Die Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg plädiert vehement für einen weiteren Ausbau der Hochschulen im Land – und widerspricht damit skeptischen Äußerungen aus anderen Branchen, die eher um die duale Ausbildung fürchten.

Stuttgart - Die Metall- und Elektrobranche ist besorgt über die aktuelle Debatte um ein vermeintliches Gegeneinander von dualer Ausbildung in den Betrieben und der Hochschulausbildung. Dies erklärte der Branchenverband Südwestmetall in Stuttgart bei der Vorstellung eines bildungspolitischen Grundsatzpapiers. „Diese Diskussion um eine vermeintliche ,Überakademisierung’ unserer Gesellschaft wird vor allem von Teilen der Kammern geführt und scheint jetzt auch bei der Landesregierung angekommen zu sein“, sagte Stefan Wolf, der Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes. Doch Warnungen vor einer vermeintlichen Akademikerschwemme habe es auch in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Sie hätten sich nie bewahrheitet.

 

Die Industrie im Land werde in Zukunft noch mehr akademisch ausgebildete Mitarbeiter brauchen als heute, sagte Wolf – was gleichzeitig aber die Bedeutung der Facharbeiterausbildung nicht schmälere. Ein Gegeneinander beider Ausbildungswege binde nur Kräfte an der falschen Stelle. „Bereits heute benötigt die Hälfte aller Unternehmen in Baden-Württemberg bis zu einem halben Jahr um freie Stellen zu besetzen, immerhin sogar zehn Prozent brauchen bis zu einem Jahr,“ sagte Wolf. Insofern lenke eine Debatte, die darum kreise, ob nun eine Akademikerquote von 50 Prozent zu viel sei, von den eigentlichen Problemen ab – etwa der Frage wie die Hochschulen dem Bedarf entsprechend zu finanzieren seien. Wenn die Politik über die Akademikerquote diskutiere, verberge sich dahinter auch die Angst vor den Kosten, sagte Wolf: „Je mehr Leute auf die Hochschulen gehen, umso teurer wird es. Jeder, der auf die Hochschule will, sollte das aber auch tun können.“

Sorge um die Finanzierung der Hochschulen im Land

Bisher sei Baden-Württemberg beim Ausbau der Hochschulen in Deutschland ein Vorreiter gewesen, sagte Karl Schäuble, Vorstandsmitglied bei Südwestmetall und Vorsitzender des Bildungswerkes der baden-württembergischen Wirtschaft: „Es wäre geradezu verantwortungslos, wenn zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund falscher Signale die dringend benötigten zusätzlichen Finanzmittel für die Hochschulen geringer ausfallen würden als geplant.“

Er räumte ein, dass die Metall- und Elektroindustrie, die bisher kaum Schwierigkeiten hat, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen, andere Interessen habe als die Industrie- und Handelskammern, die auch Branchen wie das Hotel- und Gaststättengewerbe, das Handwerk oder das Baugewerbe vertreten. Dort gebe es schon heute große Probleme, alle Ausbildungsplätze zu besetzen. Doch der Versuch, potenzielle Akademiker wieder in Richtung einer Berufsausbildung zu schleusen, könne nicht die Lösung sein. Selbst in Baden-Württemberg hätten etwa 15 bis 20 Prozent der 25- bis 35-Jährigen bisher keine abgeschlossene Berufsausbildung. Dieses Potenzial müsse durch eine zusätzliche Förderung gehoben werden. „Das ist auch ein Stück soziale Verantwortung“, sagte Schäuble.

Ausbildungswege werden gegeneinander ausgespielt

Die IHK Stuttgart widersprach am Mittwoch dem Eindruck, man spiele die Ausbildungswege gegeneinander aus. „Wir begrüßen es sehr, dass das Anliegen der Wirtschaft, das duale System nicht zu vernachlässigen, ebenso bei der Politik Gehör gefunden hat, wie der Ausbau der Hochschulen,“ sagte der IHK-Geschäftsführer Andreas Richter.

Deutliche Kritik übte Südwestmetall am bisherigen bildungspolitischen Kurs der rot-grünen Landesregierung. „Von der Landesregierung wurde zu viel auf einmal, oftmals in der falschen Reihenfolge und mit den falschen Prioritäten angegangen“, sagte der Verbandsvorsitzende Wolf. So sei es unverständlich, warum man die Gemeinschaftsschule eingeführt habe, ohne zuvor die regionale Schulentwicklungsplanung abzuschließen. Beim achtjährigen Gymnasium sei auf einmal mit der Wiedereinführung von G-9-Zügen die Uhr zurückgedreht worden.

Die Forderungen von Südwestmetall

Fächer
– Die Branche ist dafür, die Hochschulen weiter auszubauen – aber dies müsse in Abstimmung mit der Wirtschaft in den Bereichen geschehen, wo auch ein Bedarf abzusehen sei. Dazu gehörten die Natur- und Ingenieurwissenschaften, aber auch die Lehrerausbildung und das Gesundheitswesen.

Abschlüsse
– Die Firmen halten die Übergangsquote von rund 50 Prozent zwischen Bachelor- und Masterstudiengängen für zu hoch. Bachelor-Absolventen seien in den Firmen willkommen und hätten fast dieselben Einkommensperspektiven wie Master-Kandidaten. Der Bachelor dürfe nicht nur Durchgangsstation sein.

Durchlässigkeit
– Gesamtmetall fordert, dass Lernleistungen aus einer Berufsausbildung leichter auf ein Studium angerechnet werden – und umgekehrt. Schon heute sei der Wechsel zwischen beiden Ausbildungsformen viel häufiger als angenommen. Dies müsse aber noch bekannter gemacht werden. age

Kommentar: Ohne Schubladen

Stuttgart - Berufsausbildung oder Studienabschluss? Gymnasium oder Realschule? Schon viel zu lange arbeitet sich die bildungspolitische Debatte in Deutschland an Strukturen und Diplomen ab. Die Realität in den Betrieben ist viel bunter. Daran hat der Verband der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg jetzt zu Recht erinnert. Diese Firmen setzen damit einen anderen Akzent als Vertreter anderer Wirtschaftszweige, welche die berufliche Bildung von einer zunehmenden Akademisierung bedroht sehen.

Abstrakte Debatten über die Akademikerquote sind das Letzte, was Unternehmen brauchen, die schon heute dringend nach Fachkräften suchen. Die Position der Metall- und Elektrobranche hat Gewicht. Diese Firmen leben unter anderem von Exporterfolgen, die sie nur erreichen, wenn sie bei den Innovationen ganz vorn sind. Sie benötigen beides: Facharbeiter und Entwicklungsingenieure. Längst passen die Ausbildungsbiografien junger Leute nicht mehr in die traditionellen Schubladen. Sie machen eine Ausbildung – und studieren anschließend an einer Universität. Oder sie studieren und sammeln gleichzeitig schon wichtige praktische Erfahrungen. Die Zukunft liegt in dieser Durchlässigkeit – und das ist auch eine Aufgabe für die Unternehmen, welche die Verantwortung nicht allein der Politik zuschanzen dürfen.