In einem bayerischen Asylbewerberheim ersticht ein Afghane einen russischen Buben und verletzt die Mutter schwer. Die Polizei, in einer „Nothilfesituation“, erschießt ihn. Die Hintergründe der Messerattacke bleiben vorerst offen.

München - Der Messerstecher ist tot, erschossen von der Polizei: er kann nicht mehr befragt werden. Eine attackierte und erheblich verletzte Frau war noch den ganzen Pfingstmontag nicht vernehmungsfähig; den Augenzeugen geht es genauso: Sie stehen unter schwerem Schock. Vorerst ungeklärt bleiben damit die Hintergründe jener schweren Bluttat, die sich am Samstag in einem bayerischen Heim für Asylbewerber abgespielt hat.

 

Arnschwang heißt das Dorf. Es liegt tief im Bayerischen Wald; die tschechische Grenze ist keine zehn Kilometer entfernt. Im einstigen „Waldcafè“ von Arnschwang-Wöhrmühle, von dem längst die Farbe abblättert, sind heute knapp drei Dutzend Asylbewerber untergebracht. Und dort zuckt an diesem Samstagnachmittag ein 41-jähriger Afghane aus. Mit dem Messer geht er auf eine 47-jährige russische Asylbewerberin los und bringt auch deren zwei Söhne, fünf und sechs Jahre alt, in seine Gewalt. Etliche Heimbewohner setzen Notrufe per Telefon ab; eine uniformierte und eine Zivil-Streife erscheinen – so ein Polizeisprecher - „innerhalb weniger Minuten“ und bekommen mit, wie der Mann das Messer auf den Fünfjährigen ansetzt.

„Hochdramatische Situation“

Die Polizisten, so sagt ihr Sprecher, versuchen den Afghanen zu bremsen; es gelingt nicht. Dann feuert einer der Beamten. Achtmal. Tot bricht der Mann zusammen. Tot ist auch der Fünfjährige; die Obduktion macht Messerstiche in den Hals dafür verantwortlich. Die Mutter wird mit schweren Schnittverletzungen ins Krankenhaus gebracht. Der sechsjährige Bruder hat alles mitbekommen.

Zum Täter veröffentlichen Polizei, Staatsanwaltschaft Regensburg und Landratsamt Cham am Montag die folgenden Angaben: Der Mann, als Flüchtling 2005 legal nach Deutschland gekommen, lebte seit zwei Jahren in Arnschwang – nachdem er eine mehr als fünfjährige Haftstrafe wegen schwerer Brandstiftung abgesessen hatte. Weil er deshalb noch unter „Führungsaufsicht“ stand, trug er eine elektronische Fußfessel, die ihn daran hindern sollte, sich von der mitten im Wald liegenden Gemeinschaftsunterkunft zu entfernen.

Abschiebung ausgesetzt

Eigentlich war der Afghane infolge seiner Verurteilung bereits 2011 des Landes verwiesen worden; ebenfalls während der Haft aber hatte er einen Asylantrag gestellt, und dann – so das Landratsamt – hätten „das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und das Verwaltungsgericht München im Jahr 2014 ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans festgestellt.“ Deshalb sei man – nach der Zuweisung des Mannes in den Bereich Cham – als Landratsamt „verpflichtet gewesen, eine ausländerrechtliche Duldung zu erteilen.“

Warum der Afghane auf die Frau und ihre Söhne losgegangen ist, weiß bisher keiner. Im Ort, so wird Bürgermeister Michael Multerer zitiert, sei die Russin als ruhig und liebenswürdig bekannt gewesen. Seit zwei bis drei Jahren seien sie als Asylbewerber im ehemaligen „Waldcafé“ untergebracht gewesen, und erst vor ein paar Tagen, so der Bürgermeister, habe man sich „in der Gemeindeverwaltung darüber unterhalten, wie gut die zwei Buben schon deutsch gelernt haben.“

Schock im Bayerischen Wald

Multerer ist auch deshalb so geschockt, weil es – so sagt er es an Pfingsten der Lokalpresse – „bisher keine Probleme“ mit der Gemeinschaftsunterkunft gegeben und überhaupt, weil man „bislang keine schlechten Erfahrungen mit den Asylbewerbern“ gemacht hat.

Die Tatsache, dass einer der Polizisten zur Waffe gegriffen hat, erklärt die Staatsanwaltschaft Regensburg vorerst mit einer „Nothilfesituation“. Ein Polizeisprecher ergänzt, die vier Beamten von der Streife hätten bei ihrem Eintreffen „eine hochdramatische Lage“ vorgefunden: Der Afghane habe gerade mit seinem Messer auf den Hals des Buben eingestochen. Geschossen habe schließlich „ein sehr erfahrener Beamter“. Sondereinsatzkräfte waren nicht vor Ort. Das Landeskriminalamt ermittelt.

Im Einsatz am Samstag war auch ein Großaufgebot an Rettungskräften. Weder sie noch die Polizei konnte es allerdings verhindern, dass das „Waldcafé“ zum abendlichen Magneten für Schaulustige und Handyfotografen wurde. Die Asylbewerber wurden in der Nacht auf andere Unterkünfte verteilt.