Die IG Metall bereitet den Tarifrundenauftakt im November vor. Dabei soll die 35-Stunden-Woche im Zuge von Digitalisierung und Industrie 4.0 flexibler gestaltet werden. Zuvor werden bundesweit 2,3 Millionen Beschäftigte in 8000 Betrieben zu ihrer Haltung befragt.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Metalltarifrunde beginnt erst Mitte November, und Anfang 2018 dürfte sie dann hohe Wellen schlagen. Die IG Metall nutzt die eineinhalbjährige Phase ohne Entgeltpoker, um ein gewichtiges Projekt anzuschieben: mehr Mitbestimmung über die geleisteten Arbeitszeiten. „Die Waage mit der Flexibilität der Unternehmen und der Zeitsouveränität der Beschäftigten ist eindeutig in Richtung Flexibilität ausgeschlagen“, rügt IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger. Kurz: die Arbeitgeber profitieren mehr als die Mitarbeiter von tariflichen Freiheiten, was auch mit der prosperierenden Wirtschaft zu tun hat.

 

Nun bräuchten die Beschäftigen mehr Freiräume: Regeln für mobiles Arbeiten, Belastungsausgleiche für Schichtarbeit sowie Rechtsansprüche auf vorübergehende Arbeitszeitverkürzung etwa zur Pflege von Angehörigen, so dass sich die Betroffenen das noch leisten können. „Es geht um die Frage: Wie organisieren wir Arbeitszeit so, dass der Erhalt von Gesundheit und Qualifikationen im Mittelpunkt steht und nicht deren Verschleiß?“, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann bereits am Mittwoch in Berlin. „Wie kann die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben verbessert werden?“ Konkrete Tarifforderungen will die IG Metall nach einer Beteiligung der Belegschaften entwickeln. Noch bis Ende Februar werden mithilfe von 2,3 Millionen Fragebögen die Mitglieder und übrigen Beschäftigten der Branchen in rund 8000 Betrieben eingehend befragt. Ende April sollen die ersten Ergebnisse vorliegen. Am 27. Juni werden die Ergebnisse bei einem zentralen Kongress in Mannheim gebündelt. Dabei wird auch abgeglichen, inwieweit andere Bezirke Nachholbedarf gegenüber Baden-Württemberg haben, das mit seinen Regelungen zu den Arbeitszeitkonten längst Vorreiter ist.

IG-Metall-Chef geißelt Ausbeutung

Noch im Vorjahr sind 2000 Betriebsratsgremien nach dem Umgang mit der Arbeitszeit vor Ort befragt worden. Laut Hofmann zeigen schon „ein paar wenige Befunde“, dass betrieblich und tariflich gehandelt werden muss. „Die Arbeitgeber drängen auf weitere Deregulierung“, sagte er und widersprach: „Im Gegenteil! Wir brauchen nicht weniger, sondern neue Regeln – und eine betriebliche Praxis, die vor Ausbeutung schützt.“ Der dringenden Erwartung der Gegenseite, den Acht-Stunden-Tag zur Disposition zu stellen, erteilt die IG Metall folglich eine Absage. Nach einem „Stimmungsbarometer“ im Südwesten halten neun von zehn Betriebsräten das Arbeitszeitgesetz mit dem Acht-Stunden-Tag und der elfstündigen Ruhezeit für „sehr wichtig“ oder „wichtig“. In zwei Dritteln der Betriebe komme es immer wieder mal zu Verstößen gegen die vorgeschriebene Ruhezeit, was oftmals aber folgenlos bleibe.

Dies hat die Arbeitgeber verärgert: Südwestmetall hält der IG Metall „verantwortungslose Stimmungsmache“ vor, indem zahllosen Betrieben strafbares Verhalten vorgeworfen werde. Ferner beklagte der Verband, dass in dem Fragebogen allgemeine politische Positionen zur Sozialpolitik abgefragt würden – als Munition für den Bundestagswahlkampf. „Die Arbeitgeber reagieren völlig unverständlich nervös“, kommentierte Zitzelsberger den Gegenangriff. Es gehe nicht darum, jemanden zu kriminalisieren. „Getroffene Hunde bellen“, ergänzte er. Auch macht er „null Komma null ein Geheimnis daraus“, dass die Umfrageresultate in die politischen Forderungen zur Bundestagswahl münden.

Arbeitgeber hoffen auf Entgegenkommen

Etwas moderater macht Südwestmetall-Hauptgeschäftsführer Peer-Michael Dick gegenüber dieser Zeitung deutlich, dass man „sehr gespannt“ sei auf die Arbeitszeitüberlegungen der IG Metall. Wenn sie den Manteltarifvertrag kündigen wolle, „wäre das ein deutlich konfrontativer Aufschlag für Gespräche über weitere Arbeitszeitflexibilisierung, an der auch wir grundsätzlich interessiert sind“. Die Arbeitgeber sähen, „dass die Beschäftigten in bestimmten Situationen etwas mehr Flexibilität benötigen“. Wenn im Gegenzug das „dringende Erfordernis der Unternehmen nach mehr Freiraum“ angesichts immer schwierigerer globaler Produktionsbedingungen „auf Verständnis stößt, kann es hier zu einem vernünftigen Austausch kommen“, hofft Dick auf Kompromisse.

Gleichzeitig mehr Rechte für Beschäftigte mit Einschränkung der bisherigen Flexibilität und mehr Tarifbindung zu fordern, „erscheint schon fragwürdig“, rügt der Hauptgeschäftsführer. Die Belastungen der Unternehmen durch die Tarifverträge hätten deutlich zugenommen, Flexibilitäten seien auch bei Tarifverträgen eingeschränkt worden. „In einer Zeit, in der immer mehr Unternehmen die originäre Tarifträgerschaft verlassen, sollte die IG Metall gemeinsam mit Südwestmetall an gemeinsamen Lösungen arbeiten, anstatt weiter an der Belastungsschraube zu drehen“, so Dick. Und die Vorstellung der Gewerkschaft, jedes neue Unternehmen in der Elektro-Mobilität mit Tarifbindung „beglücken“ zu wollen, sei schon in der Solarenergie schief gegangen. „ Tarifverträge aus der industriellen Steinzeit passen nicht zu Unternehmen des Internet-Zeitalters.“

Somit ahnt Bezirksleiter Roman Zitzelsberger: Die Tarifrunde könne „richtig heftig werden“, weshalb die IG Metall die „notwendige Durchsetzungsfähigkeit“ sicherstellen müsse.