Rund 1000 Beschäftigte aus der Metall- und Elektrobranche folgen einem Warnstreikaufruf und kommen in Bietigheim-Bissingen zusammen. Sie sind bereit für einen Arbeitskampf.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Bietigheim-Bissingen - Das begehrteste Utensil ist in der Nieselregentrübsal schon vergriffen, bevor es überhaupt losgeht. „Regenschirme gibt’s leider keine mehr“, stellt die Gewerkschaftssekretärin Sabine Schwegler am Dienstag kurz vor zehn Uhr fest. Dafür offeriert der Kofferraum des Gewerkschaftsautos, das vor der Firma Nidec Motors & Actuators platziert ist, noch reichlich Wärmendes in Signalrot: Die Gewerkschaft hat vorgesorgt. „Wer Schals oder Mützen braucht, zum roten Auto kommen“, tönt der IG-Metall-Bevollmächtigte Matthias Fuchs durchs Megafon.

 

Das Schmuddelwetter ficht die rund 200 Frauen und Männer, die grüppchenweise zum Treffpunkt dazustoßen und als Belegschaften von Valeo, Mahle, Heidelberger oder anderer Firmen mit Applaus begrüßt werden, indes nicht an. Sie lassen Wecker schrillen, blasen in Tröten, drehen Rätschen und schwenken Fahnen. Und die Band Samba Colibri bearbeitet so hingebungsvoll Trommeln und Percussion-Blocks, als spiele sie auf dem Karneval in Rio und nicht beim Warnstreik der Metaller. Da kapituliert just zum Abmarsch Richtung Bahnhof sogar der Sprühregen – und hört endlich auf.

Nicht nur an die Arbeitnehmer gibt es Wünsche, auch an die Gewerkschaft

Angeführt von einer Polizeistreife macht sich die Menge auf den Weg. Halil Das streckt ein handgeschriebenes Streikschild, Aufschrift „Mehr Zeit für Schwiegermütter – 28 Stunden jetzt!“, in die Höhe. „Ich mag meine Schwiegermutter“, meint er lachend, wird dann aber ernst. „Das menschliche Miteinander kommt im heutigen Arbeitsleben zu kurz“, sagt der Industriemechaniker, der Betriebsrat und Vertrauenskörperleiter beim Zahnradhersteller Koepfer Gear in Ludwigsburg ist. „Die Tradition, dass Kinder von ihren Großeltern und Eltern etwas lernen können, geht verloren“, begründet er, warum er für die Forderung nach sechs Prozent mehr Lohn und bezuschusster 28-Stunden-Woche auf die Straße geht.

Isa Brett, Industriemechanikerin bei Mahle in Markgröningen, wünscht sich nicht nur mehr Entgegenkommen der Arbeitgeber, sondern auch mehr Einsatz der Gewerkschaft für ihre Mitglieder – in Form von finanziellem Ausgleich für Warnstreiks, wie es ihn auch für Vollstreiks gibt. Sie zahle schließlich auch jeden Monat ihren Gewerkschaftsbeitrag, sagt sie. Das tue sie aus Überzeugung, dennoch: „Aktionen wie diese mache ich auf eigene Kosten und bringe jedes Mal meine eigene Zeit mit. Die verpasste Arbeitszeit ist im Drei-Schicht-Betrieb schwer wieder reinzuholen“, sagt sie.

Auch die Bundesstraße wird zur Marschzone

An der Ecke Freiberger Straße und Stuttgarter Straße gibt es Jubel: Von Süden her gesellt sich ein weiterer Streik-Lindwurm dazu. Gemeinsam geht’s mit Getöse und unter Ausbootung des Verkehrs über die Bundesstraße durch die Unterführung zum Bahnhofsvorplatz. Mittlerweile regnet es wieder.

Jürgen Brett, Betriebsratsvorsitzender bei Mahle, setzt der Wettertristesse ein lebensbejahendes Outfit entgegen: Knallgrüne Brille, grün-orange-braun gestreifte Mütze und neongelbe Warnweste samt Aufdruck „Ran an de Buletten!“. Das augenfällige Teil habe er sich von Metaller-Kollegen aus Brandenburg geordert, sagt er. „Fand ich ein cooles Motto.“ Sich für gute Arbeitsbedingungen einzusetzen, das müsse man vor allem den jungen Leuten nahe bringen. „Wenn ich bei den alten Gießern pfeife, schmeißen die ihre Werkzeuge zur Seite und stehen bereit. Die haben noch den großen Metaller-Streik 1984 miterlebt. Aber die Jungen, die musst du erst mal mit vielen Diskussionen überzeugen.“

Auf dem Bahnhofsvorplatz warten weitere Hundertschaften

Auf dem Bahnhofsvorplatz warten weitere Hundertschaften. Um die 1000 Streikende aus der Metall- und Elektrobranche, unter anderem Valeo Wischersysteme, Valeo Schalter+Sensoren, Elring Klinger, Nidec, Koepfer, Kienle+Spiess, Bessey Stahl und Bessey Tool, Hoerbiger, Bosch AS, Heyd, Lear, Mahle, Mahle-Behr, Mann und Hummel oder Heidelberg stehen jetzt für die zentrale Kundgebung fröstelnd, aber kämpferisch Seite an Seite, um – in den Worten von Matthias Fuchs – „die geilste Tarifrunde ever zu rocken“ und sich von dessen Kollegen Konrad Ott auf eine allfällige Zuspitzung des Streikszenarios einschwören zu lassen.

„Unsere Auftragbücher sind voll, wir stellen Leute ein, die Firmen machen Milliardengewinne, und wir werden mit Almosen abgespeist. Ein schlechter Scherz“, ärgert sich Felix Reinhardt, der bei Elring Klinger arbeitet. Donato Roselli, bei Mahle beschäftigt, verschafft sich nicht mit Worten Gehör. Ginge auch schlecht, kaut er doch gerade eine Streikbrezel. Stattdessen linst er auf die mit Italien-Wimpel und Metaller-Fahne behängte Trommel vor seinem Bauch – und haut mit Schmackes drauf.