Angela Merkel macht Wahlkampf – jetzt aber wirklich. Das bedeutet in ihrem Fall: Sie deckt Schwachstellen ab und nimmt dem Gegner möglichst jegliche Angriffsfläche. Diese Inhaltslosigkeit könnte der CDU noch mal auf die Füße fallen, meint Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hat gerade an einem innerparteilichen Tabu gerührt – er hat öffentlich über die Zeit nach Angela Merkel nachgedacht. Noch sei der Zeitpunkt offen, wann diese nicht mehr Kanzlerin und CDU-Vorsitzende sei, sagte er. „Aber wir sehen, dass sich – historisch untypisch – während einer CDU-Kanzlerschaft eine neue Riege von Ministerpräsidenten aufbaut, die (...) eine Fülle von Potenzial für eine Nach-Merkel-Ära garantieren.“ Auch er selbst gehöre zur „Führungsreserve der CDU“. Das war natürlich zuerst als Selbstlob gedacht – der forsche 44-Jährige will ernst genommen werden. Doch er hat etwas getan, was Angela Merkel gar nicht passen kann: Er hat freimütig in Aussicht gestellt, dass es künftig auch ohne sie geht.

 

Wahlkampf sieht anders aus

Günther prescht ausgerechnet zu einem Zeitpunkt vor, da die Kanzlerin aus dem Urlaub zurück ist und an diesem Montag ihren ersten Arbeitstag in Berlin hat. Schon der Auftritt am vorigen Samstag in Dortmund hat ihre Strategie bis zur Bundestagswahl offengelegt, die da lautet: Offene Flanken rasch besetzen, ansonsten den Ball flach halten. Wahlkampf, gar heißer Wahlkampf, wie er so gerne genannt wird, sieht anders aus.

„Ich habe ganz vergessen“, schob Merkel, die praktisch schon zu Ende geredet hatte, in Dortmund nach, „dass die Wahl natürlich noch nicht entschieden ist.“ Treffender lässt sich ihre Taktik der asymmetrischen Demobilisierung – bei der es darauf ankommt, polarisierende Themen auszusparen – kaum beschreiben. Die Anhängerschaft des Gegners möglichst von der Wahlurne festzuhalten, hat Merkel schon vor vier Jahren mit Erfolg praktiziert. Schon 2013 hat sie die Wähler der anderen Parteien erfolgreich eingelullt. Auch diesmal versucht sie, die Konkurrenz nicht noch durch die direkte Konfrontation aufzuwerten. Ihr inoffizieller Wahlslogan lautet: „Sie kennen mich!“ Was sich kaum vom Motto Konrad Adenauers unterscheidet: „Keine Experimente!“ Doch dies ist genau 60 Jahre her.

Schwachstellen werden rasch abgedeckt

Bisher arbeitet sich die SPD erfolglos an dieser Teflonstrategie ab. Ein Thema nach dem anderen versucht ihr Spitzenkandidat Martin Schulz zu besetzen, weil sein Gerechtigkeitswahlkampf nicht recht zünden will: Flüchtlingskrise, Verteidigungsausgaben und die Türkei-Politik beispielsweise – nun auch die Dieselkrise. Doch Merkel ist eine Meisterin im Erkennen und Abdecken möglicher Schwachstellen, womit sie dem Gegner fast jede Angriffsfläche nimmt.

Dabei wagt sie sich jedes Mal nur so weit vor, wie es ihrer Ansicht nach unbedingt nötig ist. In Dortmund hat sie auf den jüngsten Umfrageeinbruch reagiert, eine Quittung ihrer mangelnden Präsenz in der Abgaskrise. Vermisst wurde die Krisenmanagerin. Wortgewaltig, aber ohne Schlussfolgerungen hat sie die Automobilindustrie an den Pranger gestellt – obwohl ihre Partei (wie auch die SPD) und sie selbst mitverantwortlich sind für die teils schädliche Nähe zwischen Politik und Industrie. Das ist Opportunismus auf hohem Niveau, keine konstruktive Politik.

Allem Anschein nach scheint ihre Strategie in diesem Bundestagswahlkampf zu verfangen – zu groß ist der Abstand zu Martin Schulz. Doch muss sich die CDU Gedanken darüber machen, dass ihr die Merkelsche Konzept- und Inhaltslosigkeit noch einmal auf die Füße fallen könnte. Der Kieler Daniel Günther hat dies, wenn man ihn wohlmeinend interpretiert, offenbar schon erkannt.