grenzgebiet zu Syrien lässt der türkische Ministerpräsident keine Debatte zur Meinungsfreiheit zu.

Gaziantep - Das Gedränge ist groß beim Besuch der Kanzlerin in der türkischen Provinz Gaziantep, nahe der Grenze zu Syrien. Schaulustige wollen die Besucherin sehen, Flüchtlinge hoffen auf einen Händedruck oder ein Selfie. Unzählige Leibwächter sorgen für die Sicherheit der Delegationen. Da muss Angela Merkel schon aufpassen, dass sie niemandem auf die Füße tritt – vor allem politisch.

 

Und so hörte man von der Kanzlerin, die am Samstag gemeinsam mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans Flüchtlingsunterkünfte in der Grenzprovinz besuchte, vor allem überschwängliches Lob für den Gastgeber, den türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu. Mit der Aufnahme von drei Millionen Menschen habe die Türkei „den allergrößten Beitrag“ bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme übernommen, sagte Merkel. Tusk stimmte ein: Die Türkei sei „das beste Beispiel für die ganze Welt, wie wir mit Flüchtlingen umgehen sollten“. Keiner habe das Recht, „belehrend auf die Türkei einzuwirken“. Da applaudierte Premier Davutoglu spontan und kräftig. Dies ist sein großer Tag.

Die Besucher wirken wie Statisten

„Willkommen in der Türkei, dem Land das die meisten Flüchtlinge aufnimmt“, steht auf einem Banner über dem Eingang des Flüchtlingslagers. In Davutoglus Inszenierung wirken die Besucher aus Berlin und Brüssel wie Statisten. Das Flüchtlingslager Nizip, das die Delegationen besuchten, gilt als Vorzeigeeinrichtung. Auch das mit EU-Geldern finanzierte Kinderschutzzentrum des Uno-Kinderhilfswerks Unicef, das Davutoglu mit seinen Gästen einweihte, hat Vorbildfunktion. Was aber oft unterschlagen wird: Von den drei Millionen Flüchtlingen in der Türkei leben nur 280 000 in organisierten Lagern. Die große Mehrheit der Mensch muss sich selbst durchschlagen. Hunderttausende arbeiten illegal zu Hungerlöhnen, viele betteln, Kinder gehen seit Jahren nicht zur Schule. Und mehr als zehntausend Syrer warten in einem provisorischen Lager auf der syrischen Seite bisher vergeblich darauf, dass sich die Grenze zur Türkei für sie öffnet.

Dennoch glaubt Premier Davutoglu, dass die Bewältigung der Flüchtlingskrise einmal „in goldenen Buchstaben“ in die Geschichtsbücher Eingang finden wird. Die Türkei lässt sich den Flüchtlingsdeal nicht nur mit sechs Milliarden Euro bezahlen, sie nahm der EU auch das Versprechen ab, ab Juni die Visumspflicht für türkische Staatsbürger aufzuheben. Anlässlich des Besuchs der Kanzlerin und der EU-Politiker warnte Davutoglu am Samstag erneut, wenn es dabei Verzögerungen gebe, werde Ankara die Rücknahme von Flüchtlingen stoppen. Davutoglu zeigt einmal mehr: Die Türkei sitzt am längeren Hebel.