Der Verband Südwestmetall sieht die Unternehmen aus dem Rems-Murr-Kreis durch Energiekosten, gestiegene Rohstoffpreise und den Mangel an Fachkräften vor großen Herausforderungen. Nicht mal jedes fünfte Unternehmen rechnet sich noch Chancen auf ein Umsatzwachstum aus.

Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Hohe Energiekosten, deutlich gestiegene Rohstoffpreise und die großen Lücken in den Lieferketten lassen die Metall- und Elektroindustrie im Rems-Murr-Kreis mit Sorgen in die Zukunft blicken. Fast die Hälfte aller Unternehmen in den beiden Schlüsselbranchen rechnet laut einer Umfrage des Verbands Südwestmetall mit einem Rückgang der Verkaufszahlen, Chancen auf ein Umsatzwachstum sieht nicht mal jedes fünfte Unternehmen aus dem Landkreis.

 

„Wir erleben mit der Energiekrise, Krieg und Inflation eine sehr, sehr bewegte Zeit – und tief greifende Herausforderungen, mit denen noch vor einem Jahr kaum jemand gerechnet hätte“, sagt Michael Prochaska. Der Vorsitzende des Südwestmetall-Bezirks Rems-Murr, Personalvorstand beim Waiblinger Motorsägenhersteller Stihl, sieht durch die steigenden Zinsen und dem durch den globalen Konjunkturrückgang gestörten Exportgeschäft einen spürbaren Sinkflug bei der Nachfrage. Der zunehmende Mangel an Fachkräften und die anhaltenden Probleme mit den Lieferketten würden ebenfalls als Wachstumsbremse wirken. „Für die gesamte Wirtschaft könnte es 2023 zwar noch für ein Mini-Wachstum reichen. Die Regierung verweist in ihrem Lagebericht aber ausdrücklich auf eine hohe Prognose-Unsicherheit“, bringt Prochaska die gemischte Gefühlslage der Unternehmen auf den Punkt.

Fast die Hälfte der Firmen erwartet, kleinere Brötchen backen zu müssen

Die größer gewordenen Sorgen wirken sich auf die Umsatzerwartungen der Firmen aus dem Rems-Murr-Kreis aus. Weil die Auftragseingänge stetig zurückgehen, erwarten nur noch 17,1 Prozent der Unternehmen aus der Metall- und Elektroindustrie fürs Jahr 2023 eine verbesserte Geschäftsentwicklung. Noch vor einem Jahr hatte sich fast die Hälfte der Firmen auf einem Wachstumskurs gesehen. Jetzt gehen 40 Prozent der Betriebe davon aus, in den kommenden Monaten kleinere Brötchen backen zu müssen. Dass die Geschäfte so weiter laufen wie bisher, glauben nur noch 42,9 Prozent der von dem Wirtschaftsverband befragten Firmen.

Kurios an dieser Entwicklung ist, dass die Metall- und Elektroindustrie im Rems-Murr-Kreis zumindest bisher vergleichsweise gut gefüllte Auftragsbücher hat. Der Bestand an Bestellungen ist in etlichen Unternehmen in den vergangenen Monaten drastisch gewachsen. Laut Südwestmetall bezeichnen mehr als 85 Prozent der Firmen ihre aktuelle Auftragslage entweder als gut oder wenigstens als zufriedenstellend. Hintergrund der auf den ersten Blick überraschenden Quote ist der Stau bei der Auftragsbearbeitung. Weil Rohstoffe nicht verfügbar oder Bauteile nicht lieferfähig waren, konnten die Firmen ihre Bestellungen auch nur verzögert abarbeiten. Das drückt – weil inzwischen mit deutlich erhöhten Kosten produziert werden muss – in vielen Betrieben auf den Ertrag.

Zwischen Umsatz und Ertrag herrscht ein krasses Missverhältnis

Wie krass das Missverhältnis zwischen Umsatz und Erlös werden kann, zeigt das Beispiel der Backnanger Tesat-Spacecom. Thomas Reinartz, Chef der Airbus-Tochter mit 1100 Beschäftigten, gibt offen zu, dass beim Geschäft mit der Satellitentechnik nach einem schwierigen Jahr allenfalls eine schwarze Null übrig geblieben ist – trotz eines Jahresumsatzes von gut 260 Millionen Euro und obwohl sich das Unternehmen in etlichen Sparten als weltweiter Technologieführer verstehen darf. Am erklärten Ziel, den Umsatz weiter zu steigern und am Standort auch bei der Belegschaft aufzustocken, hat der Umbruch in der Branche nichts geändert. „Wir sind zum Wachstum verdammt“, sagt Reinartz. Während bei der ZF Automotive in Alfdorf laut Geschäftsführer Eduard Bausch ein Fünftel der Aufträge weggebrochen ist, steht der Spannwerkzeug-Spezialist AMF aus Fellbach vor einem ganz anders gelagerten Problem: Weil Material und Energie deutlich teurer geworden sind, musste der Mittelständler seine Preise im vergangenen Jahr gleich mehrfach erhöhen. Das hat die Umsatzzahlen des 240 Mitarbeiter-Betriebs zwar in ungeahnte Höhen katapultiert, laut Geschäftsführer Johannes Maier erreichten die Zahlen fast die magische Marke von 50 Millionen Euro. Der Ertrag allerdings hielt mit dem Umsatzwachstum beileibe nicht Schritt. „Wir haben es nicht geschafft, die höheren Kosten auch an die Kunden weiterzugeben“, räumt der Firmenchef ein.

Von trotz Umsatzplus leicht sinkenden Erträgen berichtet ebenfalls Motorsägenbauer Stihl selbst – auch wenn Michael Prochaska der offiziellen Vorstellung der Bilanzzahlen nicht vorgreifen will. Gewachsen ist gleichzeitig der Bedarf an Mitarbeitern. Weil jedes fünfte Produkt inzwischen mit Akku läuft, braucht es nicht nur Personal für die Entwicklung. Auch die Verstärkung der Einkaufsabteilung ist für die vom Anstieg der Rohstoffpreise wachgerüttelte Firma ein dringendes Thema. Und: Nur fürs Recruiting neuer Mitarbeiter wurden im Sommer fünf zusätzliche Kräfte eingestellt. Kritisiert wird von Prochaska deshalb nicht nur der Anstieg der Lohnzusatzkosten. Der Manager sieht auch das ursprüngliche Konzept für die Preisbremsen bei Strom und Gas als zu stark verwässert. „Die maximale Fördergrenze ist unter dem Druck von Brüssel viel zu niedrig angesetzt und wird Firmen nur gewährt, wenn der operative Gewinn um mindestens 40 Prozent zurückgeht. So wird es zu keiner wirksamen Entlastung kommen“, fordert der Südwestmetall-Bezirkschef eine Nachverhandlung des Bunds übers Beihilferecht.