Wie könnte ein Plan B für die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung aussehen? Kanzlerin Merkel schweigt sich aus, aber das Szenario ist absehbar.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Angela Merkel läuft die Zeit davon. Sie hat auf dem CDU-Parteitag versprochen, den Flüchtlingszustrom massiv zu drosseln. Bisher ist das nicht in ausreichendem Maße gelungen. Das strapaziert die Geduld der Union – und irritiert viele Bürger. Merkels Kritiker befürchten, dass von ihrer Willkommenspolitik bei den anstehenden Wahlen Mitte März vor allem die AfD profitiert. Das ist Sprengstoff für die Partei der Kanzlerin. Im Bundesvorstand wurden die Rebellen am Montag gemaßregelt. Teilnehmer berichten von einer „herben Abreibung“ für den Chef des Wirtschaftsflügels, Carsten Linnemann. Doch der Druck auf Merkel wächst. Die CSU setzt ständig neue Ultimaten. Die vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer bezifferte Obergrenze von 200 000 Asylbewerbern dürfte Anfang März erreicht sein. Dessen Vorgänger Edmund Stoiber sagt, Merkel habe „maximal bis Ende März“ Zeit, für eine Korrektur ihrer Flüchtlingspolitik. Inzwischen verlauten ähnliche Töne aus der SPD.

 

Wie sieht Plan B aus?

Merkel tut so, als verschwende sie keinen Gedanken daran. Es wäre unklug, darüber zu reden, bevor Plan B in Kraft getreten ist. Folgendes Szenario darf jedoch als wahrscheinlich gelten: Seit geraumer Zeit schaut die Bundespolizei bei ihren Kontrollen an der bayrisch-österreichischen Grenze wieder genauer hin, wer einreist. Es dürfen längst nicht mehr alle passieren. An manchen Tagen werden angeblich bis zu 200 Flüchtlinge abgewiesen. Diese Zahl ließe sich zweifellos steigern, ohne dass gleich offenkundig würde: Die deutsche Regierung verfolgt jetzt einen anderen Kurs. CDU-Vize Julia Klöckner nennt das eine „zweigleisige“ Flüchtlingspolitik – offizielle Rhetorik und konkretes Handeln an der Grenze unterscheiden sich schon jetzt. Österreichs Regierung spricht davon, den „Leidensdruck“ auf EU-Grenzstaaten wie Griechenland zu erhöhen. Das ließe sich auf diesem Wege erreichen: Deutschland riegelt seine Grenzen immer mehr ab. Die vorgelagerten Nachbarstaaten auf der Balkanroute verhalten sich ähnlich – eventuell mit deutscher und österreichischer Hilfe, so plant es zumindest die Regierung in Wien. Experten erhoffen sich davon einen „Domino-Effekt“, der dazu führt, dass die Einlasskontrollen wieder an die EU-Außengrenzen verlagert werden.

Wann ist damit zu rechnen?

Als Muster gilt Merkels zweite Atomwende nach Fukushima. Ende 2010 hatte sie die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert. Als wenige Wochen später ein Tsunami das japanische Kernkraftwerk Fukushima zerstörte, warf die Kanzlerin das Steuer abrupt herum und entschied sich für einen beschleunigten Atomausstieg. Ein Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik wäre weitaus heikler. In der Atomfrage handelte Merkel nach einer unvorhersehbaren Katastrophe, für die sie selbst nicht verantwortlich war. Jetzt geht es um die Korrektur einer Politik, die ihren Namen trägt. Sie hat diese Politik gegen wachsende Widerstände auch in der eigenen Partei beharrlich verteidigt. Eine Wende ließe sich nur dann rechtfertigen, wenn anderen die Verantwortung anzulasten ist. Der Widerwille der meisten EU-Staaten, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, gar feste Kontingente in nennenswerter Größenordnung, verschafft der Kanzlerin ein starkes Argument. Dazu muss sie allerdings den nächsten EU-Gipfel im Februar noch abwarten, möglicherweise auch den Rat im März. Wenn es ihr dann nicht gelingt, mehr europäische Solidarität zu organisieren, wäre Merkel zu einer alternativen Strategie förmlich gezwungen. Die Wahlen im März sind eine schwierige Klippe. Wenn sie ihren Kurs vorher ändert, wird man ihr schlichte Wahltaktik unterstellen. Sie würde sich dem Vorwurf aussetzen, ihre Humanität den Machtperspektiven der CDU zu opfern.

Wie gefährlich wird Plan B für Merkel?

Eine Kurskorrektur müsste nicht zwangsläufig den Eindruck erwecken, die Kanzlerin sehe sich gezwungen, einen Fehler einzugestehen und das Gegenteil dessen zu exekutieren, was sie bisher als richtig verteidigt hat. Merkels Politik hat schon bisher zwei Gesichter – zuletzt war vor allem das abweisende zu sehen. Die Kanzlerin bekennt sich zu einem humanitären Asylrecht, hat tatsächlich die Regeln für Flüchtlinge und Abschiebungen aber schrittweise drastisch verschärft. Die Rückkehr zum Dublin-System ist das erklärte Ziel der deutschen Politik. Ein verschärftes Grenzregiment ließe sich folglich im Sinne der EU-Normen rechtfertigen. Merkel müsste sich von ihrem Ziel, die EU zu mehr Solidarität mit den Flüchtlingen bekehren zu wollen, formell gar nicht verabschieden. Sie könnte stets erklären, dieses Ideal langfristig weiterhin anzustreben. Sicherheitsexperten halten es für praktikabel, die Grenze zu Österreich weitgehend, wenn auch nicht komplett abzuriegeln, zumindest für eine begrenzte Zeit. Die wirtschaftlichen Folgen wären wohl nicht ganz so dramatisch, wie manche an die Wand malen, da nicht das komplette Schengen-System europaweit ausgehebelt würde. Die Kontrollen blieben auf das Schlupfloch Balkanroute beschränkt – und wären zudem zeitlich eng befristet. Schließlich geht es nur darum zu erzwingen, dass Europa sich in dieser Frage neu formiert.