Dass Angela Merkel nach der Bundestagswahl im September abgewählt wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Spannend ist höchstens, welche möglichen Koalitionspartner wieviel Prozent bekommen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Für die Bürger im Land, zumindest für jene mit schulpflichtigen Kindern, hat die schönste Jahreszeit begonnen. Damit ist definitiv der Urlaub gemeint und nicht der Wahlkampf. „Ach, wir haben Wahlkampf?“ werden manche jetzt fragen. Noch sind keine Plakate zu sehen. Von Kampf ist wenig zu spüren. Unverdrossene Kandidaten klingeln hier und da an den Haustüren. Es sind knapp acht Wochen bis zum Sonntag der Entscheidung. Aber die Wahl scheint schon entschieden. Die politischen Aussichten auf die Zeit bis zum 24. September sind so prickelnd wie ein verdöster Nachmittag am Strand.

 

Die Umfragen spiegeln ein Bild, das wie in Stein gemeißelt scheint. Es lässt wenig Spielraum für Wechselfantasie. Für Sozialdemokraten bis hinauf zu deren Spitzenkandidat Martin Schulz muss dieses Bild ziemlich deprimierend wirken. Es erinnert fatal an den aus ihrer Sicht unerquicklichen Sommer vor vier Jahren. Auch damals war die Partei der Kanzlerin uneinholbar enteilt. Exakt so sieht es im Moment auch aus.

Gewiss: Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn als Tragödie oder als Farce. Diese Einsicht verdanken wir Karl Marx. Für seine sozialdemokratischen Nachfahren wäre es beides zugleich, wenn es so kommt, wie die Zahlen der Demoskopen vermuten lassen: Tragödie und Farce. Überraschungen sind nach aktueller Lage der Dinge aber allenfalls auf den nachrangigen Positionen zu erwarten, wo potenzielle Koalitionspartner um die aussichtsreichsten Plätze rangeln. Genosse Trend, der in grauer Vorzeit Seite an Seite mit der SPD marschierte, scheint sich in einen Dauerurlaub verabschiedet zu haben. Vielleicht ist er auch schon pensioniert.

Martin Schulz scheint nicht mehr Glück als seine Vorgänger zu haben

Schulz hat eine Art Höllensturz hinter sich: vom Gottkanzler zur tragischen Figur. Er schuftet wie ein Proletarier im Wahlkampf, während die Kanzlerin eher auf dem Sonnendeck der Wiederwahl entgegen schippert. Schulz reist durch halb Europa, erfindet nach seinem „Regierungsprogramm“ auch noch ein Zukunftsprogramm, lässt das Gespenst der Flüchtlingskrise aus der Mottenkiste, ohne dass ihm der ganze Aktionismus auch nur das Geringste einbringt. Die Umfragewerte bewegen sich weit unterhalb messianischen Niveaus, eher auf dem Level seiner glücklosen Vorgänger, die Angela Merkel schon in Serie verschlissen hat.

Sie hat sich weder neu erfunden, wie es manchen ratsam erschien, noch scheint sie es für notwendig zu erachten, den Wahlkampf wenigstens dieses Mal mit Inhalten oder einem Minimum an Aufgeregtheit zu befeuern. Merkel hat bisher kein habhaftes Argument genannt, warum man sie noch ein viertes Mal zur Kanzlerin wählen sollte – außer dem bewährten: „Sie kennen mich.“ So unerklärlich die Anfangshysterie um den Kandidaten Schulz war, so wundersam ist der Umstand, dass sich das zwischendurch merkelverdrossene Wahlvolk damit plötzlich wieder zufrieden gibt. Merkels größte Sorge ist, dass ihre Anhänger glauben, die Wahl sei tatsächlich schon entscheiden. Für Wechselfieber gibt es jedenfalls nicht die geringsten Symptome.

Aber noch sind die Wahlzettel nicht ausgefüllt. Wir reden über Stimmungslagen, nicht über Stimmen. Die Wähler von heute sind ziemlich wetterwendisch, viele unentschlossen bis kurz vor dem Wahlsonntag. Nach Trumps Triumph und dem Brexit-Votum der Briten wäre es verwegen, die Launen der Stimmbürger zu unterschätzen. Damit wären aber alle Hoffnungen schon genannt, auf die Schulz und seine Sozialdemokraten noch setzen können.

Ein Thema, an dem er seinen Hebel ansetzen könnte, um Merkel vom Sockel zu kippen, ist bis jetzt nicht erkennbar. Seine bisherigen Trümpfe, auf denen Gerechtigkeit stand und Flüchtlingskrise und Rente, Familiengeld, Steuern – sie haben alle nicht gestochen. Merkel kann entspannt ihren Urlaub in den Bergen genießen.